Kommentar zu Scheinselbstständigkeit: Gleicher Maßstab für alle!

IT-Freelancer schätzen Freiheit und Eigenverantwortung. Die DRV wittert oft Scheinselbstständigkeit. Dorothee Wiegand ist auf den Praxistest gespannt.

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, Hans Jürgen Marhenke
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Von
  • Dorothee Wiegand
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This article is also available in English. It was translated with technical assistance and editorially reviewed before publication.

IT-Freelancer wollen selbstständig arbeiten, in wechselnden Projekten. Sie schätzen Freiheit und Eigenverantwortung, mit der sie auch selbst entscheiden, wie sie für ihr Alter vorsorgen. Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) möchte von Personen, deren Arbeit sie als abhängig ansieht, Beiträge zur Rentenversicherung haben. Zwischen den nachvollziehbaren Ansprüchen beider Seiten liegt eine Grauzone voller Vorwürfe und Unterstellungen. Der DRV fehle das Verständnis für moderne Methoden der Softwareentwicklung, sagen IT-Freelancer. Die Freelancer vernachlässigten ihre Altersvorsorge und seien oft nur scheinselbstständig, kontert die DRV.

Dorothee Wiegand
Ein Kommentar von Dorothee Wiegand

Dorothee Wiegand kam nach Jobs in der Systemadministration vor 25 Jahren in die c’t-Redaktion, schrieb dort über Anwendungssoftware, Bildungs- und Arbeitsmarktthemen und arbeitet heute als freie Autorin.

Jetzt macht die Behörde den Praxistest: In der zweiten Jahreshälfte 2024 hat sie selbst Projektstellen für fünf große IT-Vorhaben ausgeschrieben. Gesamtvolumen: 414 Millionen Euro. Insider vermuten, dass es unter anderem um die Entwicklung von Software geht, mit der Betriebsprüfungen der DRV künftig zum Teil automatisiert ablaufen sollen. Nach welchen Kriterien die Behörde bei solchen Betriebsprüfungen mal eine abhängige, mal eine selbständige Tätigkeit feststellt, bleibt unklar. Agile Softwareentwicklung stuft die DRV erfahrungsgemäß oft als abhängige Beschäftigung ein. Weitere Indizien für Scheinselbstständigkeit sind laut DRV gegeben, sobald eine Person Arbeitsmittel des Projektanbieters nutzt oder ihre Arbeitszeiten exakt dokumentieren muss.

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All das trifft auf die Projekte zu, für die die DRV nun Freiberufler sucht. Ich bin gespannt, wie der Praxistest weitergeht. Werden die DRV-Prüfer auch im eigenen Haus akribisch prüfen? Werden sie dabei Scheinselbstständigkeit diagnostizieren, weil die für die DRV tätigen Freelancer Arbeitsmittel der Behörde nutzen und geleistete Stunden in von der DRV bereitgestellten Exceltabellen erfassen müssen?

Ich hoffe auf einen anderen Ausgang. Nämlich darauf, dass der DRV auffällt, wie unverzichtbar IT-Freelancer in Softwareprojekten sind. Wie Handwerksgesellen auf Wanderschaft lernen sie ständig dazu und tragen ihr Wissen von Ort zu Ort. Ihre Freiheit verschafft Projektanbietern Flexibilität. Vielleicht erkennt die DRV, dass die Selbstständigen Anerkennung und Planungssicherheit verdienen statt Generalverdacht und Gängelei.

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(dwi)