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Was war. Was wird.

Man kann sich leicht um Kopf und Kragen reden, scheint die Quintessenz von Meinungsfreiheit in Deutschland zu sein. Da hilft nur noch Magenbitter, säuselt Hal Faber zur trötenden Begleitmusik.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Hallo, hallo, ein angesäuseltes Hallo aus der wunderbaren niedersächsischen Tiefebene. Nicht Harry Belafonte trällert im Hintergrund seinen Calypso – mit 80 singt er nicht mehr, sondern lässt es politisch krachen –, nein, Mardi Gras.BB tröten endlich wieder in voller Besetzung (ich will aber nichts gegen die Trio-Einspielung gesagt haben), das beschwingt. Um es im Stil des bekannten niedersächsischen Hörnerwhiskeys zu sagen: Ich trinke Jägermeister, weil mein Dealer, mein Redakteur und mein letzter Leser allesamt ein und dieselbe Person sind, wenn ich nüchtern bin. Das ist die magenbittere Wahrheit.

*** Wahr ist auch, dass die wunderbare Tiefebene überhaupt nicht niedersächsisch eben ist, sondern sehr, sehr bergig. Eigentlich sähe es bei uns genauso aus wie im Allgäu, doch im Gegensatz zu den faulen Bayern und Oberschwaben versetzen wir Niedersachsen ständig Berge, daher haben wir keine. Das sagt jedenfalls unsere wunderbare neue Image-Kampagne, die rechtzeitig zur CeBIT mit "versteckten Pferdeäpfeln" wirbt, denn: Wichtig ist immer, was am Ende rauskommt. Das kann ich als geborener Hannoveraner bestätigen, der jahrelang seine ersten Dates "unter dem Schwanz" hatte. Unterdessen frage ich mich jedoch, ob der Werbeetat für dieses Niedersachsen-Image mit einer großen Portion Jägermeister ausgestattet ist. 1:0 für Niedersachsen, weil Gottfried Wilhelm Leibniz das binäre Zahlensystem in Hannover erfand?

*** Hat Leibniz in der besten aller möglichen Welten in der besten aller Städte wirklich das binäre System "erfunden"? In der Auseinandersetzung mit der Yin/Yang-Lehre setzte Leibniz Gott als 1 und das Nichts als 0, um damit eine mathematisch Universalsprache zu begründen. Eine Erfindung war das nicht, selbst die von ihm konstruierte Rechenmaschine galt nur der Demonstration der Idee. Aber vielleicht liegen die Werber mit dem Faible für Pferdeäpfel ja richtig, denn Werbung muss rocken, sonst kommt sie nicht hinten raus. Innovativ war Leibniz schon, aber als Entrepreneur gewann er keinen Apfel, wie das von Pädagogen hoch gelobte Angebot Mathe rockt feinsinnig formuliert: "Deshalb schaffte er es wohl nicht in den richtigen Momenten die Klappe auf zumachen und seine Ideen in bare Münze zu verwandeln, sodass er, nachdem ihn die Gicht seine letzten Jahre fies zu schaffen machte, 1716 bettelarm starb." Voll krass und fies das, mitten in Niedersachen.

*** "Sie kennen unsere Pferde. Erleben Sie unsere Reiter", das wäre als Slogan gar nicht mal so schlecht. Nehmen wir nur den Rockbeauftragten der SPD, Sigmar "Siggy Pop" Gabriel, der eine Zeit lang in der Stadt der Scorpions als oberster Niedersachse residierte. Der Feind der stromfressenden Gedankenblitze und Glühlampen, der große Förderer der freiwilligen Ferienabgabe, der unbestechliche Kenner trojanischer Pferde und ihrer CO2-Emissionen, der künftige Kanzlerkandidat, der gegen Merz antreten muss. In der Auseinandersetzung um ein "Ich will auch zu den Nutten"-Bild mit einem SPD-Parteigenossen hat Gabriel in der Frage verloren, wer für das Einstellen eines "Ich will auch zu den Nutten"-Bildes in ein Wiki verantwortlich ist, selbst wenn der besagte Parteigenosse unverzüglich das "Ich will auch zu den Nutten"-Bild löscht und die Erinnerung an "Ich will auch zu den Nutten" nur durch den wachgehalten wurde, der sich daran störte, wie ein artig sich meldender Pop-Beauftragter auch zu den Nutten will.

*** Das ganze Verfahren ist ebenso hirnrissig wie die Sache mit den Miederwarenladen Blush und dem Bild der schönsten Niedersächsin, die Spezialistin für Kinder ist und wohl wenig glücklich darüber, dass die Dessous-Werbung einen Preis bekam. Die virale SPD-Werbung "Ich will auch zu den Nutten" ging leer aus. Nach dem harschen Urteil gegen Peter Hartz sind billige Scherze einfach nicht vermittelbar. Zwei Jahre Lang darf Hartz keinen Betriebsrat kaufen und den Nutten zuführen. Das ist jedenfalls das Ergebnis einer Art Emissionsverhandlung.

*** Wir Niedersachsen zwischen Ems und Elbe versetzen nicht nur ständig Berge, sondern auch Feiertage. Nach einem großen Schluck Hörnerwhiskey habe ich beschlossen, den heutigen Sonntag als William-Henry-Harrison-Gedächtnis-Tag zu feiern. Gedenken wir äquivalent zum Darwin Award der unglücklichsten Redner. An diesem Tag, der ursprünglich als Inauguration Day gefeiert wurde, hielt besagter William Henry Harrison die längste Ansprache, die je ein US-Präsident zur Amtseinführung vortrug. 8445 Worte, zwei Stunden lang und das in einem Eisregen ohne schützenden Mantel vorgetragen, führten zu einer Lungenentzündung, an der der neunte Präsident der USA einen Monat später starb. Passend zu diesem schönen Feiertag hat sich in dieser Woche ein würdiger Nachfolger gefunden: Der Radsportler Jan Ullrich redete sich bei seinem Abschied vom Buckeln und Treten zunächst in einer Pressekonferenz, dann in einer Talkshow um den letzten Rest von Glaubwürdigkeit, als sei er in einer Panamporama-Sendung. Was bleibt, ist ein Tester von Funktionsunterwäsche.

*** Wer sich indes nicht um Kopf und Kragen geredet hat, ist Christian Klar. Sein Pech war es, dem Medienzirkus eine Vorlage für das freie Schwadronieren geliefert zu haben, in einer Sprache, die heute niemand mehr versteht. Ich habe als damaliger Sympathisant an dieser Stelle versucht, die Stimmung damals nachzuzeichnen und bin auf großes Unverständnis im Forum gestoßen. Sätze vom "kämpfenden Teil der revolutionären Volkseinheit" und dem Fernsehen, das "den Willen der Arbeitermassen zur bewaffneten Revolution unter einer ungeheuren Welle von kulturimperialistischem Schund" begräbt, sind heute nicht mehr zu vermitteln. Bestenfalls bleibt ein Baum übrig, der noch versteht, was die Wortmaschine produzierte. So gesehen muss verteidigt werden, dass ein Gefangener eine politische Meinung haben und veröffentlichen kann, auch wenn er das Handicap hat, sich in einem bleiernen Deutsch auszudrücken.

*** Gerhart Baum gehört zu den unverzagten Menschen, die Schritte gegen die Online-Durchsuchung unternommen haben. Auf dem abschüssigen Weg in die totale elektronische Erfassung des Menschen geht die Feinderklärung des Staates an seine Bürger mit der völligen Verrohung der Überwacher einher. Rechtliche Bremsen wie das labberige Urteil über die illegalen Aktionen gegen die Redaktion von Cicero werden extern als Sieg der Pressefreiheit gefeiert, bei den "Diensten" vom Verfassungsschutz über BND und Abschirmdienst höchstens belächelt. Ebenso gelassen wird die Debatte über den Online-Trojaner registriert.

*** Es gibt so viele Wege, auf die Festplatten zu kommen, dass die Konzentration auf einen einzigen Trojaner in der aktuellen Diskussion wunderbar ablenkt. Man denke nur an den ärgerlichen Profit, den Microsoft gerade mit der vorzeitigen Umstellung auf die Sommerzeit in den USA macht. In dem 4000 Dollar teuren Support-Kit ist Platz genug, den einen oder anderen Trojaner unterzubringen. "Müssen wir uns Bill Gates als einen glücklichen Menschen vorstellen?", fragte im letzten Jahr die WDR-Sendung Lauschangriff. Ja, lautete die Antwort – sofern Bill Gates jeden Rechner unter Kontrolle hat. Da kann unser Bundeskriminalamt noch etwas lernen.

Was wird.

Hurra, hurra die CeBIT naht! Parties ohne Ende, mitten im innovativen Hannover! In der Stadt, die die Bürgersteige hochklappen könnte, weil sie die Technologien dafür hat. Aber sie tut es nicht, weil sie so stolz auf ihren Roten Faden auf den Bürgersteigen ist. Wie heißt es noch so schön schräg in der Image-Kampagne von Niedersachsen: "Ob Auto, Flugzeug oder Kleiderbügel – wir machen daraus einen mobilen Computer." Potzblitz, heiliger Pferdeapfel, das muss erst einmal hinten rauskommen, wenn vorne ein Kleiderbügel eingeworfen wird. Wahrscheinlich sind mit den mobilen Computern die UMPC gemeint, die zur letzten CeBIT Premiere hatten, aber seitdem verschwunden sind. Vielleicht wurden sie zum Kleiderbügel zurück entwickelt.

Wie war das noch mit Christian Klar? Knarrende Sprache? Wie wäre es mit dieser angekündigten CeBIT-Aktion der Firma Bull? "SWATS (Secret Warriors against The SYSTEM) übernehmen die Verantwortung für Aktionen, die in den letzten Tagen für die Befreiung der IT-Systeme durchgeführt wurden." SWATS werden also auf der CeBIT in Giftgrün den Kampf um die Befreiung der IT fortführen. "Wir müssen die starren Kräfte des Monopolkapitals daran hindern, die dynamischen Kräfte der Programmierermassen zu sabotieren. Die Unternehmen müssen aufhören, sich zu Geiseln von Herstellern, Entwicklern und deren Launen zu machen. Die Geschäftswelt muss sich frei entwickeln können. Wollen wir weiterhin Opfer der großen IT-Anbieter bleiben? NEIN!" Wer einen dieser grün angelaufenen Köpfe auf der CeBIT sichtet, trifft auf die echten Befreier vom Terror der IT, die Vernichter der CeBIT, radikaler als jeder Chaosclub, anachronistischer als die Open Source. Die Grüne Armee Fraktion erhebt ihr schreckliches Haupt 2.0. (Hal Faber) / (jk)