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Was war. Was wird.

Bekommt Bill Gates den Friedensnobelpreis? Das wäre wahrscheinlicher als der Preis für das schönste Spiel an die italienische WM-Mannschaft, meint Hal Faber und wendet sich trotz allgemeinen Taumels über "natürlichen Patriotismus" den wichtigen Dingen zu.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Eine Warnung vorab: An mein altes verbeultes Auto kommt kein Deutschlandwimpel! Und im Wochenrückblick kommen Fußball und das neue deutsche Bauchgefühl nicht vor! Ich mag den Sport, vor Ort, aber was eine unfähige Bildregie und Unkommentatoren wie Reinhold "Ronaldo" Beckmann sich leisten, ist erschütternd. Da kommt die Hintermannschaft nicht mehr mit. Was bleibt, haben die Ösis von Gamebookers ins Programm genommen. Dort kann man nämlich wetten, was zuerst passiert, die Gefangennahme des Problembärens oder der Rausschmiss des deutschen Teams aus der WM. In dubio pro urso. Den Rest kann man ja in tollen Blogs lesen, vorzugsweise natürlich in der gemeinen Denglisch-Attacke knallgrauer Ösis unter dem Titel Weallspeakfussball beim Sponsor Coca Cola, wenn es über Berlin heißt: "The disatvantage is that you find even more dogs and most of the people around semm to have forgotten how to form a grin with theyr lips." Und während die italienische Mannschaft aber auch noch jede Erinnerung an die Leichtigkeit eines "Dolce Vita" vermissen lässt, die US-Spieler Fußball manches Mal doch noch mit "American Football" zu verwechseln scheinen, erfreue ich mich noch einmal an den Erinnerungen der ganz von FIFA und Sponsoren unbeeindruckten Party von Mexikanern, Angolanern und Deutschen in der hannoverschen Innenstadt. Und mit einem Grimmen auf den Lippen geht es weg vom allgemein ausgerufenen "natürlichen Patriotismus" zu den restlichen Themen der Woche.

*** Doch halt! Zuvor will ich mal wieder einen Musikwettbewerb ausrufen! Wenn wirklich und wahrhaftig Gott das Internet retten soll, und das auch noch mit einem hergeträllerten Tambourine Man, dann darf man nicht nur fragen, wie Gott den geballten Schwachsinn aushält. Passend zu den Gesängen dieses WM-Sommers sollen von kundigen Heise-Lesern die Top Ten der peinlichsten Songs zusammengestellt werden. Das weiche Wasser will fließen! So vermeiden wir wenigstens die Musiklehrerpeinlichkeit der beliebtesten Songs aus 50 Jahren Popgeschichte. Es rettet uns halt kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun. Und das Internet auch nicht.

*** Wegen Podolski und Klose blickt Fußball-Deutschland dankbar nach Polen. Mehr solcher Klempner für das Land der Dichter und Denker! Auch bei den Softwareklempnern hat sich was getan, was einige rechenfaule Kommentatoren als Generationswechsel feiern. Der im Oktober 1955 geborene Bill Gates will sich aus dem Tagesgeschäft von Microsoft zurückziehen und dies dem im November 1955 geborenen Ray "Ozzie" Oczkowski überlassen, dem Sohn polnischer Einwanderer. Der reichste Mann der Welt möchte sich wie John D. Rockefeller seiner Stiftung widmen und sein nächstes Ziel verwirklichen, den Friedensnobelpreis zu gewinnen. Dieses Ziel hat Gates mehrfach im Freundeskreis geäußert. Es ist übrigens auch ein heißer Wunsch von FIFA-Chef Blatter, diesen Preis mal einzuheimsen. Alle wollen sie nach Oslo zum Analüsten. Das letzte große Softwarewerk, das die Handschrift von Bill Gates tragen wird, wird Windows Vista heißen. Und in der DOS-Box wird der Befehl "ver" nostalgisch antworten: "Dedicated to our founder. '640 k ought to be enough for anyone' ."

*** Bill Gates wurde als Programmierer berühmt, weil sein Basic einen meisterhaften Umgang mit dem damals äußerst knappen Arbeitsspeicher offenbarte. Ray Ozzies Meisterstück ist nicht Notes, das er mit seiner Firma Iris Associates nach dem Vorbild seiner Jugendliebe Plato entwickelte. Mit zwei anderen Programmierern in kürzester Zeit innerhalb 640 KByte eine Sinfonie zu schreiben, von der sogar eine Jazz-Fassung für Apple-Nutzer extrahiert wurde, das lässt er als sein Meisterwerk zurück. Zu den prägenden Eindrücken gehörte für Ray Ozzie die Erfahrung, dass Symphony von Chirurgen zur Vorbereitung und Unterstützung von komplizierten Operationen benutzt wurde. Nun sind Operationen am offenen Herzen von Microsoft nötig: Developers, Developers, Developers! Nicht zu vergessen die Frage, wie man die APIs der Konkurrenz zugänglich macht, wenn das Web 2.0-Geraffel wirklich an Fahrt aufnimmt.

*** Zum Stichwort Sinfonie muss ich natürlich an dieser Stelle ein wolkig-sommerlich-heiteres Tschüss an den in Wien gestorbenen György Ligeti schicken. Seine Sinfonie Athmosphères begleitet die Odyssee im Weltraum und sie wird auch dann noch tönen, wenn unsere Nachkommen auf dem Mond leben werden. Offen ist nur, was die Musiklehrer dann mit ihren Schülern machen werden: Die Prüfung, wie man eine haarsträubend geschnittene Ligeti-Sinfonie auf LP richtig wechselt, dürfte heute und in Mondzeit keiner jüngeren Generation mehr zu vermitteln sein. Nach RFID-gestützten Ladybags wünsche ich mir natürlich den Ligetibag als Klanghülle für den großen Abschied. Und wenn wir schon österreichisch-ungarisch K.u.K-verzückte Citizens sind, muss Dvoraks Allegroblues aus dem Streichquartett F-Dur Nr. 96 auch noch ertönen.

*** Der Maoismus als höchste Stufe des Bloggerismus hat nun das deutsche Feuilleton erreicht, das ein Kondom nur dazu benutzt, um eine möglichst große Luftblase zu produzieren. Getroffen hat es diesmal die Wikipedia, deren Prinzipien unter kalifornischer Sonne mitunter als kommunistisch-kollektivistische Schwarmgeisterei angesehen werden, die "fast immer dumm und langweilig ist". Der Kämpfer gegen den kybernetischen Totalitarismus wird hart auf die Probe gestellt, nicht nur in Bremen, sondern bald an vielen Orten. Der Geburtstag der künstlichen Intelligenz in der Krippe zu Darthmouth naht, und Ochs und Esel wollen kommentieren.

Was wird.

Hoppla, da bin ich doch schon bei der Vorschau angelangt, denn die große Feier der künstlichen Intelligenz beginnt eigentlich erst am 13. Juli mit voller Dröhnung. Vorher müssen wir uns unbedingt mit dem künstlichen Aufschwung befassen, verursacht durch einen schlichten Softwarefehler in einem ohnehin kranken EDV-System. Eigentlich wären auch noch Kommentare über die Mehrmerkelsteuer angebracht und viele andere Garstigkeiten, die durchgehen, weil das Runde ins Eckige muss und ein Spiel mit dem Teamgeist-Ball nur 90 Minuten kennt, die Politik aber 90 Milliarden Sekunden. Aber ach, alles feiert. Nur die Gesänge sind wie gewohnt fürchterlich. Dabei würde zu den bunten, anregenden WM-Parties auch gute Musik passen: Wie wäre es denn mit dem niederländischen Willem Breuker Kollektief, der Freejazz-Bigband, deren Zirkusmusik mit einer Prise Guggemusigg aufgepeppt ist? Oder mit dem Ethnomusicology-Projekt des Trompeters Russell Gunn, das nicht nur bei den "Variations on an Conspiracy Theory" romantische Melodielinien über eine Andeutung von Drum'n'Bass legt und Hardbob-Strukturen mit Rap- und Scratch-Anwandlungen vereint. Das wäre wirklich einmal Musik zu einem WM-Multikulti-Massenfest. Ja doch, ich bin gespannt, was nach dem Ende der Vorrunde passiert.

Die übelsten Geschichten laufen derweil unter der Flagge "Gesundheitsreform" ab, die sich irgendwie niemand flaggenmäßig an sein Auto getackert hat. Da gibt es einen Pool, in dem es faulig riecht, weil Arbeitgeber und Arbeitnehmer mitnichten anteilig einzahlen. Und es gibt ein Kartenprojekt, das nach ernst gemeinten Schätzungen frühestens 2009 starten wird. Und da gibt es einen Final Check-Up, als ob die Chose gleich nach den Sommersonnentagen eingefahren wird. Wie der Sieg bei der WM.

Räusper. Gut, ich habe Dirk Nowitzki nicht erwähnt. Und Jan Ullrich nicht, der sich irgendwo in der Schweiz einrollt, dem Land der Berge und Tilsiter. Das auch noch Fußball spielt. Wer wirklich fliehen will, muss weit fliegen, mindestens bis nach Asien. Nehmen wir nur Singapur. Dort startet am Montag die Nokia Connection. Natürlich mit neuen Methoden, den Fußball mobil zu zeigen. Das Runde muss ins eckige Handy und dort ganz schnell den Massenmarkt aufschließen. Wer auf den Public Viewing genannten Besäufnissen versucht hat, ein Tor zu sehen, wird wissen, was Nokia will.

Das war das, was war, was wird und was auch immer gewesen ist. 250 Aktivisten gegen die Vorratsdatenspeicherung haben sich in der Zeit versammelt, in der diese kleine, fast fußballfreie Wochenschau geschrieben wurde. Die Welt zu Gast im Datenknast? Stasi 2.0?. Aber nicht doch. Das stimmt nicht. Überall die bunten Fahnen, die gute Stimmung, das Bier und drei Staatsanwälte. (Hal Faber) / (jk)