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Was war. Was wird.

Wie an jedem Sonntag möchte Hal Faber Rückschau halten und einen Ausblick wagen. Doch der Blick nach vorn fällt schwer. Vielleicht hilft Joseph Weizenbaum.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Dies war keine gute Woche. Nicht für diese Kolumne, nicht für Amerika und nicht für diese Welt. Über 4000 Menschen gelten nach den blutigen Attacken auf die USA noch als vermisst. Unsere Anteilnahme gilt den Opfern und deren Angehörigen und unsere Hoffnung ist bei jenen, die noch bangen. Doch Überlebende unter den Trümmern, sie wird es wohl nicht geben. Nein, nichts ist mehr wie es war, und es wird auch nicht mehr so. Beschließen wir die alte Woche also besinnlich, und wie sonst sollte eine Wochenschau dieser Tage beginnen.

*** Erinnern wir uns an den 17. September vor 35 Jahren, an jene Zeit, als sich die Menschen vor den Bildschirmen versammelten, um den Start des Raumschiffes Orion mitzuerleben, das aufgebrochen war, die Menschheit zu retten. Und wie. Mit allerlei komischen Apparaturen an Bord, mit Brauseköpfen und Suppenlöffeln, mit Waffen, die wie Tauchsieder aussahen und Tauchsieder waren. Und die sichere Hand von Commander McLane, den Bügeleisengriff fest umschlossen, bevor er den Kurs ändert. Waffen, die eigentlich keine sind, Teppichmesser in den Händen einer Truppe mit mörderischem Fanatismus, haben auch den Kurs dieses WWWW geändert. Wir haben das Pearl Harbour des neuen Jahrhunderts auf den Bildschirmen gesehen, wieder und immer wieder, und warten auf sein Hiroshima.

*** Am 11. September 1990 hielt US-Präsident Bush (Senior) seine Rede vor dem US-Kongress zum Krieg gegen den Irak. Es war dieser Krieg, der erstmals das Internet ins öffentliche Bewusstsein spülte, mit den überbordenden Diskussionsforen in aller Welt. Die Menge der Textbeiträge brachte damals etliche Server zum Einknicken. Elf Jahre danach wird allenthalben erleichtert registriert, dass das Internet seine Bewährungsprobe bestanden haben soll. Das ist natürlich großer Unsinn. Das immer wieder gern beschworene "elektronische Pearl Harbour" hat es nicht gegeben, der Angriff der Cyberterroristen fiel aus, stattdessen wurden die "Bomben des kleinen Mannes" (Ghadaffi) benutzt. Wäre es doch nur ein elektronisches Pearl Harbour gewesen! Es wären weit weniger Opfer zu beklagen, und die hoch gerüsteten Computer von CIA und NSA hätten einen stolzen Sieg amerikanischer High-Tech feiern können – aber das Internet hat nun einmal keine Symbole von der Bildkraft eines World Trade Center.

*** "In dieser Stunde sind wir alle Amerikaner", tönt es jetzt aus allen Kanälen. Nein, mein Amerikabild ist am 11. September 1973 entstanden, als in Chile mit Unterstützung des CIA die Regierung Allende zu Grabe getragen wurde und ich habe lange gebraucht, es zu ändern. Dennoch bin ich kein Amerikaner geworden. Wer versteht schon die Logik, wenn die Kombination von Open Source und Gewehren für alle als verteilte Lösung für ein verteiltes Problem gehandelt wird? Und wer möchte typische Schnellschuss-Forderungen wie die unterstützen, dass alle Kryptografie unter Strafe gestellt wird. So ist denn Schadenfreude nicht angebracht, wenn sich deutsche Firmen mühsam gegen den Vorwurf wehren müssen, Terroristen zu unterstützen. Wie weit die Amerikanisierung indes gediehen ist, mag daran zu erkennen sein, dass der CCC zu den Anschlägen in Amerika eine Meldung in die Redaktionen schickt, die auf eine zwei und ein halbes Jahr alte US-Resolution verweist. Hat sich nichts geändert?

*** Es hat sich nichts geändert: Es dauerte exakt zwei und eine halbe Stunde, bis nach dem Einschlag des ersten Flugzeugs die Mail einer Marion.Schwarz-9950@arabia.com auftauchte: "Keine Terroristen! Komm zu unserer Porno-Site! Mach den Fernseher aus und stopp, all diesen Quatsch zu gucken, der in Amerika abläuft. Heute ist alles auf ... kostenlos. Heiße Mädchen erwarten dich!" Vom Marketing-Terror zum Terror-Marketing. Bei einer deutschen Firma marterte einer sein Hirn so lange, bis er auf den Dreh kam, mit dem schnellstmöglichen Aufbau eines Intranets vor Ort zu werben, komplett mit dem Verweis auf einen Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde. Ein Mobilfunk-Anbieter lockte mit kostengünstigen neuen Handy-Logos, die "das Mitgefühl seiner Träger ausdrücken und sich gegen den Terror in der Welt aussprechen." Braucht es weitere Beweise dafür, dass man Geschmacklosigkeiten wie die des so genannten Kimble locker unterbieten kann? In dieser Hinsicht gibt es keine Unterschiede zwischen Deutschen und Amerikanern.

*** Wo bleibt das Positive? Es gibt Spenden und Spenden und noch mehr Spenden. Und weil das in schweren Zeiten gut ankommt, gibt es weitere Spenden und Spenden und natürlich Reden. Es gibt auch Flaggen und den Aufruf an jeden Amerikaner, beim Montagsstart der Börse aus Solidarität Aktien zu kaufen. Wer die Kurse hebt, hebt die Stahltrümmer. Und was kommt dann? Die Rache – und sie wird, wie viele erwarten, fürchterlich sein. Vielleicht wird sie die Schuldigen treffen, verlässlicher aber viele Unschuldige. Wird es dann auch Spenden geben und Betroffenheit? Hoffen wir das Beste.

Was wird

*** Der Blick nach vorn fällt schwer, nicht nur, weil die meisten Konferenzen in der nächsten Woche abgesagt sind. Zu den Unentwegten zählen die Marktanalytiker von IDC, die in Monaco ihr IT-Forum 2001 starten und dabei die amerikanischen Gäste kurzerhand per Video in die Konferenz beamen. Als Hauptthema hat man sich vorgenommen, das Licht am Ende des Tunnels zu suchen. Manchmal kommt es von einem Zug, der heran braust: Das Internet, wie wir es kennen, ist mit dem 11.9. am Ende. Sein Einsturz ist langsamer, beginnt mit der Pflicht zu Authentifizierung und Identifizierung in IPv6, dem Verbot der Kryptografie, der Installation von Carnivore, wo es nur möglich ist und dem Stopp der Debatte über Freiheit, Privatsphäre und Sicherheit.

*** Das Verhältnis von Deutschland und Amerika wird wieder einmal ein Thema großer Debatten werden. Ob wirklich alles verstanden wird, was die Amerikaner machen, ist eine spannende Frage. Vielleicht hilft Joseph Weizenbaum, die Wirrungen und Brüche zu erklären. Aus Deutschland von den Nationalsozialisten vertrieben, ist er zurückgekehrt in seine Geburtsstadt Berlin. Zwischendurch, in den USA, war Weizenbaum ein richtiger Deutschenfresser, der Vorwürfe vom Stapel ließ, wenn jemand auch nur einen deutschen Wagen fuhr. Am nächsten Wochenende soll der Vater von Eliza das Bundesverdienstkreuz bekommen.

*** Besinnlich will ich auch schließen, mit einem letzten Gruß an die Opfer vom 11.9.2001. Keine Schweigeminute, aber diese Zeilen von W. H. Auden aus dem Jahr 1936 sollten ohne Keyboard-Geklapper gelesen werden.

Stoppt alle Uhren! Kappt das Telefon!

Bringt, was Hund ist, zum Schweigen. Kein Ton.

Kein Klavier. Zu dunklem Trommelschlag

Klagt euer Weh und schultert den Sarg.

Lasst Flugzeuge leidvoll über uns sein

Und Er Ist Tot in den Himmel schrein.

(Hal Faber) / (em)