Kommentar: Apples Sturheit beim App Store gefährdet Unternehmen

Um die DMA-Regulierung möglichst weit zu umgehen, gefährdet Apple die Sicherheit seiner Kunden. Das muss sofort wieder aufhören, meint Martin Gerhard Loschwitz.

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(Bild: Alberto Garcia Guillen/Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Martin Gerhard Loschwitz

Dass man eine Cashcow melken möchte, solange sie Milch gibt, ist nachvollziehbar. Und aus Apples Sicht ist der App Store genau das, eine Cashcow: Bis zu 30 Prozent Kommission heimst Apple dafür ein, dass es Entwicklern und Unternehmen den Zugang zu den eigenen Geräten über den Umweg des App Store erlaubt. Schätzungen zufolge machen die Umsätze des App Store gute 30 Prozent von Apples gesamtem, riesigem Umsatz aus, ein ausgesprochen einträgliches Geschäft also. Verständlich, dass Apple sich dabei von der Politik nicht hineinreden oder gar hineinregulieren lassen möchte.

Kritikern ist Apples App-Monopol praktisch seit Anbeginn seiner Existenz aus ebenso nachvollziehbaren Gründen ein Dorn im Auge. Die Europäische Union, bekannt für eine recht harte Haltung im Kampf gegen digitale Monopole, machte kürzlich Ernst und zwang Apple – wie alle anderen Hersteller digitaler Güter – mit dem Digital Markets Act (DMA) zum Einlenken. Dabei ist der DMA keinesfalls Apple-spezifisch. Er ist stattdessen explizit konzipiert, um die Macht digitaler "Gatekeeper" zu begrenzen und den Wettbewerb in der digitalen Welt zu fördern. Gut so: Monopole verhindern Innovation und sorgen für hohe Preise, die letztlich nur einem einzelnen Unternehmen nutzen. Man hätte es obendrein ahnen können in Cupertino: Google und Microsoft etwa können jeweils mehrere Liedchen davon singen, wie es ist, beim Aufbau eines Monopols ins Visier der EU zu geraten. Anfang März dann erwischte es auch Apple: 1,8 Milliarden Euro Strafe veranschlagt die EU dafür, dass Apple nach Auffassung europäischer Regulierer die Anbieter von Musikstreaming-Diensten im eigenen App Store überproportional stark benachteiligt, um stattdessen Apple Music erfolgreich am Markt zu platzieren.

Dass Apple sich für iOS- und iPadOS-Geräte als Gatekeeper versteht, hat der Konzern in der Vergangenheit mehr als deutlich gemacht. Immer wieder haben die Hersteller von Apps für diese Betriebssysteme Probleme, weil Apple aus irgendwelchen Gründen neue Versionen einer Anwendung im App Store nicht zulässt oder vorhandene Versionen löscht. Meist, weil diese angeblich gegen die selbstgemachten Regeln des Konzerns in irgendeiner Art und Weise verstießen. Ganz nach dem Motto: L’État, c’est moi – der digitale Staat im Apple-Universum ist Apple und basta. Für Firmen, die sich auf das Spiel einlassen wollen und so nicht nur selber Geld verdienen möchten, sondern auch Apple die Kassen füllen, kann diese Willkür verheerend sein: Wenn sich defekte Anwendungen etwa nicht schnell ersetzen lassen, kann das gerade bei Start-ups sogar die Existenz gefährden. In der Vergangenheit ist das durchaus vorgekommen, quittiert mit Schulterzucken aus dem Silicon Valley und dem gebetsmühlenartig wiederholten Mantra, nur Apple könne sicherstellen, dass die Welt für iPhones, iPads und andere Geräte des Herstellers eine gute und sichere Welt sei und bleibe. In Form des DMA setzte die EU diesem Spiel nun ein Ende.

In Cupertino reagiert man durchaus angefasst: Da könnte ja jeder kommen, denkt man sich, und antwortet auf die Regulierung durch die EU mit einem technischen Amoklauf. Zwar wolle man, so erklärte der Konzern kürzlich, alternative App Stores auf Geräten innerhalb der EU demnächst gezwungenermaßen zulassen. Verlässt ein Gerät dann aber das EU-Hoheitsgebiet, soll es mit der digitalen Freiheit bis zur Wiederkehr sogleich wieder vorbei sein. Wer ein bisschen Ahnung von IT-Sicherheit hat, greift sich intuitiv an den Kopf: Wie beim Original des Herstellers wird es schließlich auch bei alternativen App-Stores so sein, dass Updates für schon installierte Apps über denselben App Store erfolgen müssen, aus dem auch die originale Anwendung stammt. Indem Apple den Zugriff auf jene Stores außerhalb der EU allerdings verunmöglicht, verhindert der Konzern eben diese Updates. Wer also ein iPhone als Diensthandy nutzt und für mehr als einen Monat dienstlich in den USA unterwegs ist, ist selbst von Sicherheitsupdates für schwerwiegende Security-Bugs kategorisch abgeschnitten. Mit Verlaub, aber: Geht's noch? Statt ein sinnvolles Konzept dafür zu entwickeln, wie man mit der Regulierung innerhalb der EU umgehen möchte, legt man sich wie ein trotziges Kind strampelnd auf den Boden und brüllt "ich will aber". Das Vorgehen schadet Apple dabei gleich in mehrerlei Hinsicht: Einerseits kratzt es am – auch von Apple selbst kultivierten – Bild des Anbieters, der großen Wert darauf legt, dass die eigene Kundschaft ihre Geräte sicher nutzen kann. Andererseits zeigt Apple, dass es das Geld von Kunden in der EU zwar gerne nimmt, darüber hinaus aber auf die europäischen Regeln weitgehend pfeift. Im Hinblick auf Apples Umsatz ist Europa übrigens auch nicht gerade irgendwer – der europäische Anteil am Gesamtergebnis des Konzerns liegt je nach Quartal zwischen 20 und 30 Prozent.

Abzuwarten bleibt, wie die EU auf den Affront reagieren wird. Unkommentiert kann sie ihn kaum lassen, und gefallen lassen kann sie sich das hirnrissige Gebaren des Smartphone-Giganten ebenso wenig. Zumindest nicht, wenn sie auch nur in irgendeiner Form als regulierende Instanz ernst genommen werden möchte. Denkbar wäre einmal mehr der Umweg über das Portemonnaie, etwa indem man Apple innerhalb der EU finanziell haftbar für Probleme macht, die aus nicht installierbaren Updates resultieren. Vor dem Hintergrund der IT-Sicherheit sowie vor dem Hintergrund der unsäglichen Frechheit des Anbieters gegenüber der EU als solcher bleibt obendrein zu wünschen, dass in Kalifornien bald der nächste Strafbescheid aus Brüssel ankommt, gerne auch mit ordentlichem Unbelehrbarkeitszuschlag. Denn sein eigentliches Ziel kann der DMA unter den gegebenen Umständen so gar nicht erreichen. Es verbietet sich, Anwendungen aus App Stores zu installieren, von denen man nicht sicher sein kann, dass sie dauerhaft und permanent zur Verfügung stehen. Zumindest dann, wenn das eigene Smartphone nicht zum Sicherheitsrisiko werden soll. Unternehmen etwa, die innerhalb der EU Datenschutz-Regularien wie der DSGVO unterliegen, werden im Hinblick auf die gegebenen Regeln andere App-Stores, als den des Herstellers auch künftig meiden müssen, um kein unnötiges Risiko einzugehen.

Dass Apple seine Umsätze so vehement und verbissen verteidigt, dass man sich sogar mit der EU anzulegen bereit ist, weist obendrein auf tieferliegende Probleme des Konzerns hin. Denn großartige Innovation von Apple ist seit Steve Jobs' Tod eher die Ausnahme als die Regel. Nachfolger Tim Cook galt von Anfang an als eher dröger Ersatz mit dem Charme und Esprit einer Flasche Holzleim. Die iPhone-Umsätze des Konzerns erreichen zwar noch immer schwindelerregende Höhen, und Cook hat daran zweifelsohne einen hohen Anteil. Sie wachsen aber nicht mehr wesentlich, weil der Markt der Smartphones gesättigt ist. In Sachen KI, dem aktuell alles überstrahlenden Thema, ist Apple schlecht aufgestellt. Die letzte echte Innovation war die Apple Watch, Teil eines ebenfalls mittlerweile gesättigten Wearable-Marktes – und Apples AR-Brille versucht gerade erst, so richtig durchzustarten. Man will entsprechend lieber mit den Pfunden wuchern, die man hat. Das alles erinnert frappierend an einen anderen Konzern in früheren Jahren: Microsoft. Nach dem Ausscheiden von Bill Gates übernahm dort Steve Ballmer 2000 das Regiment und führte den Konzern zunächst in Form von Windows XP zu einem globalen Megaerfolg. Je länger Ballmers Herrschaft dauerte, desto träger und behäbiger wurde Microsoft allerdings. Zentrale Trends wie den Smartphone-Boom oder das aufkommende Cloud-Computing verschlief man. 2014, also nach 14 Jahren, war dann für Ballmer Schluss und Satya Nadella begann damit, Microsoft sukzessive neues Leben einzuhauchen. Azure etwa gäbe es in seiner heutigen Form ohne Nadella wohl so nicht.

Tim Cook beginnt 2024 sein 14. Jahr als CEO von Apple. Er vollendet zudem sein 64. Lebensjahr und ist insofern auch kein ganz junger Hüpfer mehr. Noch sitzt er zwar fest im Sattel – in den Dimensionen, in denen Apple sich (vor allem finanziell) bewegt, kann sich das allerdings einigermaßen flott ändern. Apple täte gut daran, sich auf moderne Trends wie KI und andere Dinge zu fokussieren, statt mit Regulierern wie der EU Grabenkämpfe anzuzetteln. Vielleicht ist dafür frischer Wind nötig. Und wer weiß: Vielleicht beglückt Tim Cook die Welt bis dahin ja noch damit, schnaufend über irgendeine Bühne zu rennen und seine Liebe für die Entwickler kundzutun, die über diverse App Stores zum Erfolg der iOS-Plattform beitragen. Das ist zwar nicht sehr wahrscheinlich. Aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.

(fo)