Kommentar: KI ist keine Abnehmspritze für zuviel Bürokratie

Deutschland erstickt an seiner Bürokratie, KI soll das Heilmittel dafür sein. Axel Kannenberg wünscht sich da lieber weniger Vorschriften statt Tech-Placebos.

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Hand ragt aus einem Papierstapel in einem Büro hervor.

(Bild: Stokkete/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
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Eines hat in Deutschland stets Konjunktur: Bürokratie. Mit tätiger Hilfe der EU hat unser Staat ein imponierendes Bollwerk aus Vorschriften und Regularien errichtet. Die Auswirkungen sind spürbar: Immer lauter pochen Bürger an die Tür der Abteilung für provisorische Rundschreiben, die mal wieder vier bis sechs Monate für den Antrag braucht, weil auch sie vollkommen überlastet ist. Und die hiesige Wirtschaft muss laut Schätzungen des ifo-Instituts inzwischen 146 Milliarden Euro jährlich nur für Bürokratiebewältigung aufbringen.

Ein Kommentar von Axel Kannenberg

Axel Kannenberg durchforstet seit 2012 für heise online und seit 2023 für iX die unendlichen Weiten des Internets nach News, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Beherrscht die edle Kunst des Beleidigungsfechtens. Hat 2013 einen Döner für umgerechnet mehrere Tausend Euro genossen (nach heutigem Bitcoinkurs).

Keine Frage, unser Land verliert zunehmend an Handlungsfähigkeit. Was kann man tun? Die Politik redet viel über Entbürokratisierung, liefert bislang aber nur Diäten mit starkem Jo-Jo-Effekt. Der neueste Bauch-weg-Gürtel soll es richten: generative KI.

Bis zu 19 Millionen Euro steckt zum Beispiel die Bundesagentur für Arbeit in einen Rahmenvertrag mit dem KI-Startup Aleph Alpha. Da könne man bis zu dreißig Prozent Zeit bei der Bearbeitung von Bescheiden einsparen. Auch in den Gerichten, wo sich die Aktengebirge zur Zugspitze auftürmen, soll KI ran, etwa für Massenverfahren. Und die drei Stunden täglich, die medizinisches Personal im Schnitt für Dokumentation verbraten muss, will man mit Ansätzen wie einer Arztbrief-KI klein zaubern.

Ja, generative KI ist jetzt das dicke Ding im "Public Sector", wie eine Studie vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) herausgefunden haben will. Google hat die netterweise bezahlt. Abläufe automatisieren, Daten analysieren, Texte zusammenfassen, die KI soll demnach der Verwaltungsturbo werden. Und wie IW-Direktor Michael Hüther sagt: "Demokratieverstärker". Weil sie den Staat handlungsfähiger machen und verlorenes Vertrauen der Bürger wiederherstellen könne.

Um bis zu 23,9 Milliarden Euro könnte so die Wertschöpfung im öffentlichen Sektor gesteigert werden, behauptet die Studie. Und sicher auch die Wertschöpfung der Techbranche, irgendwer muss ja auch die teuren KI-Rechenzentren und deren horrende Stromrechnungen zahlen. Da frage ich mal für einen Freund, den deutschen Steuerzahler.

Generative KI ist doch nach wie vor zutiefst anfällig für Halluzinationen, sodass man ihre Ergebnisse oft händisch nachprüfen muss? Damit wird man sicher 300 Prozent effizienter beim Verfassen von irrelevanten Meetingprotokollen und Zwinkersmiley-LinkedIn-Postings. Aber wie kann so etwas völlig überkomplexe Prozesse mit kaum überschaubaren Verantwortlichkeiten in Ordnung bringen? Und noch schlimmer: Was soll KI reißen, wenn das Problem eine reichlich nebulöse Gesetzesgrundlage ist, deren Klärung gerne den Gerichten überlassen wird? IT-Freelancer kennen das ja beim leidigen Thema Scheinselbständigkeit – und natürlich setzt man auch bei der Deutschen Rentenversicherung in dieser Frage auf eine KI für Betriebsprüfungen.

Digitalisierung ist zweifellos ein zentraler Baustein für leistungsfähige Verwaltung – wir brauchen etwa dringend digitale Schnittstellen zwischen den Behörden. Beim aktuellen Hype um Verwaltungs-KI halte ich es aber lieber mit Erika Raab, der Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Medizincontrolling. Sie sagt zum Vorgabe-Irrsinn, der auch bei Abrechnungen für medizinische Leistungen fröhlich auf den Tischen tanzt: "Aktuell gibt es über 980 sich teilweise überschneidende Abrechnungsregeln und Varianten. Das kann keiner mehr überblicken und da hilft auch keine Künstliche Intelligenz." Und sie macht eine klare Ansage, die ich gerne der nächsten Regierung mit roter Tinte und dick unterstrichen ins Muttiheft schreiben würde: "Hier müssen wir einmal aufräumen."

So ist es. Schlanke, gute Vorschriften machen und die Legion an viel zu komplexen abbauen – das würde mein Vertrauen in den Staat deutlich steigern. Aber das ist leider ein hartes Brot in unserer auch nicht gerade unkomplizierten Verfahrensdemokratie. Viel leichter ist es da wohl, Steuergeld auf windige Verheißungen der Techbranche zu werfen. Das Versprechen kennt man aus der Fernsehwerbung der 80er: "Ich will so bleiben, wie ich bin – du darfst!" Doch wenn sich am Regulierungsverhalten nichts ändert, dann helfen die digitalen Abnehmspritzen nichts.

(axk)