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Was war. Was wird.

Diesen Herbst läuft im Kino der Deutsche Herbst noch mal. Hal Faber watet durch die Fauxpas zum Film im Feuilleton, gibt Geschichtsnachhilfe und schlägt eine Brücke in die Gegenwart, den bayerischen Wahlkampf.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Er ist da. BMK, der Film, der die RAF vergessen macht. 20 Millionen Euro, 6.300 Komparsen, 123 Sprechrollen, 17.000 Schuss Filmmunition. Kalt mitzählende Filmkritiker: "Er zeigt an den originalen Schauplätzen, welche Wirkung die 119 Kugeln haben, die auf die Begleitmannschaft Hanns Martin Schleyers abgegeben wurden. Wie 25 Einschüsse einen Menschen töten, was dabei passiert, wie der Körper zuckt und zappelt, was dabei austritt, ausläuft, hervortritt, wie weh das tut. 34 Tote." FSK-Freigabe ab 12 Jahren für das, was die FAZ als "genetische Reproduktion" bejubelt.

*** BMK, der Film, soll den Oscar in den USA holen und zeigen, dass auch Deutsche schießen können. Er startet in einem Land, in dem es kaum Kenntnisse über die Geschichte der RAF gibt und die "Experten" über 60 Jahre alt sind. Aus dem Mythos RAF soll eine ganz normale Mörderbande werden, komplett mit Unterrichtsmaterial zum Download, denn anders als finnische Mordphantasien auf Youtube ist das Schlachten der RAF pädagogisch wertvoll. Endlich kann der geneigte Feuilletonist seinen mordsmäßigen Hass ausleben und Namen nennen: "Die oral history der RAF ist fest in der Hand von Souvenirhändlern, die sonderbarerweise alle aussehen – Haarverlust in Stirn- und Scheitelregion sind ineinander übergegangen, dafür fast schulterlanges Seitenhaar, festgewachsene Nickelbrille – wie der prominente Göttinger Politologe Franz Walter ..." Franz Walter? Franz Walter ist ein Parteienforscher, der schwerpunktmäßig die SPD analysiert und kluge Worte über den Bluff des Kanzlerkandidaten Steinmeier findet. Geboren im Jahre 1956 hätte Walter allenfalls Komparse bei der zweiten Generation der RAF sein können. So müssen wir auf die Lösung des Walter-Rätsels warten, bis BMK II gedreht wird, das Sequel mit noch mehr Toten.

*** Der Ex-"Führer" Bruno Ganz spielt, wie bereits erwähnt, den BKA-Chef Horst Herold und ist voll des Lobes über den genialen Mann. WWWW-Leser haben mich gebeten, die Sache mit der Rasterfahndung zu korrigieren, weil die "Methode Herold" doch wunderbar datenschützend arbeiten sollte. Das hohe Lob auf den Datenschützer Herold teile ich nicht unbedingt, gebe aber die entsprechende Passage mangels geeigneter verlinkbarer Texte wieder:

"In Umkehrung der bisherigen polizeilichen Ermittlungsweise forscht sie nach den Gruppenmerkmalen, die dem Täter nicht anhaften und die deshalb als 'negative' Merkmale zu bezeichnen sind. Wenn aufgrund der Ermittlungen etwa feststeht, dass der Täter kein Rentner, kein Student und kein Arbeitsloser war, so kann die Polizei Rentenversicherungen, Universitäten und Arbeitsämter bitten, die Daten, die die genannten Behörden verwalten, aus einem zu untersuchenden Datenbestand herauszulöschen, d.h. dort physikalisch zu vernichten. Dies schließt aus, dass die Polizei die einzelnen Datensätze der Rentner, Studenten und Arbeitslosen 'in die Hand nehmen' und aus ihnen durch heimliche Kriterien andere als die vorgegebenen Ergebnisse entnehmen kann. Besser als durch Datenvernichtung im Fremdbestand kann die verwahrende Behörde ihre Personendaten nicht schützen. Während bei der 'elektronischen Bürofahndung' Ergebnisbestände aufgebaut werden, die erst den Ausgangspunkt weiterer Suchmaßnahmen bilden, können Rasterfahndungen, je nach dem Fahndungsziel, durch Herauslöschen aller Gruppen, die Legalität verkörpern, bereits den oder die Verdächtigen liefern." (Horst Herold, Perspektiven im Bereich der Sicherheitsbehörden, September 1984)

*** Horst Herold scheiterte an der RAF und wurde aus dem Amt entlassen. Als größte Niederlage bezeichnete er seinerzeit übrigens den gescheiterten Versuch, maschinenlesbare KFZ-Kennzeichen einzuführen. Leider hätten politische Fehlentscheidungen dazu geführt, den maschinenlesbaren Personalausweis statt des maschinenlesbaren KFZ-Kennzeichens einzuführen. Wie gut, dass wir heute ein Stück weiter sind und über die Untauglichkeit des KFZ-Screening Bescheid wissen. Wie schlecht, dass Datenschutz-Trendforscher im Geiste Herolds weiterspinnen.

*** Herolds Nachfolger Ziercke fahndet nach zwei jungen Terrorverdächtigen und die Polizei nahm "völlig unspektakulär" zwei weitere Verdächtige fest. Ein Anschlag steht angeblich nicht unmittelbar bevor, doch ein bisschen Terror kann nie schaden. So formuliert man schnurstracks böse Geheimdienstdinge um den dritten Mann: "Er hat dunkle Haare und blaue Augen. Der Mann könne sich jedes beliebige Ziel ungehindert aussuchen, gaben die Sicherheitsexperten zu bedenken. Da würden Fahndungsaufrufe des Bundeskriminalamtes (BKA) auch nicht viel helfen. Breininger könne sich unerkannt in der Menge bewegen und sein Ziel für den Anschlag in aller Ruhe aussuchen." Was jetzt gebraucht wird, ist eine bessere Überwachung des Internets inklusive all dieser Internet-Cafes, in denen sich die islamische Jugend Zugang zu diesem üblen Netz verschafft. Denn es ist ganz wie damals, als Baader, Meinhof und die anderen noch nicht selbstradikalisiert waren: das Internet ist eine Kommune. Man darf gespannt sein, wie die Lösungsansätze zur Gefahrenabwehr im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Nutzung von elektronischen Kommunikationssystemen aussehen werden, ganz zu schweigen von dem "Instrument der diplomatischen Zusicherungen". Dem jungen Eric Breiniger, der irgendwo seinen Namen googelt, möchte ich das Studium der gesammelten Nichtwerke von Stanislaw Petrow empfehlen, an den sich vorgestern niemand erinnerte.

*** Was soll ein freier, schlecht bezahlter IT-Journalist ohne Dispokredit schon zur Finanzkrise schreiben? Washington Mutual, Wachovia und Fortis mögen ihre Löffel abgeben, doch ist der ganze Zusammenbruch nicht vielleicht Teil eines genialen New Deals, mit dem sich die USA daran macht, die besten Programmierer aus Indien und anderen Ländern zu holen? Doch wer wird im Wahlkampf noch nachdenken wollen? Gute Reflexe zählen, sonst nichts. Das mag früher anders gewesen sein.

Was wird.

Wahlkampf, Wahlkampf? Als Bewohner der norddeutschen Tiefebene habe ich keine besonders gute Beziehung zu den Bergen. Irgendein Kurzschluss in den Eiszeiten hat verhindert, die doofen Alpen zu planieren oder zumindest auf erträgliche Deister-, Solling- und Harzmaße zu stutzen. Auch die zwischen den Bergen lebenden indigenen Völker geben mir manche Rätsel auf. Nun wird heute in Österreich und in Bayern (und etwas in Brandenburg) gewählt. Einerseits ist das wunderbar, weil kein Microsoft-Spöttchen diese Wochenschau ziert. Die Werbespots zur Bayernwahl bieten sich da als Alternative zu Gates und Seinfeld an, wenn man sie denn verstehen würde. Für mich sind sie rätselhaft. Nehmen wir die Bayernpartei: zwei Eltern, die auf dem Spielplatz über den RFID-Chip im Arm und gegen die Totalüberwachung reden, die die bayerische Kultur zerstört. Warum rufen die beiden jungen Leute nicht gleich zur nächsten großen Demonstration auf? Oder die Grünen, bei denen Sepp Superman gegen Darth Vader antritt, ein Szenario, das auch die Gelben vorantreibt. Darth Vader? Was sind das denn für Bayern? Sieht man sich die dunkle Seite der Macht an, so kann man ganz ohne schlaue Wahlforscher erkennen, warum die CSU ein Problem hat und die SPD auch. Die Linke macht zwischen den Bergen einen auf schlüpfrig. "Heute schon gef****?" wäre noch ein Slogan, aber diese Bayern (Ha!) sollen ja nicht die Kraft verlieren, zwei Kreuze hintereinander zu machen, zum Wohle des bayerischen Tourismus.

Dann sind da noch die Nationaldemokraten, die auf die Ästhetik der schwieligen Arbeiterfaust setzen und die erweiterte Rechte der ÖDP, die sich ganz grausam an dem Rattenfängersong Stairway to Heaven vergreift. Die Republikaner, jo mei, die gibt es auch noch, mit Schwierigkeiten beim Videoschnitt. Doch wer mag das blauweiße Gehabere drumherum verstehen? Vielleicht muss man mit Karl Marx argumentieren, auf den mich ein bayerischer Programmierer hinwies, der auch noch gerne Lederhosen trägt: "Die Abschaffung einer Illusion bedeutet immer die Abschaffung eines Zustands, der einer Illusion bedarf." Natürlich nur komplett mit der einfühlsamen Anne Will am Wahlabend: "Herr Beckstein, wie fühlen Sie sich? Ist die Erde nun eine Scheibe?" Was wir Tiefebenenbewohner halt seit Hägar wissen. Man braucht keine Berge. Man kann geschickt am Rand den Anker werfen, hinüberholen und auf der anderen Seite der Scheibe weitersegeln. (Hal Faber) (ps)