Kommentar zu Modern Solution: Der Hackerparagraf muss endlich weg!​

Das Modern-Solution-Verfahren ist nur eins in einer langen Reihe von Fehltritten der deutschen Justiz, wenn es um Digitalpolitik geht.​

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Einsatzbereite Handschellen

(Bild: Maksim Kabakou/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel

Über das vergangene Jahrzehnt hinweg habe ich knapp ein Dutzend Mal in deutschen Gerichtssälen gesessen, wenn Streitfälle um Computer-Software verhandelt wurden – sowohl im Zivil- als auch im Strafrecht. Da ging es um Drogenhandel, das Urheberrecht am Linux-Kernel und, in dieser Woche, um einen Programmierer, der eine gravierende Sicherheitslücke schließen wollte. Bei jedem dieser Verfahren wurde deutlich, dass die Vorsitzenden Richter nur ein sehr rudimentäres Verständnis davon hatten, was eigentlich Gegenstand der Verhandlung war. Das führt in der Regel zu Entscheidungen, die Experten auf dem Gebiet kaum nachvollziehen können.

Ein Kommentar von Fabian A. Scherschel

Fabian A. Scherschel schrieb von 2012 bis 2018 als Redakteur täglich für heise online und c't, zuerst in London auf Englisch, später auf Deutsch aus Hannover. Seit 2019 berichtet er als freier Autor und unabhängiger Podcaster über IT-Sicherheit, Betriebssysteme, Open-Source-Software und Videospiele.

Daraus habe ich den Schluss gezogen, dass der Gesetzgeber solche fehlgeleiteten Gesetze wie den Hackerparagrafen (§ 202c StGB) umgehend abschaffen muss. Und ich würde sogar so weit gehen, dass ohne eine umfassende Reform des Justizsystems gar keine neuen Gesetze mehr verfasst werden sollten, die sich mit digitaler Technik beschäftigen. Denn selbst wenn die Politiker, die diese Gesetze einführen, verstehen, was sie da tun (was meistens auch nicht der Fall ist), nützt das rein gar nichts, wenn diese Gesetze dann von Richtern angewandt werden, welche die Materie nicht verstehen.

Das ist beim Hackerparagrafen schon schlimm genug: Da wird dann ein Programmierer verurteilt, der versucht, im Sinne der Allgemeinheit eine Sicherheitslücke zu schließen und dafür sorgen will, dass die Firma, die dies verbockt hat, dafür verantwortlich gemacht wird. Stattdessen zeigt die Firma ihn an, sein Arbeitswerkzeug wird ihm weggenommen und er muss plötzlich mit Gefängnis rechnen. Vorbestraft, weil man so dumm war, helfen zu wollen. Und die Gegenseite darf weiterhin die Daten der Allgemeinheit mit Software gefährden, für die Leute auch noch Geld bezahlen sollen.

Unsere Zukunft sieht düster aus. Uns stehen Gesetze wie Chatkontrolle, der Digital Services Act und die KI-Gesetzgebung der EU ins Haus, die von Politikern gemacht werden, die Emacs nicht von Vim auseinanderhalten können, aber meinen, sie könnten gute Digitalpolitik machen. Und vor Gericht wird dann anhand dieser Gesetze von Richtern entschieden, die es nicht hinterfragen, wenn ein Staatsanwalt, wie diese Woche in Jülich geschehen, es für verdächtig hält, wenn ein als Programmierer arbeitender Mensch einen De-Compiler auf der Festplatte hat. Jeder Handwerker muss hierzulande Kenntnis der Materie nachweisen, um arbeiten zu dürfen. Aber Richter und Politiker machen einfach ohne Vorwissen, was sie gerade interessant finden?

Wir digitalisieren unsere komplette Gesellschaft und jede Minute unseres Lebens und die Regeln dafĂĽr werden von unqualifizierten Menschen gemacht und ĂĽberwacht. Wir bestrafen Menschen, die Gutes tun wollen und belohnen die, die auf Kosten der Gesellschaft reich werden. Schlechter geht es nicht. Wir brauchen ein Umdenken, wenn wir eine progressiv denkende, moderne Gesellschaft mit gerechten Regeln werden wollen. Und der erste Schritt ist schon mal offensichtlich: Schafft den Hackerparagrafen endlich ab!

(mki)