It's complicated: Meta und die Meinungsfreiheit
Meta schafft Faktenchecker ab. Doch das allein gefährdet nicht unsere Demokratie – diese Sorge greift zu kurz, meint Eva-Maria Weiß.
Mark Zuckerberg hat eine Bombe platzen lassen: Meta will – zunächst in den USA – Faktenchecker abschaffen. Loswerden will er sie ("get rid of fact checkers"). Nicht nur an dieser Stelle hat Zuckerbergs Vortrag einen leicht negativen Unterton. Als entledige er sich einer unangenehmen Bürde. Während Zuckerberg von einer Rückkehr zur Meinungsfreiheit spricht, sehen andere eine "Gefahr für unsere Demokratie". Doch sie machen es sich zu leicht.
Zuckerberg setzt sich dem Verdacht aus, er wolle dem erneut gewählten US-Präsidenten Donald Trump einen Gefallen tun. Mag sein, dass ihm die Abkehr von einer strengeren Moderation im Weißen Haus Punkte verschafft. Es fügt sich in eine Reihe mutmaßlicher Gefälligkeiten – etwa den Austausch des Leiters Global Affairs, Nick Clegg, gegen den Republikaner und Trump-Unterstützer Joel Kaplan sowie die Berufung von Dana White in den Meta-Aufsichtsrat. White gilt als enger Freund Trumps und ist eine fragwürdige Personalie, da er mit Gewalt gegen Frauen aufgefallen ist.
Zuckerberg dürfte diesen Schritt aber auch selbst gut oder zumindest praktisch finden. Er entledigt sich damit ganz nebenbei zahlreicher Angestellter und Mitarbeiter, die über Dienstleister mittelbar beschäftigt sind. Zudem hat er sich seit den Anfangstagen für eine weitreichende Meinungsfreiheit ausgesprochen. Auch wenn er gegen Mobbing, Propaganda und anderen Missbrauch der Plattform ist, hält der Facebook-Chef im Zweifel die freie Meinungsäußerung für wichtiger. 2019 stellte er bei einem Vortrag die Frage: "Wo soll man die Linie ziehen?" Seine Antwort lautete: Gar nicht.
Hass und Hetze sind und bleiben strafbar
Und dann muss man dem alleinigen Chef des Unternehmens lassen, dass es seine Plattformen sind. Es sind privatwirtschaftlich betriebene Dienste. Da kann er zumindest all das machen und machen lassen, was nicht gegen ein Gesetz verstößt. Genau wie Elon Musk auf X. Diese Plattform nennt er groteskerweise nun als Vorbild – dabei läuft es für X offenbar nicht sonderlich gut. Viele Unternehmen und Personen haben die Plattform verlassen, mit ihnen Werbetreibende.
Wie und ob es vermehrt Hass oder Hetze geben wird, wissen wir noch nicht. Aber ganz ehrlich, mein Facebook-Feed war schon lange maßgeblich von bekloppten KI-Inhalten und betrügerischen Beiträgen durchzogen. Instagram lebt ja eher davon, Produkte anzuzeigen, die man kaufen könnte – das bevorzugt die Plattform, ebenso wie Threads, schon lange vor politischen Inhalten.
Die Sorge vor Hass und Hetze mag dennoch absolut berechtigt sein, wie heise-medien-Chefredakteur Torsten Beeck meint. Aber immerhin: Es gibt Grenzen, auch für Meta – strafrechtlich relevante Inhalte sollen, so sagt es auch Zuckerberg, gemeldet werden. Sie werden weiterhin gelöscht. In der EU regelt etwa der Digital Services Act (DSA), dass Meta Meldestellen einrichten und auf Meldungen innerhalb kurzer Zeit reagieren muss.
Soziale Netzwerke als Katalysator
Wieso nun gefährden diese privaten Unternehmen unsere Demokratie? Weil irgendwer und irgendwas ja Schuld haben muss. Die Welt ist brutal komplex und es gibt viel Frust. Stellvertretend für zahlreiche Erklärungen soll hier das Buch "Die Risikogesellschaft" von Ulrich Beck genannt werden, das bereits 1986 erschien. Darin erklärt Beck, wie die Menschen in immer komplexer werdenden Gesellschaften zunehmend die Orientierung verlieren, indem etwa vorgeschriebene Biografien verschwinden. Der Bäckersohn wird nicht mehr Bäcker. Menschen suchen Orientierung, um sich wohlzufühlen, sicher zu fühlen.
Menschen finden vermeintliche Orientierung in den sozialen Netzwerken. Deshalb kann man nun auch nicht sagen, dass diese gar keine Auswirkungen hätten. Man geht in der Wissenschaft von einer Katalysator-Wirkung aus. Soziale Netzwerke befeuern Ideen und lassen Blasen entstehen, in denen jeder jemanden findet, der das Gleiche glaubt – selbst wenn das die Existenz von Echsenmenschen ist.
Propaganda und die Wirkung
Manch Kneipengespräch hat aber auch in Zeiten vor dem Internet schon ähnliche Absurditäten hervorgebracht. Auch Propaganda ist keine neue Erfindung. Die Nazis haben ganze Universitäts-Institute gegründet, in denen erforscht wurde, wie man Menschen am besten manipulieren kann. Soziale Netzwerke und das gesamte Internet sind neue Kanäle, um Propaganda zu betreiben.
Das geschieht auch unabhängig von Moderation. Beitragsersteller sind oftmals schlau genug, um Moderationsregeln zu umgehen. Ein Fragezeichen hier, Ironie und Witz dort, Zweideutigkeit, all das macht Inhalte möglich, die die Absicht haben, Menschen zu manipulieren oder in die Irre zu führen.
Hinzukommt, dass Menschen sich nicht einfach so manipulieren lassen. Dazu muss ein Nährboden bestehen. Sie kennen sicher die Werbung mit Markus Lanz, der in Handschellen angeführt wird. Glauben Sie das? Nein. So einfach ist das nämlich nicht. Menschen müssen schon offen dafür sein, an Echsenmenschen zu glauben. Viel hilft aber auch zumindest ein bisschen. Bestimmte Inhalte immer wieder zu sehen, kann dazu beitragen, dass wir es nach und nach auch immer mehr verinnerlichen und anfangen zu glauben.
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Man kann deshalb nicht behaupten, was in sozialen Netzwerken geschieht, hat keine Wirkung. Das wissen wir ja beispielsweise auch dank der Whistleblowerin Frances Haugen. Aber die Macht der sozialen Netzwerke ist begrenzt. Dort stattfindende Manipulation gibt es dabei vor allem fernab von Moderationsmöglichkeiten.
Gleichwohl sollten Hass und Hetze nicht mit Meinungsfreiheit verwechselt werden. Hier braucht es Moderation. Die jedoch sollte auf Gesetzen fuĂźen. Wir haben in Deutschland und in der EU Gesetze, die sagen, was strafrechtlich relevant ist. Der DSA regelt, wie mit solchen Inhalten umzugehen ist. Daran mĂĽssen sich die Plattformbetreiber halten.
Wir werden aber nicht verhindern können, dass sich Menschen in sozialen Netzwerken finden, die an Echsenmenschen glauben oder die mittels Ironie beeinflussen. Der Beziehungsstatus von Meinungsfreiheit und Moderation lautet schon immer: It's complicated.
(emw)