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Was war. Was wird.

Bildung ist ein hohes Gut - offensichtlich gilt das in den Zeiten der New Economy mehr als je zuvor, analysiert Hal Faber in der Wochenschau. Dafür haben Hunde im Internet offensichtlich doch nichts zu suchen.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Lebenslang müssen wir lernen, bläut uns die neue Ökonomie ein. Und kein Pädagoge ist da weit und breit, der uns von diesem Schreckgespenst befreit. Pädagoginnen sowieso nicht, sie mögen den egalisierenden Fernunterricht ganz besonders gerne. Heute vor 70 Jahren wurde in Mannheim die erste Berufsschule für Mädchen eröffnet. Ihr erklärtes Ziel war es, Frauen für technische Berufe auszubilden, die sonst den Männern vorbehalten waren. "Nichts berechtigt zu der Annahme, dass Frauen nicht dieselben Fähigkeiten besitzen, die Männer für sich reklamieren", schrieb damals Hendrik de Man, ein heute vergessener Belgier, Sozialist und späterer Nazi-Kollaborateur, der an der "Schule der Arbeit" in Frankfurt lehrte. Er hatte sogar eine eigene Theorie der "Arbeitsfreude" entwickelt, wonach Frauen in technischen Dingen besser sind, weil ihr Triebleben geregelter sei. Förderprogramme rund um das weibliche Internet machen deutlich, dass sich in den vergangenen 70 Jahren nicht allzu viel geändert hat. Derweil steht women.com vor dem Aus und begründet das Scheitern mit der mangelnden Bildung von Frauen, das Internet richtig einzusetzen. Dafür soll es unter MadonnaMusic.com richtig losgehen: Ganz unbescheiden kündet dort die "erste Frau des 21. Jahrhunderts" (Maradona über Madonna) an, am 28. mit ihrem Londoner Konzert den Weltrekord bei Streaming Media zu brechen, den Paul McCartney hält.

*** Aber mit den Frauen im Internet ist das sowieso so eine Sache. Was in den Newstickerforen auf heise online an Machismo manches Mal nur zu offen zu Tage tritt, hätte mann vielleicht in Lateinamerika vermutet, der vermeintlich klassischen Brutstätte des Machos, nachdem die Italienier und Spanier auch nicht mehr das sind, was sie einmal waren – oder welche Frau vermöchte Typen wie Eros Ramazotti noch ernst zu nehmen, der nicht nur so heißt, sondern auch so singt, als hätte er zu viel klebrigen Kräuterlikör verschluckt. Obwohl: Man raube mir jetzt bloß nicht meine Illusionen über die Frauen, denn leise Zweifel beschleichen mich dann doch, wenn ich selbst gesetzte Damen bei einem Herrn Hartmut Engler dem Ohnmachtsanfall nahe sehe. Wie dem auch sei: Ausgerechnet in Lateinamerika machen's die Frauen den Männern vor: Nur noch 60 Prozent der Surfer sind männlichen Geschlechts, die Frauen kommen gar nicht langsam, aber um so gewaltiger. Wer hätte das gedacht – der Untergang des (männlichen) Abendlandes naht. Das wäre doch ein gefundenes Fressen für einen gewissen Herrn Norbert Geis von der CDU/CSU, der sich nicht zu schade war, in der Bundestagsdebatte um die so genannte Schwulen- und Lesben-Ehe vom Angriff auf die abendländische Kultur und dem schlimmsten Schlag gegen die Familie zu fabulieren. O tempora, o mores: Da steht es nun aber schlecht um die Träume vom Hightech-Land Deutschland, wenn sich Geis als kennzeichnend für die deutsche Leitkultur erweist. Denn die entscheidende Kennziffer für den ökonomischen Erfolg ist eine möglichst hohe Zahl von Schwulen, damit das Land auch zum Traumland der New Economy wird. Diese bahnbrechende Erkenntnis des Wirtschaftsprofessor Richard Florida von der Carnegie-Mellon-Universität dürfte Herrn Geis wiederum ganz schön aus der Bahn werfen – vielleicht sollte er zusammen mit Waldi Hartmann eine Männergruppe gründen und sich etwas weiterbilden.

*** Doch was ist Bildung? Ist es die Fähigkeit, ein Loch für einen Präsidentschaftskandidaten an der richtigen Stelle zu stanzen? In Florida sollen "ältere Menschen und Frauen" bei dieser Aufgabe versagt haben, die stark an den richtigen Doppelklick der richtigen Schaltfläche erinnert. Der Unfall im User Interface Design lässt die Präsidentschaftsanwärter im Regen stehen, und das in einem Land, in dem der Sieger alles kriegt. Vielleicht besinnt man sich auch dort der humanistischen Bildung, die in der deutschen Leitplankenkultur gerade richtig verbeult wird: "Bonos tum malos tum foedum pugnatoribus da", spricht der Lateiner. Und doch ist es nichts weiteres als die australische Aufforderung, für die Perl-Programmierung Latein als Quellsprache zu nehmen, weil Latein nun einfach klarer designed ist. Perligata soll die neue Skriptsprache heißen und mit einem Schlag die westliche Welt in den Taumel des kleinen oder auch großen Latinums ziehen. Also nix insert substr($sstring, 1,2) mehr, sondern "inserto stringum tum unum tum duo excerpementum da". Accipe, sperne, decapite?

*** Kleines Latinum hin, großes Latinum her: Bildung ist nichts, wenn man sie nicht vorzeigen kann. So dachten sich zumindest die Herren der Galerie v. Hobe – "die Galerie, die ganz ohne Katalog auskommt", wie sie sich nennt. Illustre Kunden kann sie vorweisen – vor allem wohl den niederen Adel, dem schon lange das Geld ausgegangen ist, seine Bildung auch öffentlich zu zeigen. Aber ein Original soll's schon sein, und wenn kein Original-Original, dann wenigstens ein So-gut-wie-Original. Warum das Geld für einen Watteau oder Turner zum Fenster hinausschmeißen, wozu einen Vermeer oder Rembrandt im Original erstehen – gute Gebrauchsmaler schaffen die Kopie, die der ach so Gebildete, der bei "Wer wird Millionär" an der Frage scheitert, wer die Deutschstunde geschrieben hat, nicht vom Original unterscheiden kann. Einen Picasso habe ich allerdings im Angebot der Galerie bislang nicht entdeckt – vielleicht läuft das bei deren Kundschaft ja auch unter "Entartete Kunst". Schade, dass Konrad Kujau schon tot ist, er hätte seine Freude daran, dass sein Kunsthandwerk nun auch im Internet reüssiert. Der Stern taucht bislang aber nicht in der Kundenliste der Galerie auf.

*** Wenn ich schon beim Stern bin, will ich auch noch etwas beim Thema Bildung verweilen. Ein Widerspruch? Nicht ganz. Denn nach oft gehörter Meinung gehört zur Allgemeinbildung die Lektüre einer Tageszeitung. Womit wir wieder beim Stern wären – nicht etwa, weil der in der Not zur täglichen Ausgabe mutiert, sondern weil Ex-Chef Michael Maier, der die Illustrierte fast so tief in den Sand gesetzt hätte, dass sie sich auch von diesem wer weiß wievielten Chefredakteur noch nicht erholt hat, nun die Tageszeitung für die Bobos macht. Nämlich die Tageszeitung, die nur im Internet erscheint. Was man von der deutschen Ausgabe der Netzeitung erwarten darf, darauf macht allerdings schon der seltsam geschraubte Titel nicht viel Hoffnung. Welch Wunder, dass die Macher nicht noch ein "a" darin platzierten, um den komischen Kringel auch noch mit aufnehmen zu können. @ ist einfach schick. Der Erfolg des norwegischen Vorbild Nettavisen jedenfalls beruht offensichtlich nicht auf unangenehmen Nachrichten: Berichte, die hier zu Lande der so genannten Yellow Press vorbehalten bleiben, etwa über die Amouren von Britney Spears, scheinen die großen Renner zu sein, die dann auch die Werbekunden anlocken. Dafür nimmt man dann auch außenpolitische Berichterstattung zurück, weil sie die Leser abschreckt, wie die norwegischen Macher dem in Jubelgeschrei ob der so erfolgreichen Netzzeitung verfallenden Spiegel zu berichten wussten. Gute Zeiten für Kai Dieckmann auch im Internet? Da bleibe ich doch lieber bei meiner Süddeutschen und lese den [ Heise-Ticker]. Die Boten, die wenig Rücksicht darauf nehmen, dass manchmal sie statt der Verursacher unangenehmer Nachrichten geprügelt werden, sind meist die zuverlässigsten.

*** Aber so ist das mit Presse und Journalismus: Was dem einem sin Uul, ist dem andern sin Nachtigall. Nicht anders, hätte ich die Wahl zwischen People Eating Tasty Animals (PETA) und People for Ethical Treatment of Animals (PETA) – ich würde die ersteren wählen. In unserem Haushalt toben Hunde, pennen Katzen, krächzt die Hauseule in der Nacht, und ab und zu trällert auch eine Nachtigall. Doch als Carnivore bin ich manch leckerem Happen nicht abgeneigt. Ein Fressen für die Geier bieten jetzt die Websites pets.com, petstore.com und petopia.com. Was ist nur falsch an der Bobo-Idee, Tierfutter online zu verditschen? "Niemand weiß im Internet, dass du ein Hund bist", heißt es in einem der bekanntesten Internet-Cartoons, in dem ein Hund in die Tasten haut. Pets.com geht baden und beweist damit schlussendlich, dass Hunde doch nicht surfen. Wuff!

*** Vielleicht war das nur voreilig gebellt, vielleicht kommen die Viecher noch: "Unser Gerät ist so einfach, dass ihr Hund es bedienen kann", verkündete Barry "Wuff" Schuler, President AOL Interactive Services, bei der Vorstellung der Internet Appliance von Gateway. Beim Einschalten geht das mit einem Transmeta-Chip werkelnde Gerät online und kappt die Verbindung erst, wenn es wieder ausgeschaltet wird. Das dürfte keinen Hund überfordern. Katzen, die sowieso intelligenter sind, halten sich derweil an Fiva von Casio. Das ist ein PDA mit Transmeta-CPU und Windows ME, benannt nach der Pussycat des Chefentwicklers.

Was wird.

Wenn diese Zeilen online gehen, ist die Eröffnung der Comdex nur wenige Stunden entfernt. Wie immer ist das die Sache von Bill Gates, der so manches Produkt erstmals in Las Vegas vorgestellt hat, etwa das Windows for Pen-Computing anno 1988. Diesmal werden ein drahtloses Schreibtablett und eine "völlig revolutionäre Technologie der Schrifterkennung für das .NET" bei Gates im Mittelpunkt stehen, ein Produkt aus der Konkursmasse von Firmen wie Go und ARA Computing. Revolutionär ist nach gut durchsickernden Quellen die Technik, vom Anwender keine Graffiti-Kunst a la Palm zu erwarten. Man schreibdruckt ganz natürlich seine Buchstaben, und ein Prozess im Hintergrund analysiert Grammatik und Syntax, ehe das Ganze in ASCII-Art umgesetzt und als DOC-Datei gespeichert wird. Bei Gates ist Ralph Lauren mit von der Partie, der mit dem Tablett die Luxus-Website Polo.com starten will. Liest man die Ankündigungen zum neuen Polo-Lifestyle, wird die Site alle Fehler machen, die Boo.com pionierte.

Einen Tag nach Gates wird Larry Ellison auftreten. Die Zeitschrift Fortune feiert ihn dieser Tage als "Next richest man of the World" und wird auf Oracles Kosten an jeden Comdex-Besucher verschenkt. Da Ellison ad definitionem gatesum nicht die Comdex eröffnen kann, wird er "das Internet eröffnen", wie es bescheiden in der PR heißt. Darunter macht es unser Larry nicht. Eigentlich sollte Madonna mit Larry auftreten, doch dieser Gig platzte, und das nicht am geforderten Honorar. So soll Madonna durch Whitney Houston ersetzt werden und "Ein bisschen Frieden" trällern. Oder war's irgendwas mit ewiger Liebe? (Hal Faber) / (jk)