Kommentar: Die EU deformiert das Urheberrecht
Statt das Urheberrecht zu modernisieren, holt das EU-Parlament gescheiterte und schädliche Projekte aus der Mottenkiste, meint c't-Redakteur Holger Bleich.
Der EU-Parlamentarier Axel Voss (CDU) hatte am vergangenen Mittwoch allen Grund zur Freude. Als momentan Verantwortlicher für die EU-Urheberrechtsreform durfte er verkünden, dass sein Kompromissvorschlag die Mehrheit im Rechtsausschuss erhalten hatte: "Der Vorschlag des Ausschusses soll sicherstellen, dass allgemein anerkannte und akzeptierte Urheberrechtsgrundsätze auch für die Online-Welt gelten. Eine Welt, die Meinungsfreiheit verteidigt, die aber auch unsere auf Regeln gebaute Gesellschaftsordnung widerspiegelt." Gesellschaftsordnung? Meinungsfreiheit? Nein, Voss verteidigt hier in Wahrheit etwas, das darauf abzielt, viele progressive, kreative, offene Aspekte der Inhaltsgenerierung im Web zu unterdrücken.
Im Kern greifen die Artikel 11 und 13 des Gesetzesvorschlags gleich mehrere jahrzehntelang – auch in der EU – gelebte Internet-Fundamente an: Wer fremde Informationen nur durchleitet oder bereitstellt, haftet bislang nicht dafür. Wer fremde Informationen verlinkt oder als Minimalzitate ("Snippets") wiedergibt, trägt zu deren Verbreitung bei, sorgt damit vielleicht sogar für Profit beim Verlinkten und ist deshalb nicht böse, sondern ein Teil des Hyperlink-Webs. Sollten aber durch diese Handlungen Urheberrechte verletzt werden, muss die Verletzung ab Kenntnis aufhören ("Notice and Takedown").
Paradigmenwechsel
All das soll bald nicht mehr gelten. Der beschlossene Kompromiss – wesentlich unterstützt von rechtsradikalen Kräften im EU-Parlament – sieht vor, dass Plattformen aller Couleur von Nutzern hochgeladene Inhalte vor Veröffentlichung auf Urheberrechtsverstöße prüfen müssen. Aufgrund der schieren Menge läuft das bei YouTube, Facebook und Co. de facto auf automatisierte Upload-Filter hinaus. Algorithmen suchen dann nach Verstößen, und sie werden, wie derzeit bei YouTube zu beobachten, oft daneben liegen – legal hochgeladener Content wird mitunter unveröffentlicht bleiben.
Axel Voss handelt sogar gegen den erklärten Willen seiner Partei, die noch im Koalitionsvertrag Februar 2018 klargestellt hat: "Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu 'filtern', lehnen wir als unverhältnismäßig ab." Trotz dieser luftigen Botschaft sind keinerlei Bemühungen von CDU-Bundespolitikern bekannt, Voss zum Umdenken zu bewegen.
Enormes Schadenspotenzial
Welchen Einfluss die Lobby der Medienindustrie genießt, wird beim ebenfalls beschlossenen Leistungsschutzrecht besonders deutlich: Ein Projekt, das in zwei europäischen Staaten jeweils krachend gescheitert ist, soll nun in verschärfter Form in ganz Europa funktionieren? Ignoriert wird überdies, dass sogar eine vom EU-Parlament beauftragte Studie empfiehlt, das Projekt wegen Wirkungslosigkeit aufzugeben. Stattdessen glaubt man offensichtlich lieber den Märchen eines mächtigen Verlagschefs und setzt kritische Journalisten unter Druck.
Mit Upload-Filtern und Leistungsschutzrecht soll der "Kreativwirtschaft" also nun zur Durchsetzung ihrer Rechte verholfen werden. Es mag sein, dass das klappt, aber der gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Schaden wäre enorm: Google und Facebook filtern schon jetzt, sie würden ihre Systeme allenfalls schärfer schalten. Doch kleinere, spezialisierte Alternativ-Plattformen stünden vor unlösbaren Problemen. Auf den Punkt brachte es ausgerechnet der Facebook-Sicherheitschef Alex Stamos auf Twitter: "Wenn das Europäische Parlament garantieren will, dass keine europäischen Unternehmen jemals in der Lage sein werden, mit den US-Giganten zu konkurrieren, dann hatten sie einen guten Start." (hob)