Kommentar: 9-Euro-Ticket kommt ĂĽbereilt und zur falschen Zeit

Das 9-Euro-Ticket hat grĂĽnes Licht bekommen. Redakteur Andreas Wilkens bezweifelt, ob es ein Erfolg wird, wie ihn der Verkehrsminister erwartet.

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(Bild: dpa / Roland Weihrauch)

Lesezeit: 3 Min.

Von Juni bis August sollen öffentliche Personennahverkehrsmittel monatlich nur 9 Euro kosten. Von Juni bis August könnte es also voll werden, der Hashtag #sylt trendete schon vor Tagen auf Twitter, weil sich nun auch weniger begüterte Menschen eine Reise auf die Insel der besser Begüterten leisten könnten. Bundesverkehrsminister Volker Wissing sieht das am heutigen Freitag vom Bundesrat beschlossene Ticket "jetzt schon als Erfolg", denn der ÖPNV sei in aller Munde, auf ihn seien Menschen zugekommen, die ausprobieren wollen, ob er für ihre Arbeits- oder auch Wege zu Urlaubszielen geeignet seien.

Andreas Wilkens

kommt aus den Kulturwissenschaften, wurde frühzeitig in seinem Studium mit Computern konfrontiert – als Arbeitsmittel und Verdienstmöglichkeit. Er kümmert sich im Newsroom von heise online um die Nachrichten aus der IT-Welt.

In der Debatte im Bundesrat am Freitag klang durch – reichlich von mir paraphrasiert –, dass viele Menschen in ihren Blasen mit der Größe der Fahrgastzelle ihres Pkw so gut wie noch keine Erfahrung mit dem ÖPNV gemacht haben. Sofern es solche Menschen wirklich gibt, mag sie das Neun-Euro-Ticket tatsächlich anreizen, wenigstens vorübergehend auf Busse und Schienen zu wechseln.

Zwar wird auch für diejenigen, die bisher schon regelmäßig den ÖPNV genutzt haben, der Preis gesenkt – außer für jene im ICE und andere, wie der Fahrgastverband Pro Bahn einwandte –, aber es wird nicht mehr Platz geschaffen. Die Fahrgäste werden künftig wohl noch öfter als bisher im Gedrängel stehen müssen. Längst schon platzen Regionalzüge und Busse zu manchen Tageszeiten aus ihren Nähten, nun kommen noch Wissings Bekanntschaften hinzu, um dort hineinzuschnuppern. Da wird es wohl fraglich sein, ob sie nach dem Schnuppern auf Dauer mit dem ÖPNV zur Arbeit fahren werden.

Das Neun-Euro-Ticket kommt zum falschen Zeitpunkt, nämlich ausgerechnet dann, wenn ohnehin viele Ferienreisende und damit auch viele sporadische Bahnfahrer unterwegs sein werden. Das Ticket kommt übereilt, weil die Verkehrsunternehmen kaum Zeit hatten, sich auf den zu erwarteten Andrang einzustellen. Im ungünstigsten Fall könnte das Neun-Euro-Ticket dazu führen, dass nicht nur Neulinge abgeschreckt werden, sondern auch die Altpendler mindestens vorübergehend ihr eigenes Auto aus der Garage holen.

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Diese und weitere Argumente gegen das Neun-Euro-Ticket dürften den Entscheidungsträgern und -trägerinnen in der Politik vorab bekannt gewesen sein. Ihnen ging es aber auch darum, den Menschen in Deutschland angesichts der gestiegenen Energie- und anderer Preise möglichst schnell Erleichterungen zu schaffen. Als Gegenpol zum vergünstigten Tanken bot sich da ein Rabatt auf die Preise im ÖPNV an. (Wobei nebenbei angemerkt sei, dass der mögliche Effekt des Neun-Euro-Tickets durch billigeren Sprit geschmälert werden dürfte.)

So funktioniert Politik, hörbar machte das der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU), als er davon sprach, ein "Nein" seines Bundeslands zum Neun-Euro-Ticket wegen ernsthafter fiskalischer Bedenken sei dem Volk schwer verständlich zu machen. An dieser Stelle kann ich sogleich nahtlos auf einen Kommentar verweisen, der aus der Zeit vor dem Neun-Euro-Ticket stammt:

(anw)