Warum nicht gleich so? Zur Halbzeit bei "Star Trek: Picard"

Seite 2: Seven ist plötzlich wieder Seven

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Trotz dieser Schwächen funktioniert die erste Hälfte der finalen Staffel von "Star Trek: Picard". Warum das so ist, ist nicht besonders überraschend oder bahnbrechend. Denn auch die alten, traditionellen Star-Trek-Serien hatten ihre Plot-Löcher, Kontinuitätsfehler und andere Schwächen. Diese wurden aber in der Regel durch interessante Charakterstudien, die Konflikte und Probleme der Crew sowie kreative – und vor allem intelligente – Arten, diese zu lösen, mehr als wettgemacht. Und das ist bisher auch bei der dritten Staffel von "Picard" der Fall. Endlich reden und verhalten sich Picard und Riker wieder wie die Figuren, mit denen wir in den '90ern jahrelang auf der Mattscheibe zusammen Abenteuer erlebt haben. Auch Worf, Beverly Crusher und sogar die überraschend wieder aufgetauchte Ro Laren reden und verhalten sich, wie wir sie in Erinnerung haben. Seven of Nine ist plötzlich wieder Seven of Nine, etwas, das nach den ersten zwei Staffeln der Serie fast unmöglich schien. Die Seven in den vergangenen Staffeln hätte genauso gut aus dem Spiegeluniversum stammen können. In Staffel Drei haben wir endlich wieder die Seven zurück, die wir aus "Voyager" kennen.

Die neu eingeführte Figur des Captain Shaw hat interessante psychologische Probleme, die erklären, warum er sich entsprechend Picard und Riker gegenüber verhält. Und der neue Cpatain macht in den Augen der Zuschauer eine Wandlung durch und entwickelt sich, als er plötzlich sein emotionales Gepäck im Bezug auf Seven über Bord wirft, um zusammen mit ihr sein Schiff zu retten. Die Szene, in der er das Kommando der Titan an Riker übergibt, entlockte dem Autor dieser Rezension sogar einen kleinen Triumphschrei – sie fühlt sich einfach richtig an.

In dieser Staffel wird viel geredet. Probleme werden durch Nachdenken und Diskussionen zwischen Menschen gelöst, die sich tatsächlich wie Offiziere der Sternenflotte verhalten. Die Befehlskette an Bord spielt auf einmal wieder eine Rolle und geltende Gesetze und Regularien werden diskutiert. Nach dem hirnlosen Herumgerenne bei "Discovery" und früheren Staffeln dieser Serie ist es ein mittleres Wunder, dass die Autoren zu einer so ruhigen und intelligenten Art des Drehbuchschreibens zurückgefunden haben. Und trotzdem bleibt die Geschichte immer spannend. Wer hätte gedacht, dass so etwas auch funktioniert, ohne alle fünf Minuten Feuerwerkskörper auf der Brücke zu zünden?

Die erste Hälfte der finalen Staffel von "Picard" ist nicht perfekt. Neben den Dingen, die wenig Sinn ergeben und der Abwesenheit signifikanter neuer Ideen, stört vor allem die Optik der Serie. "Picard" sieht zwar großartig aus, die Spezialeffekte und Sets sind atemberaubend, aber alles ist viel zu sparsam beleuchtet. Nicht nur, dass dies ein zu deutlicher Kontrast zu den Next-Generation-Sets der '90er ist, es ist auch unglaubwürdig. Im Gegensatz zu Star Wars war das Star-Trek-Universum schon immer darauf ausgelegt, weniger dramatisch als vor allem realistisch zu wirken. Unsere Figuren sind normale Menschen, die an Bord dieser Raumschiffe leben und arbeiten. Wenn die Brücke und die Aufenthaltsräume der Titan wirklich ständig so miserabel beleuchtet wären, würden die Besatzungsmitglieder wohl innerhalb von Tagen depressiv werden. Von den Unfällen durch Stürze und Zusammenprall mit anderen Crewmitgliedern in Notfallsituationen auf den schlecht beleuchteten Korridoren ganz zu schweigen. Wenn man für Darth Vader arbeitet, mag das akzeptabel sein. Aber Captain Shaw erscheint mir als jemand, der eine saubere, und vor allem gut beleuchtete, Brücke zu schätzen weiß.

Promo-Fotos der Serie vermitteln keinen akkuraten Eindruck davon, wie dunkel viele der Einstellungen sind. Deswegen zeigen wir hier einen Screengrab aus einer repräsentativen Szene der dritten Staffel.

(Bild: CBS Studios, Amazon Prime Video)

Dass es auf dem Schiff dunkel ist, wenn der Strom knapp wird, ist sinnig und war schon immer ein beliebtes Mittel der Autoren, die Dramatik auf dem Höhepunkt einer Star Trek-Folge zu erhöhen, aber wenn die Gefahr vorbei ist, geht normalerweise das Licht auch wieder an; nicht so bei "Picard". Dass diese Beleuchtung cineastischer wirkt und mehr Spannung erzeugt, ist klar, aber schon die Trek-Filme krankten (und scheiterten oft) daran, diesen dunklen Look mit der grund-positiven Stimmung von Gene Roddenberrys Vision zu vereinen.

Eine spannende Geschichte, viel Next Generation-Nostalgie und gut geschriebene Figuren machen die letzte Staffel "Picard" trotzdem zu einer sehenswerten Sache. Der Abschluss der Serie hat dabei so wenig mit Staffel 1 und 2 zu tun, dass man diese getrost links liegen lassen und direkt bei Staffel 3 einsteigen kann. Wenn die Macher der Serie es schaffen, das aktuelle Niveau auch in den restlichen Folgen zu halten, ist diese Serie ein würdiger Abschluss der Abenteuer von Picards Crew aus "Star Trek: The Next Generation". Bisher ist das Gezeigte mindestens genauso sehenswert, wie die Next Generation-Kinofilme. An vielen Stellen überbietet "Star Trek: Picard" diese auch deutlich.

Man kommt irgendwie nicht drumherum, sich zu fragen, warum es erst zwei schreckliche Staffeln geben musste, bis die Star Trek-Verantwortlichen auf die offensichtliche Idee einer Reunion der Next Generation-Crew gekommen sind. Als Schriftsteller ist es keine Schande, bei den Großen zu klauen, wenn man selber keine guten Ideen hat. Das hat seit Jahrhunderten Tradition. Und auch die Drehbuchschreiber bei "Star Trek: Picard" scheinen gerade mal wieder zu beweisen, dass gut geklaut besser als schlecht selbst ausgedacht ist.

Die zehn Folgen der dritten und letzten Staffel von "Star Trek: Picard" werden in Deutschland bei Amazon Prime Video und Paramount+ ausgestrahlt. Jeden Freitag erscheint eine neue Folge der Serie.

(bme)