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Was war. Was wird.

Klingende Glocken? Ach nein, andere Klänge liegen uns näher, auch auf die Gefahr hin, Verdacht zu erregen. Doch die erholsame Ruhe, die selbst in der IT-Welt ausgebrochen ist, versucht auch Hal Faber zu genießen -- mit wechselndem Erfolg.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es hat seine Reize, einen IT-Wochenrückblick zu schreiben, während ein Großteil der zivilisierten westlichen Welt dabei ist, Weihnachten mit allerlei Brauchtum zu feiern, und dabei gewissermaßen einen einzigen großen Fork der einzigen Weihnachtsgeschichte produziert, die es gibt. Die Finnen gehen in die Sauna und hören Radio, um später an den Gräbern der Verstorbenen zu singen, an denen dann ein Weihnachtsmann auftaucht. Wen erinnert es nicht an den Weihnachtsmann und die Zahnfee, die dort oben in Nokialand den jungen Torvalds mit einem funkelnagelneuen Linux beschenkten? Wen rührt es nicht zu Tränen, wenn er die herzergreifende Geschichte vom armen Rechtsanwalt liest, dem am 24. Dezember eine wundersame Rettung erfuhr? Da kommt Karl Mays Weihnachten im Wilden Westen nicht mit, das Gewehrnachten im Irak und anderswo schon gar nicht.

*** Wenn die letzte Steckkarte verzehrt ist und auch die anderen Lebkuchen nichts mehr hergeben, tanzt die Christenheit das Fett ab. Und ja, ja, die Bobos sind da. Nur sind sie "Burned Out But Opulent" und nicht länger die Bohemian Bourgeois vom Schlage der Haffas und Falks. Nein, es sind die Dinks (Double Income No Kids) vom Schlage der Angela Merkel, die unser Land verbessern wollen und dabei sogar auf Tins (Triple Income No Shame) wie Laurenz Meyer setzen, bis die Basis rebelliert. Derweil lässt die historische Irrfahrt der rotgrünen Regierung mittenmang in den mit Hartz IV gründlich abgespeckten Überwachungsstaat keine weihnachtlichen Gefühle aufkommen. Weihnachten ist Krampf im Klassenkampf, hieß es einmal. Meldenswert erscheint mir aus der vorweihnachtlichen Hektik die unbeachtet gebliebene, leider nicht online lesbare Meldung vom Fachblatt für Deutsches Steuerrecht, nach der die digitale Betriebsprüfung womöglich gesetzwidrig ist. Die so urteilenden Finanzrechtler befassten sich zwar mehr mit der Aufbewahrungspflicht von Dateien und Programmen und Computern, die Firmen zwingt, fast prähistorische DOS-Computer und geclipperte Programme für den Prüfer bereit zu halten, doch findet sich auch ein Passus zur E-Mail, die in "aller gebotenen Tiefe" gespeichert sein muss. Aufhorchen lässt der Passus vom Prüfrecht für alle Dateien einer Firma, die dem Finanzamt etwa aus Versehen zugespielt werden. Denunziation und Erpressung finden ein neues Geschäftsfeld.

*** "Holger, der Kampf geht weiter!", hieß es auch einmal sehr traurig und sehr trotzig. Kein geringerer als Rudi Dutschke, der Heiligabend seinen 25. Todestag hatte, sprach diesen Satz am Grab von Holger Meins, dem wohl friedlichsten RAF-Kämpfer. An das Dutschke-Bild am Meins-Grab dürften viele aus den unterschiedlichsten Gründen erinnern, derweil Dutschkes Dissertation "Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen -- Über den halbasiatischen und den westeuropäischen Weg zu Sozialismus" unleserlich und -- zu Recht oder zu Unrecht -- vergessen bleibt. Bislang aber hat niemand versucht, Dutschke vom Kopf auf die Füße zustellen, und er selbst hatte nach dem Anschlag, an dessen Spätfolgen er dann starb, doch zu wenig Zeit dafür. In Deutschland aber ergeht man sich am Beispiel Dutschke nur allzu gerne in Proselytenmacherei -- sei es, per Verteufelung, sei es, per Heldenverehrung. Und trotzdem: Ja, der Kampf geht weiter und er ist mehr als einer um Straßennamen, sondern einer gegen das Vergessen. Die umstrittene RAF-Ausstellung kann kommen, dank Internet und eBay, wo die erste deutsche RAF-Auktion über 250.000 Euro einlöste. Mit diesem Geld wird eine notwendige Ausstellung finanziert, die den hysterischen Blick auf die RAF abstellen soll. Gefackelt wird anderswo.

*** Im Reigen der Jubilare darf Charles Babbage nicht fehlen, der heute vor 213 Jahren geboren wurde. Er hatte das Pech, in eine Zeit zu kommen, die zwar Computer kannte -- das waren die arbeitslosen Friseure des Ancien Regimes, die sich mit mathematischen Berechnungen über Wasser hielten --, aber nicht die Präzision CAM-gesteuerter Maschinen, die seine Stücke hätten bauen können. Mit Babbage verhält es sich darum so wie mit Dutschke und seinem Versuch, den Lenin vom Kopf auf die Füße zu stellen. Berühmt wurde der Rechnerkonstrukteur nicht mit seinen Engines, dem Pferdeäpfelautomat und dem Stecknadelsortierer, sondern mit dem Nachweise von 1:1,167, nachdem der große Tennyson dichtete: "Every moment dies a man. And one and a sixteenth is born". Babbage forderte die Korrektur des Rechenfehlers.

*** Auf die Korrektur von Knack den Code! warten treue Heise-Leser wie auf ihr ultimatives Weihnachtsgeschenk. Der seltsame Wettbewerb, ausgelobt und wieder glöscht auf den CryptTool-Seiten der Uni Darmstadt, führte immerhin dazu, dass sich das Heiseforum kurz vor Weihnachten als die beste Fundstelle für Witze profilierte. Mit guten Witzen für ein Familienfest oder auch nur eine einsame Nacht vor dem Rechner ausgerüstet zu sein, das übertrifft doch glatt den Witz, eine Verschlüsselung zum Knacken auszuschreiben, ohne dass das Verfahren offengelegt ist. Ist es denn nicht so, dass manche Sachen, die einigen Leuten auf den Schnürsenkel gehen, andere nur amüsieren?

*** Kaum amüsant fand Microsoft eine Entscheidung der Europäischen Union in Gestalt ihres Präsidenten des Gerichts 1. Instanz im laufenden Monopolverfahren. Kurz vor dem Fest war das gar nicht nett, fast sogar unchristlich. Aber Microsoft fügt sich (vorerst) und kann vergeben: "Wir werden weiterhin intensiv mit den Regierungen in Europa in wichtigen politischen Bereichen wie Datenschutz, Sicherheit und Bereitstellung von Technologien im Bildungswesen zusammenarbeiten." So soll es sein.

*** Um mit dem Gallischen Krieg von Cäsar zu sprechen: "Es gibt viele Stämme in Europa, die einen aber sind die tapfersten, und das sind Polen." Mit seinem Drängen auf eine öffentliche Beratung in der Frage der umstrittenen Softwarepatente hat Polen ein kleines unverhofftes Weinachtsgeschenk in Form von Dankes-Mails bekommen, die für die mühselige Integration in die EU einmal Gold wert sein werden.

Was wird.

Von Gold ist Orange manchmal nur schwer zu unterscheiden. In der Ukraine wird heute unter Aufsicht der Kanadier gewählt, obwohl das Wahlgesetz von einem Gericht für verfassungswidrig erklärt wurde. Nicht eben beruhigend ist es, wie das Militär sich dabei zur Schau stellt. Ehe alle guten Wünsche auf das neue Jahr gerichtet sind, sollten sie noch in die Ukraine gehen, die immer noch in Gefahr ist, das nächste Tschetschenien zu werden. Sollen die in orange gewickelten Bräute schwarze Witwen werden?

Traditionell liegen nur wenige Tage zwischen dem Gänsebraten und dem Treffen chaotisch veranlagter Ganteriche, die durch ihr lautes Geschrei auch vor Datendieben warnen können. Der Chaos Comminication Congress feiert sich nunmehr als die europäische Hackerkonferenz schlechthin. Man knackt Schlösser und macht sich über die Deutsche Bahn und ihre Fahrräder lustig, man begrapscht das olle OS/2 in Banken und fühlt sich, wie man sich als Hacker fühlt. Das ist nicht negativ gemeint, liebe Banken und CCCler: Es muss immer technische Hacker und künstlerische Hacker geben, sonst entwickelt sich nichts. Zwar wird der schon beim letzten Ganter-Treffen angekündigte DataPrivatizer auch diesmal fehlen, doch soll man billig Armbänder kaufen können, die in einem RFID-Feld zu leuchten beginnen. Ein großer Fortschritt für die üblichen Verdächtigen, ein kleiner für die Menschheit.

In diesem Jahr wird das allseits beliebte Jahresend-WWWW wieder einmal mit dem üblichen Wochenrückblick zusammenfallen. Wenn alle sparen, wollen wir doch nicht hintanstehen. Darum wünsche ich schon jetzt allen Lesern und Hassern ein gelingendes Besäu^H^H^Hgrüßen all der neuen Dinge, die uns 2005 erwarten, von der neuen Armut durch Hartz IV bis zu den verstopften Bundesstraßen durch die LKW-Maut. Das Positive? Ach, man kann sich auch bei seinen Weihnachtsgeschenken erholen, etwa, wenn sie in "A Celebration", der Geburtstags-CD zu Abdullah Ibrahims 70., bestehen -- wer weiß, wie lange wir seine Musik noch genießen dürfen, bevor seine CDs auf der Liste der verbotenen anti-anti-islamischen Veröffentlichungen landen. Wie wär es darüber hinaus mit den nun startetenden Bemühungen gegen den neuen Trend "Wissen" zu vermarkten? Wie wäre es mit der neuen GPL, die alberne Softwarepatente berücksichtigt? Wie wäre es mit Hurd? He, ich darf auch mal albern sein! Also dann, sollten wir uns nicht mehr sehen: Guten Rutsch! (Hal Faber) / (jk)