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Was war. Was wird.

Lass die heiligen Parabolen, lass die frommen Hypothesen - suche die verdammten Fragen ohne Umschweif uns zu lösen: Hal Faber rekuriert mit Respekt auf einen berühmten und berufeneren Kollegen.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Lass die heiligen Parabolen,
Lass die frommen Hypothesen –
Suche die verdammten Fragen
Ohne Umschweif uns zu lösen

dichtete einstmals der große Journalist Heinrich Heine über die großen Fragen der Religion, nur um dann zum Schluss zu kommen:

Also fragen wir beständig,
Bis man uns mit einer Handvoll
Erde endlich stopft die Mäuler –
Aber ist das eine Antwort?

Vor 150 Jahren wurde dem Heine das Maul mit Erde gestopft, der das Himmelreich auf Erden herbeidichten wollte, mit Zuckererbsen für jedermann. Heine ist tot, die verdammten Fragen sind geblieben und das mit den Zuckererbsen, daran arbeiten wir noch.

*** Eine der verdammten Himmelsfragen hat in dieser Woche das Bundesverfassungsgericht beantwortet, das das Flugsicherheitsgesetz souverän in die Tonne trat: Der Abschuss eines Flugzeugs, in dem nicht nur Terroristen, sondern auch Geisel sitzen, ist nicht rechtens. Prompt fordern unsere Politiker die Entfesselung der Bundeswehr, eine zupackende Nationalgarde für das wehrlose Deutschland, das zur WM von trinkfesten Briten gestürmt wird. Und überall dort, wo es beim Public Viewing stürmt, natürlich Kameras ohne Ende und ohne Rechtsgrundlage. Besonders peinlich dabei der bayerische Innenminister Beckstein, der zu den 370 ABC-Einheiten der Feuerwehr und den 16 SEB_ABC-Einheiten des technischen Hilfswerks unbedingt die 111 Fuchs-Spürpanzer heranholen will, die unter deutscher Flagge schnüffeln und spüren. Sie können nämlich unter Beschuss nach ABC-Waffen suchen, das können die ABC-Spezialisten von THW und Feuerwehr nicht. Doch welches Schreckensszenario steckt in den Hirnen unser Volksvertreter, wenn mit ABC-Angriffen und gleichzeitig mit Schießereien gerechnet wird? Die Antwort ist simpel: gar keines. Die WM kostet Becksteins Bayern 12 Millionen bei der Polizei, 4,5 Millionen beim Katastrophenschutz und 2,5 Millionen bei der ABC-Rüstung. Kommen Spürfüchse mit allem drum und dran zum Einsatz, spart Bayern 7 Millionen Euro. Dafür lohnt es sich doch, ein bisschen am Grundgesetz herumzufeilen. Die Entscheidung in Karlsruhe nimmt sowieso niemand sonderlich ernst. Von Seiten der Polizei gibt es übrigens eine Anfrage an die Bundeswehr: Sie betrifft einen Handvoll IT-Spezialisten, die beste Kenntnisse in Oracle- und SAP-Software haben.

*** "Die Vogelgrippe wird kulturelle Probleme unseres Landes im Zusammenleben mit Mitbürgern islamischen Glaubens lösen." Dieser geschmacklose Satz, in dem eigentlich nur noch ein Schlenker zu Abu Ghraib fehlt, ist ein Glanzstück deutschen Humors und er stammt wirklich aus der Feder von Friedrich Merz. Damit ist er ziemlich einzigartig in einer Passage, die Merz hier komplett aus dem Internet-Magazin Zyn abschrieb. Die er schlicht ungefragt klaute. Jaja, so ist das halt im Internet, da sind die Gedanken frei und kopierbar, da bewegt sich eine Inhalts-Mafia am Rande der Illegalität. Ist es da etwa verwunderlich, dass auch ein kleiner abgehalfterter humorfreier Politiker seinen Rede-Torrent einrichtet? Schließlich ist der Orden für den tierischen Ernst eine wichtige Sache, oder um es mit Heine zu sagen:

Noch immer schmückt man den Schweinen bei uns
Mit Lorbeeren den Rüssel.

Heinrich Heine, der berühmteste Dichter unter den Journalisten schrieb zu seiner Zeit viel Erschießliches. Nach Amerika wollte er nicht fliehen, der Sklavenfrage wegen. Nach Deutschland wollte er nicht zurück, in ein Land, in der jede Nacht ein Polizeidiener an seiner Tür rüttelt, um zu prüfen, ob der Herr Journalist wirklich schläft. Während bei Heine zur Nacht geklopft wurde, bevorzugt man in unseren Zeiten das Morgengrauen. Nun hat das Landgericht Potsdam die Aktion für rechtens erklärt, weil der besagte Artikel "erhebliche für die Sicherheit der BRD relevante Geheimnisse" enthalten habe und "Verletzung besonders schwerwiegend erscheint". Da muss einfach die Pressefreiheit abkommandiert werden, abgeurteilt als Beihilfe zum Geheimnisverrat. Nur das Erschießliche trennt uns vom preußischen Schnüffelstaat aus Heines Zeiten. Immerhin wird diese Farce bis zum Bundesverfassungsgericht gehen, während der andere journalistische Skandal versickern wird. Schließlich verteidigt die Bundeswehr die Allianz-Arena am Hindukusch. Und auch in Guatánamo.

*** "Lächle nicht, später WWWW-Leser. Jede Zeit glaubt, ihr Kampf sei vor allen der wichtigste, dieses ist der eigentliche Glaube der Zeit, in diesem lebt sie und stirbt sie, und auch wir wollen leben und sterben in dieser Freiheitstreligion, die vielleicht nicht mehr den Namen Religion verdient, als das hohle ausgestorbene Seelengespenst, das wir noch so zu benennen pflegen – unser heiliger Kampf dünkt uns der wichtigste, wofür jemals auf dieser Erde gekämpft worden, obgleich historische Ahnung uns sagt, dass einst unsre Enkel auf diesen Kampf herabsehen werden, vielleicht mit demselben Gleichgültigkeitsgefühl, womit wir herabsehen auf den Kampf der ersten Menschen, die gegen eben so gierige Ungetüme, Lindwürmer und Raubriesen zu kämpfen hatten."

Ich gebe gerne zu, dass ich ein alter Knacker bin, auch ist mein haaroskop nicht besonders rosig ausgefallen. Die letzten noch verbleibenden Jossele fallen ab, wenn ich Nachrichten von der TK-Überwachung aller Deutschen lese, die auf 361 ominösen Fällen und einem interessanten Umfaller beruht, dem härtesten Krähwinkel-Tauss aller Zeiten: "Gleichwohl stimmte er für den Antrag, da die Richtlinie nun einmal zumindest im Minimum umgesetzt werden müsse."

Vertrauet eurem Magistrat
der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweisen Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.

Ein Blick aus der Zukunft hat uns ja Tschechien beschert, wo erstmals nach einem halben Jahr die Rechnungen für die Kosten dieser Big-Brother-IT verschickt wurden: Umgerechnet 10 Millionen Euro muss die tschechische Polizei für die EU-konforme Vorratsdatenspeicherung zahlen. Uns bleibt die Hoffnung, dass die Bundesnetzagentur die Gebühren für den Staat ähnlich kalkuliert wie die tschechische CTU. Wer in den Daten schnüffeln will, muss eben in die entsprechenden Spürpanzer investieren. Und weil die Schnüffelei einen Ort haben muss, an dem die Schnüffler zum Erschnüffelten rausrücken, sei noch auf diese Initiative der Softwarepatentegegner hingewiesen, die in dieser Woche startete.

*** Natürlich war Heinrich Heine nicht der größte deutsche Dichter. Das überlies er gerne dem Zitronen-Goethe und seinem Eckermann. Aber er war – und das sagt der großen polnische Literatur-Papst Reich-Ranicki (mit Dank an IT&W – der "bedeutendste Journalist unter den deutschen Dichtern und der berühmteste Dichter unter den Journalisten der ganzen Welt". Das Gedicht dieser Woche stammt von Apple. Und Garrison Keillor prüft noch die literarische Fallhöhe des unbekannten Apple-Dichters der diesen Limerick schrieb:

There once was a user that whined
his existing OS was so blind
he'd do better to pirate
an OS that ran great
but found his hardware declined.

Please don't steal Mac OS!
Really, that's way uncool.

Uncool, aha, das bringt mich zu den olympischen Winterspielen, die irgendwie wichtig sind, von denen ich aber absolut nichts verstehe. Das bisschen Schlittschuhlaufen, das die norddeutsche Tiefebene bietet, wenn alle Jubeljahre der Maschsee zufriert, hilft nicht zum nötigen Verständnis für den Zickensieg. Mein Glückwunsch geht daher an Dale Begg-Smith, dem ersten Sportler, der mit Spam seinen Auftritt finanzierte.

*** Na, ist ja alles schön und gut, nahe Turin betätigen sich halt die Wintersportler ertüchtigend, und Mac-OS-X-User schreien   gequält auf angesichts der ungeliebten und immer wiederkehrenden Realität. Aber die Prediger der Religionskriege sind nicht einmal bedeutungsvoll genug, Heines Sentenz auf sie zu beziehen: "Die Geistlichkeit herscht im Dunkeln durch die Verdunkelung des Geistes." Wir aber widmen uns der Erinnerung, der Zukunft und der Musik. Nachdem tagsüber Wolfgang's Vault alte Aufnahmen der Rockheroen ganz für umme auf den PC lieferte (hey, das eigentliche "White Album" stammt immerhin von Frank Zappa aus dem Fillmore East), beschließen wir den Tag mit den Höhepunkten der Romantik, die ebenfalls von dem rebellischen Dichter und romantischen Journalisten stammen. Feiert nicht den Mozart, lest den Heine – und hört seine Lieder, am besten (aber nicht nur) in der Vertonung von Schumann.

Was wird.

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus, auch wenn sie in der norddeutschen Tiefebene nicht besonders groß sein müssen, um Schatten zu werfen. Die CeBIT bahnt sich langsam an, entsprechend groß ist das Bedürfnis nach Luftholen vor dem digitalen Irrsinn. Nur die Separatisten von der Open-Source-Fraktion wagen den Dissens und starten am Freitag die größte Brüsseler Bier-Party, die dann am Wochenende sich als FOSDEM niederschlägt. Das Ganze ist ein sehr spartanisches Meeting, bei dem man neben bappigen Baguettes auch noch den heiligen Stallmann mit seiner 8-Zoll-Heiligenschein-Diskette und den Laptop-Gesetzes-Tafeln aushalten muss, auf denen die GPLv3.0 diktiert ist, in alle Ewigkeit. Da bleibt es mir nur übrig, den ollen Heine ein letztes Mal die Handvoll Erde aus dem Maul zu kratzen, damit er seinen letzten Vers zum Paradies-Vertreibungsgedicht "Adam der Erste" erzählen kann, ganz schlicht gegen alle Götter der Welt:

Ich will mein volles Freiheitsrecht!
Find ich die geringste Beschränknis,
Verwandelt sich mir das Paradies
In Hölle und Gefängnis.

(Hal Faber) / (jk)