Kommentar: Büro oder Homeoffice? Kehrt den Regelfall um!

Die Deutschen müssen heute zurück in die Büros. Das ist ein Fehler, meint Jonas Volkert: Ein Plädoyer für mehr Eigenverantwortung.

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(Bild: A.Basler/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
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Die Sonne strahlt, deutsche Angestellte nicht: Kaum meldet sich der Frühling vorsichtig an, ordern ihre Chefs sie zurück in die tristen Betonklötze, die sich Bürogebäude schimpfen. Schluss also auch mit der entspannten Mittagspause im heimischen Grün: Ab jetzt heißt es wieder Mittagsfraß in der Großraumkantine. Und die wiedererblühende Natur können sie ja trotzdem noch genießen, wahlweise durch die Windschutzscheibe im Stau des frühmorgendlichen Berufsverkehrs oder sogar als Social Event: Pünktlich zu Rekord-Corona-Infektionszahlen eng gequetscht in überfüllten Pendler-Bussen. Das ist selbstverständlich großer Schwachsinn: Das Homeoffice hat sich in den letzten beiden Jahren bewährt – wer will, sollte auch so weitermachen dürfen.

Ein Kommentar von Jonas Volkert

(Bild: 

Moritz Förster

)

Jonas Volkert ist Redakteur bei iX und schreibt auch für heise online. Er betreut hauptsächlich die Bereiche Karriere, E-Health und E-Government.

Keine Frage: Im Frühjahr 2020 hakte es wegen des hastigen Büro-Exodus noch ein wenig; nicht alles lief so geschmeidig ab, wie im etablierten Büroalltag. Inzwischen haben die meisten sich und ihre Arbeitsabläufe aber doch gut eingegroovt. Und so drängt sich die Frage auf: Wenn die Arbeit in den eigenen vier Wänden schon damals, völlig überstürzt zu Pandemiebeginn irgendwie klappte, wie gut könnte es denn dann erst jetzt funktionieren, wenn wir uns das trauen würden?

Zugegeben, verteiltes Arbeiten ist nicht in allen Branchen ohne Probleme möglich. In der IT ging es aber schon lange – und wie sich gezeigt hat: Auch in vielen anderen Branchen erlaubt es das Aufgabenprofil sehr wohl. Gerne wird als Grund für die Pflichtpräsenz der mangelnde persönliche Austausch in Kaffeeküche & Co. und die daraus erwachsende Entfremdung der Teams angeführt. Ganz davon abgesehen, dass allzu kommunikative Gesprächsgrüppchen an Wasserspendern in Vor-Corona-Zeit eher Auslöser für chefseitigen Tadel waren, statt dass sie als wichtige Teambuilding-Maßnahmen galten: Kontakte knüpfen kann man in Zeiten von Remote-Tools durchaus auch trotz physischer Distanz.

Und so bitter das auch klingen mag: Nicht aus jedem kollegialen Verhältnis erwächst eine blühende Freundschaft. Das war vor der Pandemie so, wird sich auch jetzt nicht ändern und ist ja auch gar nicht schlimm. Außerdem bedeuten getrennte Arbeitsstätten ja nicht, dass man sich nie begegnen darf. Das viel beschworene Gemeinschaftsgefühl lässt sich auch anders stärken: Teambuilding-Maßnahmen à la Weihnachtsfeiern und Sommerfeste stärken den Zusammenhalt deutlich nachhaltiger, als die bloße gemeinsame Anwesenheit im Großraumbüro. Und wer wegen fehlendem Privatinteresse an Kolleginnen und Kollegen von solchen freiwilligen Team-Events fernbleibt, der wird ohnehin auch im Büro nicht zum Socializer und zwischenmenschlichen Dreh-und-Angelpunkt der Belegschaft.

Das alles bedeutet freilich nicht, dass man alle Büros sofort zuschließen muss. Sicher gibt es im Einzelfall sehr gute Gründe, warum Angestellte lieber nicht daheim arbeiten können oder möchten. Nur: Das einzuschätzen sollte man mündigen Menschen doch wohl noch selbst zutrauen und anschließend gemeinsam im Zwiegespräch zwischen Führungskraft und Beschäftigten die Arbeitsstätte bestimmen. Ist das Vertrauensverhältnis derart zerrüttet, dass man ihnen diese Einschätzung nicht zutraut, dann scheint im Verhältnis der Betriebsleitung zur Belegschaft noch deutlich mehr im Argen zu liegen, als die Frage nach dem regelmäßigen Arbeitsplatz.

Auch wenn sie es vielleicht noch gar nicht direkt erkennen: Die Early-Adopter der deutschen Unternehmerschaft können von laxeren Homeoffice-Regeln durchaus auch profitieren. Kurzfristig, weil die Nebenkosten in kleineren Büro-Räumlichkeiten je nach Zahl der Zuhausebleibenden niedriger sind. Aber auch langfristig: Die viel zitierte Fachkräftelücke kann man nachhaltig nur mit der jungen Generation der Berufsanfängerinnen und -anfänger füllen. Und gerade diese jüngeren Jahrgänge startete nun im Homeoffice ins Arbeitsleben – mit all den Vorzügen, die ihnen die Arbeit zu Hause in den letzten zwei Jahren schmackhaft gemacht haben. Zurück zu alten Arbeitsmodellen will der Nachwuchs jedenfalls nicht – das zeigen Studien. Wer Remote-Arbeit jetzt zur Regel macht, wird für diese gefragte Gruppe attraktiver.

So könnten wir in einer schönen neuen Homeoffice-Realität alle – Geschäftsleitungen und Angestellte – gemeinsam den wohlverdienten Frühling genießen: die glücklichen Eigenheimbesitzer mit Blick auf das heimische Garten-Idyll, allen anderen fällt der Ausflug in die nächste Parkanlage ohne den stressigen Feierabend-Verkehr auch leichter. So ein abendlicher Spaziergang ist ja ohnehin zu empfehlen, nach so einem langen Homeoffice-Arbeitstag in den eigenen vier Wänden mit wenig Bewegung.

(jvo)