Kommentar: Der Hauptsatz der legislativen Dynamik

Warum sind die Corona-Verordnungen so verworren? Dahinter dürfte die selbe Systematik stehen, die auch das EEG bis zur Unkenntlichkeit entstellt hat.

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Wo ist hier der Ausgang?

(Bild: Susan Q Yin / Unsplash)

Lesezeit: 3 Min.

Warum nur sind die Corona-Regeln mitunter so hirnerweichend unlogisch und widersprüchlich? Nach Mallorca fliegen zum Beispiel geht, in sein eigenes Ferienhaus an der Nordsee fahren geht nicht. Blumen kaufen ist okay, Schuhe kaufen nicht. Direkt vor einer Eisdiele Eis essen ist illegal, 50 Meter weiter legal (selbst wenn da schon die nächste Eisdiele lauert). Und so weiter, und so fort.

Vieles liegt sicherlich daran, dass die entsprechenden Regeln mit heißer Nadel gestrickt wurden. Doch ich glaube, dahinter auch eine gewisse Systematik zu erkennen – so eine Art Hauptsatz der legislativen Dynamik: Die Unordnung in einem Gesetz nimmt zu.

Zum Beispiel beim mittlerweile 20 Jahren alten Erneuerbare-Energien-Gesetz: Bei PV-Anlagen unterhalb von 30 Kilowatt ist der Eigenverbrauch frei, darüber sind darauf 40 Prozent der EEG-Umlage fällig. Betreiber von Anlagen zwischen 100 und 750 kW bekommen keine Einspeisevergütung, sondern müssen ihren Strom direkt vermarkten. Über 750 kW gibt es – bis zu einer Höchstgrenze von 20 MW – zwar wieder eine Einspeisevergütung, aber nur per Ausschreibung. Und der Eigenverbrauch ist dann verboten.

Alles klar?

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

Ich unterstelle bis zum Beweis des Gegenteils, dass solches Tohuwabohu ursprünglich auf das Bedürfnis zurückgeht, es recht machen zu wollen. Also wird für jeden Sonderfall noch ein Pflästerchen draufgeklebt. Das ist zunächst einmal nichts Schlechtes. Doch irgendwann besteht ein Gesetz mehr aus Pflastern als aus Regeln – und niemand durchschaut mehr, welches Pflästerchen welches Problem genau lösen sollte. Zum Beispiel beim Eigenverbrauchsverbot für PV-Anlagen über 750 KW: Wozu genau soll das dienen? Macht es den Strommarkt in irgendeiner Form fairer, funktioneller, gerechter? Ich habe nicht den leisesten Schimmer.

In diesem Fall ist die praktische Relevanz überschaubar, schließlich dürfte der Eigenverbrauch bei Solarparks dieser Größenordnung ohnehin keine Rolle für die Wirtschaftlichkeit spielen. Doch gerade wenn das so ist: Warum lässt man den Passus dann nicht einfach weg? Musste da vielleicht noch irgendein Verhandlungspartner mit einem Placebo gepampert werden, damit er sich nicht aus Trotz gegen wichtigeres sperrt? Brauchte da noch jemand unbedingt ein Verhandlungserfölgchen für sein Ego?

Weiter verkompliziert wird die Lage durch legislatives Micromanagement. Zum Beispiel die Sache mit den Eisdielen – es gibt längst eine Regel, die jede weitere überflüssig macht: Haltet Abstand. Egal ob vor, neben, über oder unter Eisdielen, Dönerläden, Blumenläden, Bühnen, Bars oder Altären. Ist das nicht möglich, bleibt halt weg. Jede weitere gesetzgeberische Spezifikation darüber hinaus ist völlig unnötig. Und wenn das Abstandhalten nicht ausreichend durchgesetzt werden kann, dann helfen ein paar redundante Zusatzregeln auch nicht weiter.

Das eigentliche Problem solcher Pseudo-Kompromisse sind nicht nur bis zur Unkenntlichkeit aufgedunsene Gesetze. Das eigentliche Problem ist: Das Ziel solcher Gesetze ist in den seltensten Fällen damit erreicht, sich mit politischen Gegnern, Lobbyisten oder Koalitionspartnern zu einigen. Die eigentlichen Adressaten sind in diesen Fällen das Klima beziehungsweise ein Virus. Und die lassen nicht mit sich verhandeln. (grh)