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Was war. Was wird.

Wie gut, dass es den Index gibt -- man wüsste angesichts der politischen Retro-Stimmung gar nicht mehr, was man mit all den Daten anfangen sollte. Sich mit Fluchtgedanken tragen oder die Fahne der Freiheit schwenken? Hal Faber kann sich nicht entscheiden.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich bin nur ein armer Schreibrobot von bescheidenem Verstand. Deswegen regen sich Sonntag für Sonntag viele Leser auf und schreiben entrüstet, was das hier soll, dieser Wochenrückblick. So viel klüger sind sie, dass sie durch das Lesen dieser Kolumne dümmer werden, weil sie kostbare Zeit verschwenden, in denen sie noch klüger werden könnten. Dabei hängen sie auch nur an den Eutern der Wikipedia. Dieses ganz famose Lexikon hat mir gerade genau erklärt, wie das mit dem Index einer Datenbank funktioniert. Das ist wirklich praktisch und schnell. Schafft ein, zwei, drei, viele Indexe und huschhusch ist dieses unser schöne Land sicher. Schließlich will Otto Schily nicht nur die Antiterrorgesetze um fünf Jahre verlängern und die TK-Verbindungsdaten ein Jahr lang speichern. Nein, Schily steht auf Indexe. Unser Biometrie-, Sport- und Innenminister ist gewissermaßen ein Indexminister: "Mit Hilfe einer Indexdatei -- also ohne jeweils detaillierte Auskünfte -- sollen die rechtlich an sich strikt getrennten Sicherheitsdienste, also Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Bundeskriminalamt, informationstechnisch miteinander verknüpft werden," weiß die Zeitung mit dem klugen Index. Entsteht so nicht eigentlich eine Riesendatenbank, die von der Verfassung untersagt ist? Aber nicht doch, eine Indexdatei enthält ja keine Daten. Also ist sie keine unerlaubte Reichsdatensammlung. Notfalls stellen wir die Verfassung auf den Index. Mit der Instant-Kanzlerwahl hat sie ja auch schon schwere Probleme. Wozu müssen überhaupt Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienste und Bundeskriminalamt samt Polizei voneinander getrennt werden, wenn es ganz wunderbare Synergieeffekte gibt, die bekanntlich unsere Wirtschaft antreiben. Haben wir nicht das Recht auf einen effizient schnüffelnden Staat, der uns überwacht, die wir alle im Gott-Modus doch nur kleine Würmchen sind? Auf hollerith-erfasste Indexe?

*** Hat da jemand Deutsche Geschichte gerufen, gar Gestapo gesagt? Aber nein, nicht doch. Gestapo sagt nur der Grünen-Geschäftsführer Volker Beck. Und entschuldigt sich auch gleich wieder für den Nazivergleich, denn natürlich schafft die Union keine neue Gestapo und gibt der Polizei geheimdienstliche Kompetenzen. Das erledigt noch schnell die SPD vor ihrer Abdankung, die Grünen fischern daneben und tun so, als ob sie an der Sache ganz unbeteiligt sind. So schmiegsam sind Realos und Fundis geworden, dass sie dem Kuhhandel beim großen Lauschangriff zustimmten, der das Bundesverfassungsgericht verhöhnt. Hätten sie das Thema offengelassen, wäre es an der gegen den Lauschangriff trompetenden FDP gewesen, in der neuen Regierung die Guck&Horch-Fans der CDU kleinzureiten. So ist alles nur noch ein Index-Eintrag im rotgrünen Geschichtsbuch "Was wir wollten, was wir wurden" wert.

*** SASPF ist eine tolle Sache. Da wird aus dem Daten-Dickschiff SAP mit seinen vielen Schaltern und Einstellungen ein feine kleine agile Softwehr, die mit der die ebenso agile Bundesware betriebswirtschaftlich operieren kann, auf der ganzen Welt. Nun hat der SASPF-Programmierer Florian Pfaff vor dem Bundesverwaltungsgericht Recht bekommen. Im Frühjahr 2003 hatte ihm sein Vorgesetzter erklärt, dass das höllisch gut angepasste SASPF möglicherweise im Irak-Krieg eingesetzt werde. Als sich der praktizierende Katholik Pfaff weigerte, weiter zu programmieren, wurde er zur Untersuchung seines Geisteszustandes in ein Krankenhaus eingeliefert. Nun ist anerkannt, dass seine Gewissensentscheidung eine ernsthafte Sache war. Meine auktorialen Leser werden jetzt natürlich fragen, was der Mann eigentlich hat. Wer sich bei der Bundeswehr ins Code-Gefecht begibt, der riskiert es, mit der einen oder anderen Anwendung zu arbeiten, die Menschen tötet. Das ist seit den Tagen des großen Kilby so. Die Sache mit SASPF wurde übrigens elegant gelöst. SAP nahm beim schleppenden Herkules-Projekt selbst die Sache in die Hand und lässt derzeit die Militärlogistik in Indien zu Ende programmieren. Haben Inder ein Gewissen? Oder heißt das dort Index?

*** Wo SAP herumsegelt, ist Larry Ellison nicht fern. Gerade "kämpft" Larry Ellison mit einer Yacht in den Vorentscheidungen zum America's Cup. Eigens für ihn wurden die Regeln des Wettbewerbs geändert. Ausgewählte Journalisten ließ Ellison einfliegen und auf seiner Zweityacht Rising Sun bewirten, bewunderungsartikelhalber. Während es Bill Gates absolut nicht stört, dass ein spanplattenartiger Schwede der reichste Mann der Welt geworden ist, hasst es Ellison, wenn er nicht die Nummer 1 ist. Darum geht er als "Konsolidator" auf Einkaufstour und hat Gregory Maffei angeheuert, der bei Microsoft Chefeinkäufer war und 9 Milliarden Dollar ausgeben durfte. Hol über die Segel.

*** Aus dem Vereinsleben: In dieser Woche fing der Sommer offiziell an. Das machte er ganz gut, dieser Sommer, der prompt von einer ungemein nützlichen Diskussion begleitet wurde, in der selbst ein beschränkter Schreibrobot thermodynamische Erlebnisse hatte. Es lästern ja viele über die Foren des kleinen hannoverschen Verlags mit seinem Blättchen für IT-Investitionsentscheider, der meine kleine Wochenschau bezahlt. Dabei ist hier die größte IT-Volkshochschule installiert, bitteschön. Und die vereinigten Heise-Trolle von der Brigade Einstein at work haben in dieser Woche das SETI-Team in den Sack gesteckt. Dazu muss man doch gratulieren!

*** Andere Vereine, andere Sorgen: Nach den Meldungen über das Handy-Payment und seine Umbesserungen sowie den entdeckten skurrilen Anlaufungen und Rückzieher erlebt die Wikipedia einen Edit-War von hoher Güteklasse, der die Informationen zum sagenhaften Bezahlsystem aus der freien Enzyklopädie bombte. Wie gut trifft es sich doch, wenn der oberste Wikipedianer zu diesem Thema die Pressearbeit bei einem Payment-Dienstleister macht. Das sind Synergieeffekte von echtem Schrot. Index, Index, sag ich nur noch.

*** Wenn Heino 1000 Lieder später abdankt, dann weiß auch der letzte WWWW-Fan der Welt, dass es Zeit ist, sich um die richtigen Songs zu kümmern. "Nazis überall, darf noch irgendjemand bleiben, wenn sie rufen 'Nazis Raus'?" sang dereinst Bernd Begemann in Hitler -- menschlich gesehen. Nun, ich linke hier nicht auf den NPD-Aufruf zur nationalen Oppositionsarbeit in der WASG, der eine Reaktion auf Lafontaines Fremdarbeiter ist, die hier in der letzten Woche bei meinen Lesern für Unmut sorgten. Kann man mit Liedern reagieren oder stehen fünf Schwierigkeiten beim Singen im Wege?

*** Also dann, übrwinden wir die Schwierigkeiten, kippen wir alle Indexe oder meinetwegen auch Indices. Holen wir die schwarzen Rollkragenpullis raus, setzen wir den existenzialistisch-nachdenklich getrübten Blick auf. So gewappnet lässt sich auch die Regierungszeit einer ostdeutschen Protestantin in verräucherten Kellern beim Genuss von Cooljazz überwintern. Oder ist das die endgültige Resignation noch vor einem potenziellen Regierungswechsel, ja noch bevor überhaupt die potenzielle Neuwahl und die Rechtmäßigkeit einer potenziellen Bundestagswahl geklärt wurde? Ach, was bleibt übrig, wenn das potenzielle Gespann aus immer wieder mal rechtspopulistisch auslegendem Lafontaine und linkspopulistischer Ergänzung Gysi die einzige Alternative sein soll ... "Die Hölle, das sind die anderen", meinte Jean-Paul Sartre in frühen Jahren, als er noch nicht die Grundlage für seine heutige Verteufelung als Philosoph des Stalinismus und Terrorismus zu liefern schien, die auch zum hundertsten Geburtstag wieder en vogue ist -- wenn er denn nicht einfach als Erinnerung an einen angeblich zu Recht vergessenen Philosophen gefeiert wird. Sartres Freiheitsbegriff aber wäre eine neue Überlegung wert, vor allem, da er mit totaler Freiheit die totale Verantwortung verbindet. Verantwortung aber, das wäre einmal etwas Neues angesichts Merkel-Schröder-Lafontainscher Retro-Ideologie. 70er-Jahre-Revival? 80er-Hype? Ach was, back to the roots, ab in die 60er, in wohlige rheinisch-kapitalistische Sattigkeitsgefühle, das scheint die Alternative zur Merkel/Schröderschen Aufbruchs-Retro-Bewegung in ein Deutschland im Jahre Null zu sein, zu der Quadro Nuevo und Lisa Bassenge mit einem Tango aufspielen. Na dann, Prost -- als nächstes blüht uns dann der Fahrstuhl zum Schafott, sollten wir nicht in die neue Zeit passen. Immerhin spielt Miles Davis die Begleitung zu unserem Ende. Das tröstet. Aber so what? Ein Angebot, das wir nicht ablehnen können, ist in Wirklichkeit weder von Merkel noch von Schröder und schon gar nicht von Lafontaine/Gysi zu erwarten, die allesamt im Dicken B ihre Backen aufplustern: Zu viel Kraft in der Lunge für zu wenige Trompeten. Das tut nicht nur im Winter weh. Wir aber sind frei -- und verantwortlich.

Was wird.

Ach was, frei. Sind wir nicht alle ein bisschen blogga? Ja, die Blogger erhalten dieser Tage die höheren Weihen, nicht nur beim kleinen Verlag in der großen Tiefebene. Das liegt vor allem daran, dass sich die Software zum Bau eines Online-Tagebuches ganz wunderbar mit dem völlig unsinnigen Argument verkaufen lässt, dass es sich nicht mehr zwischen Online- und Offline-Welten unterscheiden lässt. Jeder macht mit und wer besonders laut schnattern will, wiederholt die alten Dotcom-Irrtümer, lallt über Community und soziale Netze. Dazwischen tummeln sich die, die bloggend mit dem Subcommandanto Marco in den Kampf ziehen wollen. Journalistisches Bloggen soll besser geschütztt werden. Doch was ist journalistisches Bloggen? Zur Auswahl stehen der Bildblog oder die rechten Enten des Spiegels, weil höhere Gewalt ein Faible für Schmierenjournalismus hat. Natürlich begründet mit dem Wahren, Schönen, Guten: "Journalisten besuchten spezialisierte Schulen bzw. würden Ausbildungen durchlaufen, die sie befähigten, Beiträge hoher journalistischer Qualität zu erstellen. Dies sei gewöhnlichen Menschen ohne diese Ausbildung nicht möglich." Darauf, liebe Leserinnen und Leser, genehmigt sich euer androider Schreibrobot einen dreifachen Index. Prost!

Beinah hätte ich den Anlass vergessen. Und noch einen Index und noch einen! Freuen wir uns mit Bio-Otto Schily, dass im Konföderationen-Pokal am Mittwoch endlich 28.000 Wunderchips zeigen können, was in ihnen steckt. Darauf latürnich einen vierfachen Index! Und, weil er genau heute vor 31 Jahren an einer Supermarkt-Kasse seine Geburtsstunde hatte, hebe ich noch ein Glas auf den Barcode. Das erste gescannte Produkt war ein Kaugummi. Hoch den Index! (Hal Faber) / (jk)