Warum nicht gleich so? Zur Halbzeit bei "Star Trek: Picard"

Die erste Hälfte der finalen Staffel der Serie ist nicht besonders innovativ, dafür aber umso sehenswerter.

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Jean-Luc Picard (Patrick Stewart) ist endlich wieder an Bord eines Sternenflottenschiffes und plötzlich wirken die vergangenen beiden Staffeln der Serie wie ein böser Traum.

(Bild: CBS Studios, Amazon Prime Video)

Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel
Inhaltsverzeichnis

Nach jahrelangem Action-Blödsinn bei "Star Trek: Discovery", der Deus Ex Machina zur Norm erhob und intelligente Problemlösung durch den hart erkämpften Konsens der Brückencrew eines Sternenflottenschiffes als altmodisches Konzept beerdigte, weckte die Idee der Rückkehr von Jean-Luc Picard etliche Hoffnungen bei Trekkies. Diese wurden dann prompt in den ersten beiden Staffeln der Serie herb enttäuscht. Nun scheint die Serie in ihrer finalen Staffel tatsächlich die Kurve bekommen zu haben. Jedenfalls deuten die ersten fünf Folgen der dritten Staffel von "Star Trek: Picard" darauf hin.

Achtung: Die folgende Rezension enthält umfassende Spoiler zu den ersten fünf Folgen der dritten Staffel von "Star Trek: Picard", sowie zu den gesamten beiden vorangegangenen Staffeln.

Jean-Luc Picard hat kein einfaches Leben. Der Admiral a.D., Winzer und ehemalige Leiter der Sternenflottenakademie ist 96 Jahre alt und nach seinem Tod nun gefangen in einem Androidenkörper, der so konstruiert ist, dass er genauso altert, wie es Picards natürlicher Körper getan hätte. Robo-Picard ist also nach wie vor sterblich. Nach den chaotischen Ereignissen der ersten zwei Staffeln der Serie und einer langen und ereignisreichen Sternenflotten-Karriere, gönnt man dem alternden Androiden den bevorstehenden Ruhestand deshalb aus vollem Herzen. Aber wie wir nach den ersten zwei Folgen der dritten Staffel wissen, kommt es natürlich ganz anders. Erneut muss sich Picard mit einem Captain herumschlagen, der nach dem durch den borgifizierten Picard angeführten Angriff gegen die Flotte bei Wolf 359 ein tiefes Trauma davongetragen hat und Picard dafür verantwortlich macht. Und als wäre das nicht genug, suchen Picard gleich zwei seiner Ex-Liebhaberinnen mit Problemen auf, die er nun lösen soll.

Die ersten vier Folgen der dritten Staffel von "Star Trek: Picard" sind letztendlich eine abgeschlossene Geschichte, ein weiterer Next-Generation-Kinofilm. Große Teile des Plots sind eine Neuauflage von "Star Trek II: Der Zorn des Khan", der mit Erzählsträngen angereichert wurde, die aus mehreren Jahrzehnten TNG, Deep Space Nine und etlichen Star-Trek-Filmen zusammengeklaut sind. In der fünften Folge eröffnet die Serie dann einen neuen Handlungsstrang, der genauso wenig originell ist: Anscheinend wurde die Föderation von Wechselbälgern unterwandert. Man fühlt sich stark an den Dominion Krieg bei Deep Space Nine erinnert. (Anmerkung des Autors: Ich mag die deutsche Übersetzung Wechselbalg für das englische Changeling übrigens überhaupt nicht und schaue Star-Trek-Serien auch seit Jahrzehnten ausschließlich auf Englisch. Ich werde im Weiteren deswegen den Begriff Formwandler, der sich an das englische Shapeshifter anlehnt, verwenden.)

Captain Shaw (Todd Stashwick), Commander Hansen/Seven (Jeri Ryan) und Captain Riker (Jonathan Frakes) beraten sich über die Lage. Endlich wird auf Sternenflotten-Schiffen wieder zivilisiert miteinander diskutiert, statt direkt zu schießen.

(Bild: CBS Studios, Amazon Prime Video)

Dass viel, wenn nicht sogar alles, in dieser Staffel aus früheren Star-Trek-Serien und -Filmen zusammengeklaut ist, tut der Geschichte allerdings keinen Abbruch. Denn es ist gut geklaut. Und vor allem wurden die Dialoge zur Abwechselung einmal von Autoren geschrieben, die wissen, wie man überzeugende Charaktere entwickelt, die interessante Probleme haben und diese zusammen als Team – das ist besonders wichtig und kam bisher oft zu kurz – auf eine Weise lösen, die sie dem Zuschauer sympathisch machen. "Star Trek: Discovery" und die ersten beiden Staffeln "Picard" mögen innovativer gewesen sein, aber leider hatten die Autoren dieser Geschichten schlicht und einfach nicht die Fähigkeiten, gute Charaktere, Dialoge oder interessante Probleme zu schreiben, die von den Figuren auf intelligente Art gelöst werden. Und der Versuch, diese Defizite mit viel Action, Explosionen auf der Brücke und Hunderten von Schiffen, die in übertriebenem Maße aufeinander schießen, zu kaschieren, scheiterte kläglich.

Auch in Folge 3 bis 5 von "Star Trek: Picard" passiert einiges, was wenig Sinn ergibt. Erfahrene Sternenflottenoffiziere haben auf einmal vergessen, dass ihre Phaser eine Betäubungseinstellung haben und töten oft und unnötig. Worf, der nach eigener Aussage jetzt viel friedfertiger und weniger wütend ist, zerschnetzelt in einer blutrünstigen Kampfszene Widersacher, die er auch weniger endgültig hätte unschädlich machen können. Auch nach zweimaligem Anschauen der Folge, in der Riker und Picard sich darum streiten, wie man denn am besten dem feindlichen Schiff entkommt, bin ich nicht davon überzeugt, dass die Motivationen der Figuren ihrer TNG-Darstellung gerecht werden. Picard will plötzlich auf Teufel-komm-raus in den Krieg gegen den übermächtigen Gegner ziehen, während Riker anscheinend die Hosen voll hat. Die implizierten Motive – dass Picard seinen Sohn, den er mit an Bord hat, retten will und Riker durch den Verlust des eigenen Sohnes fünf Jahre zuvor ein gebrochener Mann ist – erklären diese komplette Umkehr ihrer Persönlichkeiten meiner Meinung nach nicht genug und man hätte diesen Konflikt sicher geschickter aufbauen können.

Es erscheint unsinnig, dass Worf es schafft, sich durch das Anhalten seines Herzschlags tot zu stellen. Nach Dr. McCoy hat in Star Trek niemand mehr den Tod einer Person dadurch diagnostiziert, dass er die Hand an dessen Schlagader hält. Trikorder sind im 25. Jahrhundert schließlich handlicher als je zuvor und Herzstillstand ist schon seit hunderten von Jahren nicht mehr direkt tödlich. Es ergibt ebenso wenig Sinn, dass alle Formwandler einen kardassianischen Eimer zur Regeneration nutzen, der genauso aussieht wie Odos Eimer. Vor allem, da Odo diese Art der Regeneration völlig unabhängig von seinen Artgenossen, und auf sich allein gestellt in einem fremden Quadranten der Galaxis, improvisiert hat. Und dann ist es besonders faul von den Drehbuchautoren, dass der Formwandler den Eimer in Sevens Armbeuge per Phaser-Schuss desintegriert, anstatt erst sie zu erschießen und dann den Eimer zu desintegrieren – wie es sowohl einfacher als auch im Affekt wahrscheinlicher wäre. Das Resultat dieses merkwürdigen Wilhelm-Tell-Schusses ist eine sehr unglaubwürdige Szene, die auch durch die schnellen Schnitte und dramatische Musik nicht besser wird.

Interessant ist es auch, zu erfahren, dass Holodecks eine eigene Energie-Quelle nutzen. Das war definitiv an Bord sowohl der Enterprise-D als auch der U.S.S. Voyager nicht der Fall. Was diese von den Drehbuch-Schreibern unbeholfen in den Dialog eingebrachte Erklärung allerdings nicht auflöst, ist die Frage, warum man diese mysteriöse Energiequelle nicht anzapfen kann, wenn es, wie an Bord der U.S.S. Titan der Fall, um Leben und Tod geht. Da sonst sämtliche Sternenflotten-Technik, vor allem was das Energie-Netz eines Schiffes angeht, auf alle erdenklichen Arten überbrückbar ist, kauft man den Autoren diese Erklärung irgendwie nicht ab.