Social-Media-Nullbockeritis: Die Algorithmen vergeigen es
Die sozialen Medien waren mal ein Versprechen für globale Kommunikation. Doch die Algorithmen erzeugen nur noch Dauererregung. Ohne mich, meint Dirk Knop.
Das soziale Netzwerk Bluesky ist jetzt offen für alle. Bei mir führt das eher zu offener Ablehnung als zu Begeisterung. Ein weiteres Social Network, ganz toll – nicht.
Mit dem Aufkommen von Facebook und Twitter war meine Skepsis zunächst groß: Warum sollte ich meine Anliegen der Welt mitteilen? Doch schließlich nötigte mich die Familie zur Nutzung von Facebook, da dort die aktuellen Geschehnisse geteilt wurden. Twitter kam aus beruflichem Interesse dazu, eine neue Plattform, und das mit extrem verkürzten Nachrichten.
Zwischenzeitlich war es ja ganz lustig auf diesen Plattformen. Der Austausch mit der Familie funktionierte hervorragend. Nach korrekter Einstellung der Privatsphäre-Optionen auch, ohne dass die ganze Welt teilhat. Twitter blieb immer etwas stiefmütterlich Betreutes. Aber es gab dort etwa aktuelle und schnelle, interessante Hinweise aus dem IT-Sicherheitsbereich.
Social-Media-Algorithmen gefährden Demokratie
Inzwischen ist das alles nicht mehr so. Von der Familie liest man nur noch selten etwas dort. Auf Facebook findet Kommunikation vorrangig in (geschlossenen) Gruppen statt. Auf X/Twitter hilft nur das Folgen bestimmter Spezial-Accounts und das konsequente Blocken von unsachlichen Konten. Auf Facebook geben ähnlich wie auf X die Algorithmen alles, um bei mir Aufregung zu erzeugen, auf dass ich mit Posts wildfremder Menschen und Gruppen interagiere.
Dadurch bekomme ich auf den großen Social-Media-Plattformen sehr viel Menschenverachtendes und Demokratiefeindliches in die Timeline gespült. Das Ganze soll natürlich dafür sorgen, dass ich lange auf den Plattformen verharre und mir viel Werbung anzeigen lasse, die den Betreibern Geld bringen. Die dafür zuständigen Algorithmen sorgen durch die dafür nötige erzeugte Aufregung jedoch für eine immer weitere Spaltung der Gesellschaft. Es entsteht immer mehr Hass. Zumindest online ist kaum noch eine sinnvolle, demokratische Diskussion möglich.
Die beobachteten Phänomene verstärken sich noch durch die größer werdende Fragmentierung der sozialen Netzwerke: Die "Guten", die gemäßigten Kontakte verlassen das eine Netzwerk und wandern zum nächsten oder geben ganz auf. Dadurch wird am Ende das "Schlechte", das Demokratiezersetzende, scheinbar immer lauter.
Starke Regulierung nötig
Es scheint, dass aus dem ursprünglichen Versprechen, eine Graswurzel-Demokratiebewegung zu ermöglichen, durch die Unterwerfung unter eine Aufmerksamkeits- und Werbe-Ökonomie genau das Gegenteil erwachsen ist. Die sozialen Netze werden zur Gefahr für die Demokratie, da sich dort Verschwörungstheoretiker und Extremisten in größtenteils geschlossenen Blasen sammeln, radikalisieren und gegen die Demokratie mobilisieren.
Ich habe da schon länger keine Lust mehr drauf. Nur noch maximal wenige Minuten am Tag öffne ich die Social-Media-Apps, um zu schauen, ob im Familienkreis etwas passiert ist. Oder es Fortschritte bei der Planung der Abitreffen-Gruppe gibt. Oder auf X/Twitter Informationen zu aktuellen Sicherheitslücken zu finden sind. Aber das ganze Gestänkere, Gemeckere, Gepoltere und die elenden Desinformationen, die schaue ich gar nicht mehr an und schließe sogar lieber voreilig die Apps, anstatt weiterzuscrollen.
Das Fediverse böte da ein Gegenkonzept – nicht zentral gesteuert von einzelnen Unternehmen, die damit Geld verdienen wollen. Zudem gibt es Regelwerke auf den einzelnen Instanzen, die Hatespeech und Ähnliches untersagen, was auch durchgesetzt wird. Da müssten dann die anderen Alternativen wie Bluesky aber mitmachen, um der Zerfaserung der sozialen Netze entgegenzuwirken. Dass das nicht völlig utopisch ist, beweist Threads mit seiner Mastodon-Anbindung. Das Fediverse könnte am Ende das Demokratie-freundlichere soziale Netzwerk bilden.
(dmk)