"Ich glaube, Europa kann wesentlich mehr"

Sebastian Thrun, Leiter des Stanford Artificial Intelligence Lab im Interview mit TR Online über die Entwicklung künstlicher Intelligenz, die Rolle der Robotik und den Forschungsstand in Deutschland und Europa.

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Inhaltsverzeichnis

Sebastian Thrun, Leiter des Stanford Artificial Intelligence Lab, hat mit seinem Team im vergangenen Jahr den Grand Challenge gewonnen – ein Rennen autonomer Roboboterfahrzeuge über 200 Kilometer quer durch die Wüste. TR Online sprach mit Thrun über die Entwicklung künstlicher Intelligenz, die Rolle der Robotik und den Forschungsstand in Deutschland und Europa.

TR: Sie haben auf dem Symposium anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der KI über die letzten Jahren der KI-Forschung berichtet. Wenn Sie nun insgesamt eine persönliche Bilanz dieser 50 Jahre ziehen, wie fällt die aus? Hat sich die Forschung gelohnt? Oder waren die Versprechungen zu groß?

Sebastian Thrun: Ich glaube, in den frühen Jahren sind Versprechungen gemacht worden, die eindeutig zu groß waren. Das Versprechen, innerhalb weniger Jahre die menschliche Intelligenz hinter sich zu lassen, war sicherlich verfehlt. Aber das ist auch in der – sozusagen – Ignoranz der frühen Jahre geschehen. Weil man sich einfach nicht so gut auskannte. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass sich die Forschung gelohnt hat. Die künstliche Intelligenz ist die Grundlage geworden von einer Milliarden-Dollar-Industrie. Google zum Beispiel ist eine Firma, die rein auf künstlicher Intelligenz aufbaut. Ich glaube die Investition war – gemessen an dem, was wir zurückbekommen haben – verhältnismäßig gering.

TR: Was hat sich nun innerhalb der letzten paar Jahre getan?

Sebastian Thrun: Ich glaube, die Wissenschaft ist ernsthafter geworden. Wir haben uns sehr viel stärker um gute Methoden gekümmert – den Fokus geändert von sehr esoterischen zu mathematisch fundierten Verfahren. Die ist einfach ein Stück erwachsener geworden, unsere Wissenschaft – und zum Teil ist sie dadurch auch reicher geworden.

TR: Was würden Sie denn als esoterische Verfahren bezeichnen?

Sebastian Thrun: In den frühen Jahren war es so, dass die künstliche Intelligenz sehr losgelöst war, ihre eigenen Wege gegangen ist und oftmals viele andere Wissenschaften nicht so stark mit einbezogen hat. Das hat sich sehr stark geändert. Künstliche Intelligenz ist mit anderen Verfahren – Statistik, Optimierung, Operations Research – sehr verwandt, und man hat mittlerweile erkannt, dass man da auf andere Sachen auch aufbauen kann.

TR: Nun haben Sie ja gemeinsam mit Ihren Kollegen gezeigt, wie weit man mit KI kommen kann – in dem Sie ein vollkommen autonomes Fahrzeug über mehr als 200 Kilometer haben fahren lassen. Das ist aber erst im zweiten Anlauf gelungen. Was hat sich innerhalb der letzten Jahre getan, das es ermöglicht hat, diese Aufgabe jetzt zu lösen?

Sebastian Thrun: Der Grand Challenge ist im ersten Anlauf so wenig erfolgreich gewesen, weil die Leute zu wenig Zeit hatten. Man hat einfach auch ein Stück Erfahrung sammeln müssen, mit dieser speziellen Umgebung, was innerhalb eines Jahres nicht machbar war.

Was sich getan hat, ist, dass im verstärkten Maße der Akzent auf die Software gesetzt worden ist – was im ersten Rennen nicht so der Fall war – und auf das maschinelle Lernen.

TR: Das Prinzip des maschinellen Lernens ist ja nun aber nicht neu. Gab es da also noch einen Fortschritt oder ging es rein um die Anwendung der Methode auf dieses spezielle Problem?

Sebastian Thrun: Ich glaube, es wäre fair zu sagen, dass die eigentlichen Verfahren nicht im letzten Jahr erfunden worden sind. Die Verfahren sind teilweise schon zehn Jahre alt. Aber diese Verfahren sind für die Anwendung "autonomes Fahren" erstmals implementiert worden. TR: Welche Bedeutung würden Sie den Robotern in der KI-Forschung zuweisen? Ist es wichtig, Maschinen zu haben, die tatsächlich in die physikalische Welt hineinwirken?

Sebastian Thrun: Ich denke, Robotik ist einer der Grundpfeiler der künstlichen Intelligenz. Nicht der einzige, aber physikalische Roboter sind ganz ganz wichtig für uns, weil sie uns verstehen lassen, wie man die Warnehmung einer Situation und die Aktionsfindung in einem einzigen System zusammenbringen kann. Und das ist ein sehr wichtiger Punkt.

TR: Nun gibt es aber Leute, die argumentieren, dabei bestünde die Gefahr, sich in Hardware-Bastelei zu verrennen – nur noch zu basteln.

Sebastian Thrun: Das hat sicherlich mit dem Individuum zu tun. Als wir den Grand Challenge begonnen haben, haben wir gesagt: Das ist ein Software-Problem. Und mein Team hat fast ausschließlich Software gemacht, während Volkswagen sich um die Hardware gekümmert hat. Das ist eher ein logistisches und Organisationsproblem. Es gibt Leute, die, wenn Sie einen Berg besteigen wollen, die falsche Route wählen – und dann den falschen Berg hochklettern. Die wirklich guten Leute wissen schon, wie sie zum Ziel kommen.

TR: Marvin Minksky hat die KI-Communinity auf dem Symposium sehr scharf kritisiert. Es gäbe eine zu große Spezialisierung und zu viele Wissenschaftler würden sich mit sehr ähnlichen Problemen wie dem maschinellen Lernen beschäftigen. Was sagen Sie dazu?