"Code kennt keine Fairness"

Cyberlaw-Koryphäe Lawrence Lessig über die Gewaltenteilung im Netz, Programmierer als Gesetzgeber und den wachsenden Einfluss virtueller Welten auf die reale.

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Inhaltsverzeichnis

Lawrence Lessig ist Jura-Professor an der Stanford Law School. In seinem Bestseller "Code" stellte er dar, wie Programmierung zunehmend an die Stelle klassischer Gesetze und Sanktionen tritt ("Code is Law"). Lessig engagiert sich zudem in der Open-Source-Bewegung und ist entschiedener Gegner von Software-Patenten. Im Interview mit Technology Review spricht er über Gewaltenteilung im Netz, Programmierer als Gesetzgeber und den wachsenden Einfluss virtueller Welten auf die reale.

Technology Review: Herr Lessig, was fasziniert Sie so an Cyber-Welten?

Lawrence Lessig: Meine Arbeit soll herausstellen, wie die technologische Architektur immer mehr zu einem strategischen Entscheidungsfaktor wird. Dieser Aspekt wird bei virtuellen Welten besonders deutlich, da er hier quasi unvermeidbar ist. Durch die Architektur werden äußert wichtige Werte in Bezug auf Entscheidungen und Richtlinien festgelegt.

Ein Beispiel: Die Festlegung, wie hoch man in Second Life fliegen kann, war eine strategische Festlegung, die durch Code implementiert wurde. Dabei sollte ein ausgewogenes Maß zwischen der Bewegungsfreiheit und dem nötigen Spaß geschaffen werden. Entscheidungen dieser Art gibt es millionenfach.

TR: Werden solche Entscheidungen nicht meist willkürlich von Programmierern aus dem Bauch heraus getroffen? Inwieweit sind sie demokratisch legitimiert?

Lessig: Diese virtuellen Welten haben viele implizite Gestaltungsformen. Der Aufbau von Second Life enthält ein ganzes Bündel an Werten. Beispielsweise ist derjenige, der eine Sache erstellt, automatisch auch der Eigentümer. Doch ist das definitiv keine Demokratie.

Meiner Einschätzung nach wird Folgendes passieren: Es wird zwischen den kommerziellen Sites einen gewissen Wettbewerb um die Gunst der Benutzer geben. Aber wasserfest ist diese Prognose nicht. Wenn viele meinen "Ich möchte mich nicht mit Führungsproblemen beschäftigen, sondern einfach nur spielen", dann gibt es keine große Nachfrage für regulatorische Transparenz.

TR: Da auch in anderen Cyber-Welten keine demokratischen Elemente vorhanden sind, lässt sich daraus schließen, dass keine Nachfrage nach Demokratie besteht. Wird Demokratie überschätzt?

Lessig: Eigentlich nicht. Selbst Leute, die hundert Stunden pro Woche in Second Life verbringen, haben trotzdem noch ein echtes Leben mit allen täglichen Pflichten und Lasten. Sie müssen zur Arbeit gehen und bisweilen auch in den Krieg ziehen. Und hier besteht die mit Abstand größte Nachfrage nach Demokratie. Sollten die Leute in der Zukunft mehr und mehr in die virtuellen Welten eintauchen, dann werden auch jene Orte zu den Schauplätzen, an denen nach Demokratie verlangt wird.

TR: Glauben Sie, dass das Modell eines "freundlichen Diktators", zusammen mit einem Schuss Anarchie, in virtuellen Welten weiterhin tragfähig ist?

Lessig: Egal, wie virtuell Second Life ist, so unterliegt es trotzdem den Gesetzen der echten Welt. Wenn also beispielsweise ein Vertrag zwischen mir als Benutzer und Second Life über Grunderwerb zustande kommt und Second Life im Nachhinein Vertragsbedingungen ändert, muss diese Entscheidung von Second Life genau wie im realen Leben von einem Gericht begutachtet werden. Second Life unterliegt in Wirklichkeit in großem Umfang verschiedenen Rechtsprechungen, und soweit sich erkennen lässt, wird sich daran auch nichts ändern.

TR: Wie steht es mit Geschäften zwischen den Avataren? Da mir die Identität des Avatars, mit dem ich Geschäfte abschließe, nicht bekannt ist, werde ich doch sicherlich einige Schwierigkeiten haben, ihn bei Rechtsstreitigkeiten vor Gericht zu zitieren.

Lessig: Also wenn es in Second Life zu Rechtsstreitigkeiten vor Gericht kommt, ist es zumindest nach US-amerikanischem Recht kein Problem, von Second Life die erforderlichen Informationen anzufordern, die für gerichtliche Auseinandersetzungen erforderlich sind. Anonymität bedeutet also nicht, dass sich ein Benutzer seinen Verpflichtungen entziehen kann.