Kommentar zum Digitalgipfel: Keiner will Schuld haben
Der Digitalgipfel ist eine Bestandsaufnahme der Arbeit der Bundesregierung und des Gipfels selbst. Bei beidem wäre noch Luft nach oben, meint Falk Steiner.​

Banderia Tedesca al vertice
Evviva il digitalismo apice
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(Bild: fdecomite "German Flag" CC BY 2.0 / Bearbeitung: heise online)
Gipfel, das klingt wichtig. Nach Entscheidungen, nach Relevanz, vielleicht auch Expertise. Doch Entscheidungen werden auf dem Digitalgipfel nicht getroffen, und kaum verkündet. Selten gibt es mehr als Absichtserklärungen – und die haben bekanntermaßen ihre Tücken.
Der Gipfel ist bis heute nicht vollständig von seinem Ursprung weggekommen: eine Veranstaltung von IT-Wirtschaft und Bundesregierung. Das wäre nicht automatisch schlecht, ist aber ein Format, bei dem wenig diskutiert wird – und sich die Bundesregierung möglichst kritikfrei in ein positives Licht zu rücken sucht. Ein Beispiel: Am ersten Tag bot Bitkom-Chef Ralf Wintergerst dem Bundeskanzler an, eine Liste dessen zu erstellen, was die deutsche IT-Branche für mehr digitale Souveränität liefern könne. Der Kanzler lehnte dies nicht als unbotmäßigen Lobbyismus ab, sondern bat um Übersendung. Ohne Anflug von Ironie.
Die schlechten Wirtschaftsdaten lassen die Ampelkoalitionäre den Wünschen der Wirtschaft immer näher treten. Kritik an deren Forderungen ist angesichts der Umstände kaum mehr zu vernehmen.
Tatsächlich hat Digitalminister Volker Wissing (FDP) Recht, wenn er vor Schlechtreden des Digitalstandortes warnt. Ein Ansatz, den er mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) teilt. Und ja, inzwischen sind einige Punkte der Digitalstrategie der Bundesregierung abgearbeitet. Selbst der Glasfaserausbau schreitet voran. Aber diese Ziele sind selbstgesteckt, und einige waren sehr risikoarm, etwa der Mobilfunkausbau. Andere sind eher absurd, wie die von Wissing bemühte Zahl zu Glasfaser im Straßenland. Die eigenen Ziele nach 75 Prozent der Regierungslaufzeit wenigstens zu einem Gutteil zu erreichen, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. In Frankfurt wollte die Regierung dafür gelobt werden.
Scheiterkultur fordern, ohne selbst Scheitern zuzugeben
Viele der Großprojekte sind nicht wirklich umgesetzt oder haben Probleme, Grundsatzentscheidungen stehen aus. Innenministerin Nancy Faeser scheut Digitalisierungsthemen inzwischen offensichtlich, in Frankfurt überließ die erste Riege jede Form der Selbstkritik kleineren Kalibern. Kein Wort des Vizekanzlers oder des Kanzlers zum Scheitern des Intel-Projekts in Magdeburg, über Souveränität wurde trotzdem gern geredet. Und die Probleme mit Wolfspeed existierten auf dem Gipfel ebenfalls nicht.
Die alljährlichen Forderungen, eine Kultur des Scheiterns bei Start-ups zu etablieren, prallen auf die Realität, in der eigenes Scheitern seitens der Politik möglichst ausgeblendet wird. Auch wenn manche BMI-Vertreter auch auf der Bühne Probleme einräumen, etwa bei der Verwaltungsdigitalisierung: Dass die Digitalisierung der Verwaltung mit der Fassadensanierung namens Onlinezugangsgesetz immer halbgar bleiben musste, dass für eine Volldigitalisierung eine Föderalismusreform fast zwingend wäre – solche Gedanken kommen auf Digitalgipfeln fast nur in Gesprächen am Rande vor. Auf der Bühne werden lieber kleine Brötchen gebacken.
Regulierende kritisieren Regulierungsprobleme
Was sich auf dem Digitalgipfel in Frankfurt zeigte, waren also vor allem die hektischen Flecken eines Kabinetts in schwierigen Zeiten. Immer wieder soll jetzt die Regulierung irgendwie schuld sein. Wer die nur gemacht hat? Künstliche Intelligenz (KI) soll jetzt möglichst schnell und möglichst umfassend kommen, auf keinen Fall mit irgendwelchen deutschen Sonderwegen. Als ob es nicht dieselbe Bundesregierung gewesen wäre, die die KI-Verordnung mitverhandelt hätte.
Und über die Datenschutzaufsichtsbehörden müsse man dringend sprechen, sagen vor allem Grüne wie Wirtschaftsminister Robert Habeck oder die Startupbeauftragte Anna Christmann. Als ob es nicht FDP und Grüne gewesen wären, die immer für einen starken Datenschutz eingetreten sind. Und einen Gesetzesvorschlag müsste eh das SPD-geführte Innenministerium machen. Es ist also ein durchschaubares Spektakel: Alle anderen sind schuld an der Lage – wir sind nur die Bundesregierung, die jetzt aber wirklich endlich anpackt.
Kompetenzprobleme
Ob dafür die entsprechende Kompetenz nun vorhanden ist? Zweifel sind angebracht, wenn etwa die Parlamentarische Staatssekretärin Daniela Kluckert (FDP) am Montag in einem Panel zum Digital Services Act plötzlich über einen Sachverhalt des Digital Markets Act spricht, und am Dienstag dann nicht weiß, wofür Mobilfunk bei Zügen außer für die Fahrgäste gut sein könnte. Und auch an anderen Stellen waren nicht alle Regierungsvertreter in den Themen so sattelfest, dass sich im Publikum nicht leise Zweifel breit gemacht hätten.
Doch auch am zweiten Tag gab es Kompetenzdemonstrationen. Während die deutsche Diskussion oft auf Deutschland, Europa und das transatlantische Verhältnis oder Angst vor chinesischen Akteuren beschränkt ist, spielen andere ebenfalls eine wichtige Rolle. Chuen Hong Lew von der Informations- und Medienaufsicht Singapurs betonte, er spreche nur für ein kleines Land. Aber eines, das sich gerade deshalb auch international engagiere, etwa in den Vereinten Nationen. Singapur spielt in der Digitalpolitik eine vielfältig relevante Rolle, unter anderem als Halbleiterlieferant.
Während Europa über seine KI-Verordnung diskutiert, konnte Sushil Pal vom indischen Ministerium für Elektronik und Informationstechnik von dortigen Ansätzen berichten. Das bevölkerungsreichste Land der Erde sieht sich nämlich als aufstrebende IT-Nation mit harten eigenen Interessen, und keineswegs in der Position, in der manche deutsche Unternehmen es sehen: als billigen Call-Center-Supplier und Datenlieferanten für den Westen.
Abgeordnete sorgen fĂĽr Lebendigkeit
Ein Lichtblick des zweiten Tages war das Panel der Bundestagsabgeordneten, die den Weg nach Frankfurt gefunden hatten. Zwar verteidigten die Angehörigen der Ampel-Fraktionen dort die Standpunkte der Regierung tapfer, doch endlich wurde Kritik laut: Es hülfe nichts, wenn immer so getan würde, als wäre alles gut, konnte etwa die Linken-Parlamentarierin Anke Domscheit-Berg anbringen. Sie rechnete vor, wie wenige der eine Milliarde Euro IT-Aufträge der Bundesregierung trotz Souveränitätsbestrebungserklärungen tatsächlich in echte Open-Source-Entwicklung gehe. Oder warum "Homes Passed" als Erfolgsmesszahl unsinnig ist – weil das nur theoretische Anschlussmöglichkeiten sind. Auch Ronja Kemmer (CDU) nutzte die Gelegenheit, dem "Alles nicht so wild" der Regierungsvertreter der Ampel etwas entgegenzuhalten. Nur schade, dass das Vertreter der deutschen IT-Wirtschaft weniger stark interessierte als die Minister am Vortag.
Dem Digitalgipfel würde es guttun, wenn er sich weiter von einem Schaulaufen emanzipieren würde und ernsthafte Diskussionen fördern würde. Deutschland, sagte der SPD-Abgeordnete Armand Zorn am zweiten Tag des Gipfel, sei kulturell besonders gut darin, dass alles bis ins kleinste Detail ausdiskutiert würde.
Nächster Halt: Stuttgart
Die nächste Gelegenheit dazu kommt schon in wenigen Monaten: Um ausreichend Abstand zur kommenden Bundestagswahl zu wahren, soll der nächste Digitalgipfel im April stattfinden. Dann wird er federführend vom Grün-geführten Bundeswirtschaftsministerium verantwortet, und findet im vom Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann regierten Baden-Württemberg statt. Dass die Leistungsschau gut gemeinter Absichtserklärungen dort selbstkritischer ausfällt, steht kaum zu erwarten.
(ds)