Edit Policy: Wo bleibt Europas Open Technology Fund?
Seite 2: Ein europäischer Open Technology Fund
Es ist unverständlich, dass europäische Behörden über die Sicherheitsrisiken proprietärer Anwendungen klagen, aber nicht in die Weiterentwicklung von Open-Source-Alternativen investieren wollen. Über viele Jahre haben ausgerechnet die USA, die ansonsten eher für ihre überbordenden staatlichen Überwachungsprogramme bekannt sind, wichtige Open-Source-Projekte finanziell über Wasser gehalten, die Journalist:innen und Demokratiebewegungen auf der ganzen Welt für ihre tägliche Arbeit nutzen. Der Open Technology Fund, eine unabhängige Organisation, die jährlich einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag aus dem US-Haushalt erhalten hat, konnte Menschenrechtsaktivist:innen in Belarus, Hong Kong oder im Iran mit sicherer IT-Infrastruktur zur Umgehung von Zensur und zum Schutz vor staatlicher Überwachung versorgen, bis die Trump-Administration kürzlich die Förderung eingestellt hat.
Eins ist klar: Europa ist von digitaler Souveränität weit entfernt, wenn es sich für die Förderung der sicheren Open Source-Infrastruktur, auf die Demokratiebewegungen, Journalist:innen, Anwält:innen und auch Behörden täglich angewiesen sind, auf die Launen des US-Präsidenten verlässt. Die rund 17 Millionen Euro, die die US-Regierung bis vor Kurzem jährlich in den Open Technology Fund investiert hat, wären durch die EU, oder auch durch Deutschland allein, leicht zu ersetzen. Einem europäischen Äquivalent zum Open Technology Fund steht also nichts im Wege, außer dem politischen Willen, der Rede von der digitalen Souveränität auch Taten folgen zu lassen. Die Bundesregierung plant zum Beispiel aktuell ein neues "Zentrum für digitale Souveränität" beim Bundesinnenministerium, über dessen finanzielle Ausstattung und genaue Aufgaben noch wenig bekannt ist.
Kompetenz der Zivilgesellschaft nutzen
Zentral für den Erfolg des Open Technology Fund war jedoch stets seine organisatorische Unabhängigkeit von der US-Regierung. Damit sich die wichtigsten Open Source-Projekte, die oft von kleinen Gruppen eher regierungskritischer Aktivist:innen betrieben werden, auch auf eine solche Fördermöglichkeit bewerben, muss die Ausgestaltung des Programms in den Händen der Zivilgesellschaft liegen. Initiativen wie der öffentlich geförderte Prototype Fund der Open Knowledge Foundation Deutschland, deren Vorstand ich angehöre, können hier als Vorbild dienen.
Behörden sind oft nicht spezialisiert darauf, unkomplizierte Förderprogramme zu schaffen, die die Open Source-Community nicht bereits durch die Komplexität des Bewerbungsverfahrens abschrecken. Die Bundesregierung darf sich dabei nicht auf formale Kriterien wie Nationalität oder Wohnort der Entwickler:innen versteifen. Worauf es wirklich ankommt, ist das Bekenntnis der geförderten Projekte zur Offenlegung des Source Code und der freien Weiterverwendbarkeit der Software. Außerdem müssen sich öffentliche Förderprogramme von dem Ziel lösen, immer nur gänzlich neue Ideen zu fördern.
Wenn der Heartbleed-Bug eines gezeigt hat, dann ist es die enorme Wichtigkeit, freie Software-Komponenten über lange Zeiträume instand zu halten, stetig zu verbessern und laufend auf Schwachstellen zu überprüfen. Digitale Souveränität schafft man nicht, indem man immer nur der neusten Innovation hinterherrennt, sondern wir müssen viele verschiedene, langfristig angelegte Förderstrukturen aufbauen. Wenn dann eines dieser Programme, wie nun in den USA geschehen, aus politischen Gründen ausfällt, können andere den Schock abfedern.
Die Texte der Kolumne "Edit Policy" stehen unter der Lizenz CC BY 4.0.
(bme)