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Was war. Was wird.

Es sind leider keine Spacelabs, die auf Inseln fallen -- und das am Ende einer Woche, die an traurigen ebenso wie absurden Jahrestagen nicht nur in der IT-Branche einiges zu bieten hatte, bedauert Hal Faber.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ziemlich genau 17 Jahre nach der Challenger-Katastrophe stürzt die Columbia bei der Landung ab. Dass ein Israeli an Bord war, gab schon beim Start Anlass zur Angst vor Terroranschlägen -- absurdes Zeichen für die geistige Situation der Zeit. Nun ist anscheinend das Versagen der Technik erneut für den Tod von sieben Astronauten verantwortlich. Kaum etwas hat das Vertrauen nicht nur der Amerikaner in Hightech so erschüttert wie die Explosion der Challenger am 28. Januar 1986 -- nicht einmal die Katastrophe um das Raumschiff, das nachträglich Apollo 1 getauft wurde und in diesem Monat vor 36 Jahren starten sollte. So mischt sich heute wieder in die Trauer um den Tod der Columbia-Crew -- den ersten Menschen, die bei der Rückkehr einer NASA-Mission sterben -- das seltsame Gefühl eines bösen Omens in einer Zeit, in der eigentlich positive Signale dringend nötig wären.

*** Dies ist also das traurige Ende einer Woche, die einiges an Jubiläen auffuhr, und zwar so zahlreich, dass die Maus unter einer dicken Last von Links ächzt. Beginnen möchte ich mit einem politischen Jubiläum -- aber ist das das richtige Wort, da man Jubiläen doch in der Regel mit Jubel feiert? Am Donnerstag wurde jedenfalls etwas fällig, dessen man sich erinnern muss, das aber keinen Anlass zum Feiern gibt. Der 70. Jahrestag der Machtergreifung der braunen Bande wurde in einigen Feuilletonseiten abgehandelt, doch das Gedenken war leise, ganz nach dem Vorbild unserer Politik. Der Bundestag veranstaltete zum Jahrestag, gesponsert von den Automatenbauern, das 2. Parlamentarische Skatturnier. Ja, so sollte wohl Normalität demonstriert werden, schließlich ist Skat laut Bundestagspräsident Thierse ein "friedlicher Denksport", erfunden von saarländischen Politikern, die nichts zu tun hatten. Ja, es sieht allemal besser aus, wenn Politiker im Parlament mit Karten zocken statt den 3D-Shooter in der Sitzung über den Irak-Konflikt aus der Tasche ziehen. Da frohlockt die Automatenwirtschaft, bekannt für ihre jugendgeschützten friedlichen Münzspiele über das Parlament: Wer politische Rahmenbedingungen mitgestalten will, der muss sich dort auch engagieren. Ein feiner Zug wäre es, wenn zum 70. Jahrestag des Reichstagsbrandes am 28. Februar in den Wandelhallen des Reichstags ein paar Münzspieler installiert werden.

*** Die positive Nachricht dieser Woche kommt aber ausgerechnet von der Musikindustrie. Zum Jahrestag der Machtergreifung wurde die Serie Entartete Musik. Meisterwerke einer verlorenen Epoche in einem Sampler neu aufgelegt. Es gibt sie noch, die guten Dinge.

*** Bei zwei anderen Jubiläen zeigte sich die deutsche Politik mit bestem Schrot und Korn. Microsoft Deutschland feierte sein 20-jähriges Bestehen und wurde dafür von Otto Schily und Edmund Stoiber gelobt. Schily freute sich über das kostenlose Programm zur gerechten Verteilung von Flutopferspenden, das von Microsoft entwickelt wurde, zusammen mit Booz Allen Hamilton und init. Man muss einfach die Leistung würdigen, wenn die bis dato vorhandene Oracle-Datenbank ganz für umme in eine Standard-Datenbank von Microsoft umgewandelt wird. Und natürlich sollte man nicht die Spenden von Microsoft vergessen, die besonders bei der unbürokratischen Hilfe zur Wiederherstellung von Lizenzen sehr hilfreich waren. Vergessen wir auch nicht die zehn Works-Kopien und zwei Server-Lizenzen im Wert von 13.060 Euro, in der sogar eine Xbox enthalten ist. Auch Kleinvieh macht Mist.

*** Doch nicht nur Schily zeigte Glanzleistungen. Sein Landsmann Edmund Stoiber trieben offensichtlich die furiae bavariensis bei seinem Satz, ohne den Ansiedlungsmagneten Microsoft würde der IT-Standort in dieser Größe und Bedeutung nicht existieren. Nehmen wir nur einmal die Siemens AG zu München: Was ist das für eine kleine Klitsche im Vergleich zu Microsoft. In Bayern ist es mit der Firmenkunde wie mit der Menschenkunde: Wer Genaueres wissen will, fliegt in die Luft.

*** Von wegen Bayern. Wie die Jubiläen dieser Woche zeigten, kann das Gesagte ohne Probleme auf andere Länder übertragen werden, etwa auf Nordrhein-Westfalen. Dort feierte Nokia seine 10-jährige Ansiedelung und lud die Prominenz zu einer eigens inszenierten Talkshow, in der RTL-Gründer Helmut Thoma auf der nach unten offenen Hugo-Egon-Balder-Skala brillierte. Klassen besser als Stoiber war jedenfalls Ministerpräsident Peer Steinbrück, der eine Laudatio auf Nokia hielt und den Finnen versprach, um jeden UMTS-Sendemast in Wohngebieten zu kämpfen wie um den Metrorapid. So wunderte sich der Mann, dass es Menschen gibt, die schnelle SMS verschicken und dennoch gegen den schnellen Metrorapid sind. Die Rede endete mit dem Satz: "Die Landesregierung steht gerne als Dienstleister für Nokia voll zur Verfügung." So wünschen wir uns die Politiker, als Hansel der Konzerne: Heute ist in Niedersachsen und Hessen die brutalstmögliche Dienstleister-Wahl.

*** Ein letztes Jubiläum führt uns endlich zurück in das ach so saubere Feld der Informationstechnologie, von der heise online unermüdlich tagaus, tagein berichtet. Heute vor 60 Jahren kapitulierte die deutsche Wehrmacht vor Stalingrad. Aber erst 10 Jahre später wurde der Ruf Nie wieder Krieg ernst genommen, als der Deutsche Bundestag die Anwerbung für die Fremdenlegion verbot. Nun steht der Krieg gegen den Irak an, den Hitlers Flieger einstmals mit 24 Flugzeugen gegen die britischen Truppen verteidigen sollte. Am 5. Februar wird die Welt von den USA aufgeklärt, was ihre Spionagesatelliten leisten können. Obwohl die Argumente nicht eben überzeugend sind, obwohl der Ausgang einfach zu berechnen ist, rüstet sich Amerika weiter auf. Auch das Internet spielt mit. Wer hat dort noch die Kraft, sich gegen die allgegenwärtige Gehirnwäsche zu stemmen? Natürlich nur die Menschen mit dem Betriebssystem, das alle Gehirnwäschen abwehrt. Doch Obacht, Dissidenten werden sicherheitsverwahrt.

*** Aber lassen wir das mit der Gedankenkontrolle: Die vermeintlich immanenten Zusammenhänge zwischen drohendem Irak-Krieg und Hitlers Machtergreifung werden gerne bemüht -- es ist allerdings eine recht wohlfeile Argumentation, einen Einmarsch im Irak mit dem Scheitern des Appeasements der 1930er Jahre zu begründen. Es gibt nur wenige Länder, in die die US-Regierung nach dem 2. Weltkrieg nicht ihre Armee hätte schicken müssen, wollte man diesen Begründungszusammenhang ernst nehmen -- einschließlich möglicherweise der USA selbst, wären die Ambitionen von Senator Joseph McCarthy in den 1950er Jahren nicht anderweitig gestoppt worden. Was wiederum dem rechten US-Untergrund Anlass für die allerschönsten Verschwörungstheorien von der Unterwanderung der US-Regierung durch die UNO gibt. Manchesmal wünscht man sich doch, Gedankenkontrolle funktionierte und ließe nur noch Vernunft durch. Dann fiele auch auf, dass der geplante Irak-Krieg gegen UN-Charta und Völkerrecht verstößt. Dass das alte Europa aus leidvoller Erfahrung einst in einem Westfälischer Friede genannten Dokument auch das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten miterfand, interessiert derweil wohl nur noch Herrn Dabesin.

*** Machen wir uns nichts vor. Computer und Internet sind für Neulinge verwirrend. Sie zu erklären, ist das Anliegen eines Angebotes des BSI, das überraschend gut gelungen ist. Jedenfalls im Vergleich mit Methoden vom Typ Schnapp sie dir alle: "Die übersichtlichen Sammelkarten nehmen die Angst vor dem PC-Alltag und zeigen vielfältige Möglichkeiten auf, den Computer zu beherrschen." Wenn es Vielfalt gibt, so sollte Vielfalt Mut machen, die Einfalt abzulegen. Ob das auf einem Kärtchen vermittelt werden kann? Es bleibt die Hoffnung, dass mit der Lektüre die Lust wächst, wirklich spannende Geschichten über den Computer und das Internet zu lesen. Denn der Umgang mit dem Rechner muss nicht zwangläufig dazu führen, dass man sich auf die grenzdebile Jagd nach hundert wirklich geheimen Befehlen und nach Schaltern in der Software macht, die angeblich "unautorisiert" sind. Was ist mit der einfachen Frage, warum Sabrinas Dessous-Seite nicht funktioniert? Und wer hat denn wirklich all die Dotcom-Schäfchen gezählt, die von den Bobos längst geschoren, geschlachtet und geviertelt wurden, natürlich hochprofitabel. So ist ein Trip in das schwarze Herz der Szene eine Reise ins Licht.

*** Wo wir schon beim Film angelangt sind, muss es klar gesagt werden: Verbrechen lohnt sich doch und sei es nur das Verbrechen, den Slogan eines anderen Films zu klauen, der einem anderen Hochstapler gewidmet ist. Nichts ist so, wie es scheint, das muss auch für das Original gelten, das "erstklassige Erfahrung im Fälschen von Dokumenten" besitzt.

Was wird.

So manche Fälschung wird zum regelrechten Sport. Während gegen den Irak gerüstet wird, nimmt der Spott über Nordkorea zu. Dabei ist der Name Gates in aller Munde, wenn die Amateure an den Start gehen. Nun gehen die Freunde der Raketentechnik dazu über, das Wardriving im Bereich von 2,4 GHz zu beschleunigen. Eine Antwort darauf ist das gemächlichere Artchalking, das in der nächsten Woche startet. "Wardriver spüren den virtuellen öffentlichen Raum auf, Künstler machen diesen Raum in der Öffentlichkeit sichtbar." Ja, wo die Kunst ankommt, ist es mit der digitalen Avantgarde vorbei. Der Rest benutzt in Zukunft billige kleine Schlüsselanhänger, die ähnlich wie Enigma-Telefone niemanden auffallen.

Ein zweites bemerkenswertes Ereignis der kommenden Tage ist die zum dritten Mal in Brüssel stattfindende FOSDEM. Immerhin bestätigt sie als Veranstaltung mit dem anerkannt schlechtesten Essen, wie hart Programmierer im nehmen sind, wenn es wirklich interessante Referate gibt. Bei ranzigem Käse, labberigen Baguettes und Blümchenkaffee wird in Solbosch sicher die Frage diskutiert, wann nach KDE 3.1 das alles erlösende 3.11 kommt. Abseits der bekannten 23 und 42 ist in den Versionsnummern die 3.11 ein untrügliches Zeichen großer Stabilität. DOS 3.11 und Windows 3.11 sind der Beweis, oder? (Hal Faber) / (jk)