Filmkritik: "Oppenheimer" interessiert sich nicht so für Physik

Am Donnerstag entbrennt an den Kinokassen der Kampf der Titanen: "Barbie" vs. "Oppenheimer" – beide wollen die Box-Office-Krone, einen haben wir uns angesehen.

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(Bild: Universal Pictures)

Lesezeit: 6 Min.
Inhaltsverzeichnis

Der Kinosommer rüstet sich für den Kampf der Titanen: Ab Donnerstag ringen mit "Oppenheimer" und "Barbie" zwei kulturelle Ikonen um die Gunst des Kinopublikums, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf ihnen lastet auch die Erwartungshaltung der Studios, die auf einen Sommer-Blockbuster hoffen. Unterdessen prallen unter dem Hashtag #barbenheimer zwei Welten aufeinander und schaffen eine neue. In einigen Kinos gibt es "Oppenheimer" mit "Barbie" im Double Feature.

Der Titan Prometheus brachte der Menschheit das Feuer und wurde dafür von den Göttern bestraft. Christopher Nolan stellt seiner Filmbiografie des "Vaters der Atombombe" einen Ausflug in die griechische Mythologie voran. Sein Drehbuch beruht auf der preisgekrönten Biografie "American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer" von Kai Bird und Martin Sherwin, die auf Deutsch mit dem eher prosaischen Titel "J. Robert Oppenheimer" erschienen ist.

Das kann als Hinweis gelesen werden, dass Amerikaner gerne eine mythologisch aufgeladene Geschichte von Ambition, Schuld und Sühne lesen, während es das deutsche Publikum nüchterner mag. Wie auch immer: Mit Prometheus wählen die Autoren für ihre jahrelang sorgfältig recherchierte und 2006 mit dem Pulitzer-Preis prämierte Biografie eine Schuld-Metapher, die den Rahmen – neudeutsch Frame – auch für Nolans Drehbuch setzt.

Julius Robert Oppenheimer – oder "Oppie", wie ihn Freunde und Kollegen nannten – war als junger Physiker wesentlich an der Theoriebildung der Quantenmechanik beteiligt. Schon damit hat er sich in der Wissenschaftsgeschichte verewigt. Weltgeschichte schreibt Oppenheimer als Leiter eines interdisziplinären Teams, das für das "Manhattan-Projekt" des US-Militärs in einem Geheimlabor bei Los Alamos in New Mexico die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse über Atome und Kernspaltung zum Bau einer Kriegswaffe nutzen soll. Mit Erfolg: Oppenheimer wird zum "Vater der Atombombe".

Der erfolgreiche "Trinity-Test" in der Wüste von New Mexico bildet nach etwa zwei Stunden den – auch visuellen – Höhepunkt des zweiten Akts von "Oppenheimer" (keine CGI, sagt Nolan). Auf Trinity folgen Hiroshima und Nagasaki. Der amerikanische Prometheus gibt den Menschen eine noch viel schrecklicheres Werkzeug als das Feuer. Dafür strafen ihn nicht die Götter, sondern sein Gewissen – und der politisch-militärische Komplex, der sich Oppenheimer auf die für diese Ära typische Art zu entledigen sucht: Sein Flirt mit dem linken akademischen Milieu wird ihm zum Verhängnis.

Nolan erzählt seine Geschichte auf verschiedenen, miteinander verschachtelten Zeitebenen. Abgesehen von den in Schwarz-Weiß gehaltenen Szenen einer späteren Senatsanhörung sind die nicht immer ganz leicht auseinanderzuhalten. Man kennt das aus Nolans anderen Filmen, für einen komplexen historischen Stoff scheint sein gewohntes Spiel mit mehreren Ebenen allerdings kein ideales Fundament zu sein.

Man kann Nolan nicht vorwerfen, dass er sich die Zeit für Oppenheimers wissenschaftlichen Werdegang nimmt. Dessen persönliche Geschichte ist reich an prominentem Personal: Niels Bohr, Werner Heisenberg, Max Born, Enrico Fermi und nicht zuletzt Albert Einstein – um nur einige zu nennen. Oppenheimers Karriere war stets von wissenschaftlichem Teamwork geprägt.

Nolan fokussiert sich auf "Oppie", um dem Menschen Oppenheimer näherzukommen. Dabei interessiert sich der Regisseur und Drehbuchautor sichtlich mehr für Politik und Psychologie als für Physik. Deshalb kommen die teils prominent besetzten Rollen der Wissenschaftsavantgarde nur zu Kurzauftritten, die wie Cameos wirken. (Triggerwarnung: Matthias Schweighöfer).

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"Oppenheimer" ist bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt. Cillian Murphy verleiht der kettenrauchenden Titelfigur eine nervöse Gelassenheit, hinter der er immer wieder Abgründe und Zweifel durchscheinen lässt. In Emily Blunt, die Oppenheimers Ehefrau Kitty spielt, hat Murphy ein kongeniales Gegenüber. Robert Downey Jr. darf hier endlich mal wieder zeigen, dass er mehr kann als Comic-Knallcharge. Und Matt Damon kann man eigentlich nur liebhaben, auch wenn er einen knurrigen US-General gibt.

Kameramann Hoyte van Hoytema (seit "Interstellar" Nolans erste Wahl), der hauptsächlich auf 65 Millimeter und 65 Millimeter IMAX gedreht hat, findet tolle Bilder. Dazu greift die Musik von Ludwig Göransson ("Tenet", "Black Panther") immer wieder Motive wie Explosionen oder das Ticken eines Geigerzählers auf, wird in einigen Szenen aber sehr dominant.

Cillian Murphy ist Robert Oppenheimer.

(Bild: Universal Pictures)

Insgesamt ist "Oppenheimer" ein unbedingter Kunstwille anzumerken. Das wirkt trotz eindrucksvollen Momenten stellenweise aufgesetzt oder hölzern. An wichtigen Wendepunkten der Geschichte etwa lässt Nolan seine Hauptfigur in halluzinatorische Visionen abdriften, was zu einer der absurderen Sexszenen der jüngeren Kinogeschichte führt.

Nolan, der sonst ein virtuoser Erzähler komplexer und verwirrender Geschichten ist, scheint angesichts der historischen Dimension des Stoffes zu verkrampfen. "Oppenheimer" fehlt es an Leichtigkeit, die so ein dreistündiges Drama erträglicher machen würde. Da das US-Kino gerade nicht mit originellen Stoffen wuchert, sondern lieber bekannte Marken bis zur Unkenntlichkeit auslutscht, sollte man "Oppenheimer" trotz seiner Schwächen genießen.

Ob es für die Krone an der amerikanischen Kinokasse reicht, wird sich zeigen. Rund 100 Millionen US-Dollar soll "Oppenheimer" gekostet haben. Um kein Flop zu sein – wie Disneys jüngste Box-Office-Hoffnung "Indiana Jones und das Rad des Schicksals" – muss er ein Vielfaches dessen einspielen. Was den Ausgang des Kampfes der Titanen angeht, stehen die Wetten auf "Barbie". Eins haben "Oppenheimer" und "Barbie" aber gemeinsam: Beide interessieren sich nicht so für Physik.

"Oppenheimer" ist ab dem 20. Juli im Kino. Wer Glück hat, kann die 70-Millimeter- oder die IMAX-Fassung sehen.

(vbr)