"Die meisten streiten ab"

Seite 2: "Die meisten streiten ab"

Inhaltsverzeichnis

Rena Tangens: Eben nicht. Genau deshalb betone ich auch immer, dass der FoeBuD eine technikbegeisterte Organisation ist, in der eine ganze Anzahl von Entwicklern tätig ist. Wir wollen keineswegs in das analoge Zeitalter zurück, möchten aber einen bewussteren Umgang und eine andere Gestaltung von Technik.

TR: Gibt es aktuelle Techniken, die uns helfen, diese Freiheit zu garantieren?

Rena Tangens: Ja, beispielsweise betreiben wir einen TOR-Server. TOR steht für The Onion Router und ermöglicht anonymes Surfen. Man wird automatisch über mehrere Server weitergeleitet, wobei der letzte Server nicht weiß, woher die Anfrage kam. Wir sehen aber nicht, dass das die komplette Lösung ist. Aber wir können so darauf aufmerksam machen, dass so etwas wie Vorratsdatenspeicherung existiert und auf eben auch auf der technischen Ebene angegangen werden kann. Es muss aber auch auf der politischen und juristischen behandelt werden.

TR: Terror-Anschläge machen die Rufe nach Überwachungstechnologie salonfähig. Was machen Sie, wenn die Definition und der Schutz von Privatsphäre dem Allgemeinwohl untergeordnet wird?

Rena Tangens: Das wichtigste ist erstmal wieder auf den Boden zurückzukommen und klar zu machen, dass die Reaktionen vor allem hysterisch sind. Die Angst vor Terror, oft noch geschürt, ist übertrieben. Heute habe ich noch den Satz gelesen: „Wenn die Menschen die Klimafolgen, den globalen Treibhauseffekt, mit der gleichen Hysterie “ aufnehmen würden wie die Terror-Warnungen, dann würden wir im Alltag nur noch mit Schwimmweste herumlaufen. Auch muss man kritisch beleuchten, ob die Maßnahmen überhaupt wirksam sein können. Videokameras verhindern nicht, dass eine Tat passiert. Selbstmord-Attentäter mit Videokameras zu fangen ist ein absurdes Unterfangen.

TR: Bei einem Sexual-Mord an einem jungen Mädchen ist diese Aufklärung im Nachhinein erwünscht. Im Raum Dresden fand deswegen vor wenigen Monaten ein so genannter DNA-Reihentest (Technology Review 09/2006) statt. Viele Getestete entgegneten bei der Frage nach Datenschutz: „Ich habe nichts zu verbergen!“ Lassen Sie diese Antwort gelten?

Rena Tangens: Der Satz wird oft hervorgeholt. Er hat so etwas wunderbar Einfaches, Plakatives. Aber wenn einer das sagt, spricht er nicht nur für sich, sondern stellt eine Forderung an alle anderen, es ihm gleich zu tun. Zweitens: Damit gibt er ein Versprechen ab, dass er auch in Zukunft niemals etwas zu verbergen haben wird. Wer alle Daten von sich preisgibt, verliert die Kontrolle. Er kann diese nicht zurückholen, sie sind dann vorhanden und können ausgewertet werden. Darüber sollten wir noch mal nachdenken; auch mit der Überlegung im Hinterkopf, wie viel Diktatoren es im 20. Jahrhundert in Europa gegeben hat. Die wären nämlich froh über die heutigen Technologien. Demokratie ist nichts Naturgegebenes, sondern wir müssen wachsam sein und sie pflegen.

TR: Stichwort Demokratie. Viele Zeitungen gehen dazu über, ihren Leser zum Reporter zu machen. Dieser dringt nun mit Foto-Handy und Digital-Kamera in die Privatsphäre von Prominenten und Nicht-Prominenten ein. Zieht es Ihnen da nicht den Magen zusammen?

Rena Tangens: Ich finde es sehr bedenklich, wenn Zeitungen den Voyeurismus fördern. Das ist sehr kritisch, dass sollten seriöse Zeitungen nicht tun.

TR: Demokratie, zweiter Teil. Innenminister scheinen natürliche Gegner ihrer Bemühungen zu sein. Otto Schily hat zweimal den Big Brother Award (Politik, Lebenswerk) bekommen, Wolfgang Schäuble fordert die flächendeckende Video-Überwachung. Wenn Sie Innenministerin wären, was würden Sie tun?

Rena Tangens: Dafür müsste ich erstmal die Ruhe und Zeit haben, darüber nachzudenken und nicht in die Betriebsamkeit und den Populismus zu verfallen, die Geschäftigkeit, die die anderen Innenminister an den Tag legen. Ich glaube, dass ein grundsätzliches Nachdenken über unser Gesellschaftssystem dringend notwendig ist. Wie können wir erreichen, dass möglichst viele Leute glücklich sind, ein sinnvolles Leben führen, nicht nur für sich, sondern auch für eine demokratische Gesellschaft? Dazu braucht es mehr Zeit zum Nachdenken, als die paar Minuten, die ich gerade habe. (gob)