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Was war. Was wird,

Langsam tanzen, ja, langsam tanzen: Vielleicht wäre das die Lösung für alle unsere Probleme, fragt sich Hal Faber.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "And can you teach me how to dance real slow?" Eine möglicherweise dieser Tage oft zu hörende Frage. Mag Madonna auch noch so verzweifelt den alten Song im US-Flaggen-Kostüm verhunzt haben, nunmehr, da an den Börsen nicht einmal mehr Tango getanzt wird, sondern Ringelreihen beim Totentanz angesagt ist, erinnert sich mancher gerne der seligen Zeiten Don McLeans -- der auch nur wieder anderen seligen Zeiten nachweint. Das Empire bröckelt -- aber anders als der Alt-Autonome Toni Negri es früher und heute dachte. Ja, es gab einstmals Leute, die als Autonome denken konnten, auch philosophisch und politisch etwas zu sagen hatten -- was auch immer, jedenfalls nicht nur mit inhaltsleerer Militanz noch jeden politischen Ansatz in Grund und Boden stürmten. Weder die Theoretiker von Attac und Neuer Linken noch die schwarzgewandeten Berliner Militanz-Sekten schaden dem Kapitalismus so wie er sich selbst. Inzwischen geht nicht etwa die Angst vor den Autonomen um, warum auch. Leise schleicht sich ein flaues Gefühl ein, bei Bobos, Bobo-Freunden und Bobo-Kritikern ebenso wie bei gestandenen Kapitalgebern, Old-Economy-Schlachtschiffen und linken Theoretikern: Ob sich der Kapitalismus etwa zu Tode siegt? "Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens", zitiert Karl Marx zustimmend im ersten Band des Kapital. Günter Grass dagegen meint bereits die nächste Aufgabe für Rot-Grün formulieren zu müssen: Die Rettung des Kapitalismus. Als ob Schröder, Fischer und Co. dazu noch einer besonderen Aufforderung bedürften. Manch Historiker zieht inzwischen Parallelen zu 1929 -- der Börsencrash kam damals schneller, störte aber wie heute grundsätzlich das Vertrauen in das Management der Firmen, die vermeintlichen Selbstregulierungskräfte des Marktes und die Vernunft der Börsen. Trotzdem überlebte der Kapitalismus -- wobei ihm allerdings das Elend von Millionen sowie ein Weltkrieg und anschließender Kalter Krieg hilfreich zur Seite standen. Geschichte jedoch ereignet sich immer zwei Mal, "das eine mal als Tragödie, das andere Mal als Farce" -- was wir immer wieder erleben mussten. Die Hauptdarsteller sind bereits angetreten: ums Überleben kämpfende Bobos, windige Manager, gierige Aktionäre. Aber die Farce, die uns, nehmen die Dinge wirklich diesen Lauf, bevorstünde, die möchte ich dann doch nicht erleben. Da lern' ich auf meine alten Tage lieber, langsam zu tanzen.

*** Nun gut. Wir haben ernste Schwierigkeiten, wenden wir uns also unernsten Geschehnissen zu. Heute vor 250 Jahren kam Joseph-Marie Jacquard zur Welt. Ihm verdanken wir die Lochkarte als Datenspeicher, selbst das Konzept der Programmschleife kann nach einem Bonmot der Ada Byron Lovelace auf den Bricoleur zurückgeführt werden. Wer will, kann mit Jaquard und seinem Enten bauenden Vorgänger Vaucanson auch den Anfang der Künstlichen Intelligenz feiern. Jacquard dachte bei seiner Lochkartentechnik noch sehr analog; er wollte kostengünstig fehlerfreie Muster erzeugen können. Mit den ersten Jacquard-Webstühlen brachte die Umwertung des Loches zur Präzisionsaussage auf gestanzten Karten den Begriff "maschinenlesbar" in die Welt. Das Menschen auch maschinenlesbar sind, bemerkte Herman Hollerith bei einer Zugfahrt. Zugschaffner lochten Fahrkarten nach bestimmten Mustern, um körperliche Merkmale festzuhalten und auf diese Weise Schwarzfahrern auf die Spur zu kommen. Der Rest ist bekannt, eine Geschichte, die sich hoffentlich weder als Farce noch als sonst irgendwas wiederholt..

*** Noch ein anderes Geburtstagskind sei neben dem großen Wiener Joseph Zawinul erwähnt, der heute 70 wird. Auch wenn wir uns gerne in Birdland aufhalten, liegt uns zeitlich näher, was doch irgendwie ferner zu sein scheint: Heute vor 65 Jahren wurde die früh verstorbene Bessie Head in Pietermaritzburg in Südafrika geboren. Ihre Mutter war Schottin, sie verliebte sich in einen Schwarzen. Dafür wurde sie in eine Irrenanstalt gesteckt, in der dann Bessie zur Welt kam. Als "illegitimes Kind" war ihr der Schulunterricht verwehrt, doch sie fräste sich durch die Bibliotheken von Missions-Stationen. Bessie Head wurde Schriftstellerin und Chronistin des ausgeschlossenen Afrikas, der Apartheid. "Jede neue Technik wird erst einmal dazu benutzt, uns auszuschließen," schrieb sie in einem Essay. In der letzten Woche tagten zu Genf Vertreter der FAO, IAEA, ICAO, ILO, IMO, ITU, UNCTAD, UNDP, UNEP, UNESCO, UNHCR, UNIDO, UNITAR, UPU, WHO, WIPO, WMO (Copy & Paste ist toll) und WTO zum Thema Digital Divide. Was 2003 zu einer Deklaration der digitalen Menschenrechte führen soll, erschien vielen Teilnehmern dem Namen nach zu negativ. Auf Vorschlag der Malis einigte man sich auf eine neue, optimistische Aussage: e-Inclusion heißt es fürderhin. Auch wenn dieser Name derzeit noch im Besitz vom Hewlett Packard ist, so ist das wohl die kleinste Hürde. Huchison Whampoa machte es gerade mit "3" vor, da könnte "4" für HP stehen -- wenn 1 und 2 besetzt sind. Nummern statt Namen, welch kühnes Projekt! Bleibt nur die Frage, wer sich 08/15 nimmt.

*** Zu den starken Nummern dieser Woche zählte der Vorschlag des britischen Innenministeriums nach einer "Berechtigungskarte" mit einer einheitlichen Personalnummer, die die Kriminalität bekämpfen soll. Im schönsten Newspeak "Entitlement Card" genannt, soll diese ID-Karte die Ausweispflicht bei den europhoben Insulanern einführen. In einem Land, das Personalausweise nur in Kriegszeiten vorübergehend einführte, gibt der Vorschlag besonders denen zu denken, die sich über einen anderen Vorschlag des Innenministeriums entrüsteten. Da hatte Minister Blunkett die snoopers' charta verkündet, mit der die unlängst angeordnete Überwachung des E-Mail-Verkehrs auch nicht-staatlichen Stellen zugänglich werden sollte. Ein bisschen Vorratsspeicherung, ein bisschen Zugriffs-Erweiterung, und wir konstatieren: Es wächst in Europa zusammen, was zusammen gehört.

*** Das Schöne am Internet ist doch, dass jeder dabei mitmachen kann, es abzuschaffen oder zu verbessern. Nehmen wir einmal die Firma Neue Digitale. Es ist nicht einmal eine Woche her, da präsentierte die Firma eine Studie, nach der 96% der Kinder das Internet doof finden und es nicht benutzen. Diese Woche rückte man mit einer Software an, den verbleibenden 4% das Maul zu stopfen: Ein Chat-Filter, der alle anstößigen Bemerkungen automatisch entfernt, seien sie nun sexistisch oder rassistisch oder sonstwie despektierlich. Dazu flötet die PR-Mitteilung: "Unmoderierte Chats stellen ein erhebliches Gefährdungspotenzial vor allem für Kinder und Jugendliche dar, die von Kriminellen oder Personen aus der rechten Szene online 'angequatscht' und beispielsweise zu Treffen in der realen Welt angehalten werden." Soso, Gefähdrungspotenzial. Und wie hilft dabei eine Software mit ihrem "Filtere, Suche & Ersetze"? "Hallo Süße, möchtest du einmal meinen Gänseblümchendrucker sehen?" Es gibt nichts, was über die Aufklärung von Kindern und Jugendlichen geht, ganz ohne Software. Sonst bekommen unsere Kinder noch Angst vorm Digimann oder laufen bei der ersten Katze von links kreischend davon.

*** Apropos Kinder, die können auch außerhalb des Mammutkomplexes Internet etwas lernen. Es gehört nicht eigentlich zur IT, aber in diesen eigentumsgeilen und Farce-gefährdeten Tagen in eine Wochenchronik wie diese hier: Das LG Berlin hat den Antrag zu einer einstweiligen Verfügung von AOL Time Warner zurück gewiesen. Den Antrag richtete sich dagegen, dass der "Verlag an der Ruhr"Schulmaterial zu Harry Potter entwickeln darf. Die arme Frau Rowling aber auch! Zur Rache verschwindet natürlich Harry Potter im nächsten Buch und muss durch Hermine K. Rowling ausgewechselt werden.

*** Mit dem Wechseln ist das so eine Sache, jedenfalls im wirklichen Leben. Apple mag es nach so sehr betonen; doch wenn der Gründer von Wired Online und Boing, Mark Frauenfelder, sich unter den Wechslern befindet, ist das Amüsement groß, oder auch nicht. Tja, die richtigen Leute im richtigen Leben wissen den richtigen Computer zu schätzen, auch wenn das von DER FIRMA nicht anerkannt wird. Doch wer nimmt diese Firma noch ernst?

Was wird.

Am Montag wird im Fernsehen das in dieser Kolumne bereits erwähnte Millionenspiel gezeigt. Nach dem in Osnabrück spielenden Film mit den großen Schauspielern Heribert Faßbinder und Dieter Thomas Heck meldeten sich über 150 Freiwillige zum Mitspielen an.

Mittenst in der großen Hetze fängt zu Stuttgart ein Kongress an, der sich mit der Zukunft des Menschen beschäftigt, kurz bevor sich der Mensch auf die Festplatte lädt. Von der Zukunft des Menschen ist es nur ein kleiner Schritt zur "Antiquiertheit des Menschen". Vor 100 Jahren wurde am 12. Juli 1902 in Breslau Günther Anders geboren. Der Sohn eines Psychologen wurde als philosophischer Journalist mit dem Buch "Off Limits für das Gewissen" bekannt, einem Briefwechsel mit dem Piloten Claude Eatherly, der die Atombombe auf Hiroshima auslöste. Anders reflektierte den Einsatz und den Umgang mit den Medien, etwa der Fernbedienung.

Weil Apple sich die Firma Emagic schnappte, dürfte der diesjährige Kongress von Musik und Maschine kaum in der Bedrouille stecken, obwohl doch unter allen Besuchern Produkte von Emagic verteilt werden sollen. Windows? Wer braucht auf einer Love-Parade Windows? Wer in Berlin nicht raven kann, könnte in München die Puppen tanzen lassen. Denn zum Ausklang dieser unserer nächsten Woche soll schon der einzig echte Wahlkampf beginnen. Open Space möchte in leidlicher Annahme an Open Source das "Wesen der E-Demokratie" bestimmen. Für das leibliche Wohl ist gesorgt.

Ja, aber hallo, das Wohl wünsche ich auch allen Lesern! Und wir alle tanzen darauf -- wirklich langsam ... (Hal Faber) / (jk)