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Was war. Was wird.

Es ist geschafft, und dabei steht uns das Schlimmste noch bevor: Zielgenauigkeit war nie eine besondere Fähigkeit, weder der IT-Branche, der Musikindustrie, der Weltpolitik oder gar des Militärs, meint Hal Faber.

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Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich schreibe als freier Journalist hier und da und besonders gerne für den Heise-Verlag. Er ist ein kleines, aufstrebendes Unternehmen in einer unwirtlichen Umgebung namens Hannover. Er beschäftigt viele Menschen, die sich Gedanken über die Technik machen und darüber schreiben, ohne die Gesellschaft zu vergessen. Die sich Gedanken darüber machen müssen, wie eine Zeitschrift sich wandeln muss, wenn sich die Leser wandeln -- dies für die Zeitgenossen, die die alte Zeit, ein altes Blatt oder ein Projekt vermissen. Die sich auch Gedanken darüber machen müssen, welche neuen Projekte beim Publikum ankommen können. Auch wenn dabei manchmal auf den ersten Blick wahrhaft seltsame Ansichten herauskommen, die eines Bobos würdig wären, der die New Economy vermisst: "Denn Wissen schafft Technologie, Technologien schaffen Chancen und Chancen schaffen wiederum Märkte." Wissen schafft Technologie und so enthüllt der Forscherdrang immer wieder neue Elemente, die unser Leben bestimmen. Und es sind die Märkte, die da aufploppen! Kurzum und modular gesagt: Wissen ist geil.

*** Zum Heise-Verlag gehört diese Website, mit der viele ihren Spaß haben. Andere beschweren sich, meistens über zu groß geratene und dann noch absolut deplatzierte Werbung. Was des einen Keks, das ist des anderen Knabberei: Ohne die Anzeigen könnten die Korrespondenten nicht für den Ticker arbeiten, wären diese Zeilen nicht im Web. Die Anzeigen werden übrigens extern eingespeist: Weder die Redaktion noch die Firmen, die Anzeigen über alle Rubriken schalten, wissen, was wie wo eingetütet wird. Und das ist gut so, sonst hätten wir die bezahlte Abhängigkeit, die anderswo als Zielgenauigkeit gepriesen wird.

*** Zielgenauigkeit, ja. Womit wir beim Thema Prognosen für die IT-Industrie wären. Schließlich wurde jedes heute bekannte Betriebssystem geschrieben, als die Erde noch eine flache Scheibe war, als sich die tektonischen Platten von Moores Law und dem Internet noch nicht zu den Gebirgen auftürmten, vor denen wir heute stehen. Dennoch bleibt der Hang zur Plattheit, der nach Staranwälten ruft. Unter den Nachrichten der Woche hat die Klage von SCO gegen IBM nicht nur im Forum für gehörigen Wind gesorgt. Dabei wendet SCO nur einen Trick an, den es schon einmal mit Microsoft durchspielen konnte. Mit den jüngsten Problemen formte sich die Versuchung zur Business Unit und der Präzedenzfall ist da, den Firmen wie Microsoft nachspielen könnten, um das blühende quelloffene Gewusel auszudörren. Anwälte gibt es genug, das Böse zu bekämpfen, ehe es ins Satanische umschlägt.

*** Zielgenauigkeit ist aber immer so eine Sache. Heute vor 58 Jahren warfen 334 Bomber der amerikanischen Streitkräfte in einer windigen Nacht 120.000 Feuerbomben auf Tokio ab. Die durch keine militärische Strategie gerechtfertigte Aktion ist längst der kollektiven Amnesie zum Opfer gefallen. Im Gedächtnis blieben allein die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki, die den japanischen Feldzug sinnigerweise zu einem sauberen Krieg umpolten. Gegenwärtig erleben wir das seltsame Schauspiel, dass ein Land (eine Diktatur) seine Waffen (nicht alle) vernichtet, ehe der Krieg beginnt, den die USA für unvermeidlich halten. Die USA sind das Land, das aus seiner ruhmreichen Vergangenheit die falschen Schlüsse für die Gegenwart zieht, in der die globale amerikanische Revolution (2,6 MByte Download) Frieden und Freiheit bringen soll, mit allen Waffen. Heute vor 103 Jahren wurde der Computerpionier Howard Aiken geboren, der Zeit seines Lebens stolz darauf war, dass sein Mark 1 bei der Berechnung der Bomberkurse eine Rolle spielte. Heute vor 80 Jahren wurde in New York die Addiermaschine uraufgeführt, in dem die Menschen nur noch willenlose, rechnende Zombies sind.

*** Wo bleibt das Positive? Natürlich ist es der Geburtstag von Barbie, den wir gestern oder heute feiern können, jener Puppe, die nach der Karikatur eines dummen Blondchens aus der Bild-Zeitung entwickelt wurde. So, wie jene Lilli ein unverholenes Abbild der Prostitution ermöglichte, so züchtig wurde Barbie in Amerika. Was natürlich reversibel ist. Es ist dieselbe Bildzeitung, die heute nicht ihr geliebtes Schwarz Rot Gold feiert, das heute vor 155 Jahren zur Bundesfarbe wurde, sondern den Superstar, den Alexander, den singenden Kent. Rest-Deutschland trauert der lieben Husche Daniel nach, der zwar keinen Satz unfallfrei formulieren konnte, sich aber traute, selbst zu sein. Doch was solls: Deutschland trällert den größten Stuss, es ist ein Land, das singt, nicht (mehr) schießt, und hinterher gewinnt immer einer: Ralph Siegel. Das kann nicht nachdrücklich genug gesagt werden: Das Wesen der Musik ist der Fake.

*** So wundert es nicht, wenn bei einer Veranstaltung, die sich "Grand Prix Countdown" nennt, ein gewisser "Der Junge mit der Gitarre" von der Sonntags-FAZ gesponsort wird -- welch peinliche Niederlage aber dann für das sonntägliche Hausblatt der Rechtsintellektuellen, deren Günstling sich mit Friedensliedchen angesichts drohender Kriege einer "Ich-will-Spaß-und-alle-Leute-liebhaben"-Glucke mit ihrem Lied, das für jede Bierkneipe noch als Animier-Song taugt, geschlagen geben musste. Aber nicht genug der Demütigung: Das grinsende Gesicht des unsäglichen Ralph Siegel muss den diversen Zeitungssponsoren von SoFAZ bis Hürriyet den Rest gegeben haben. Das mag, um noch einmal zu diesem anderen Sangeswettstreit zu wechseln, auch für manch testosteron-getriebenen Hightech-Jüngling gelten, für den das Interessanteste sowieso gewesen ist, wie es Michelle Hunziker jedes Mal schafft, mit einem neuen Kleid noch weniger anzuziehen als in der Sendung zuvor. Sieht so der Traum des deutschen Mannes aus (reden wir hier einmal nicht von den Frauen, die einen Carsten Spengemann anhimmeln, hier soll aus Höflichkeit der Mantel des Schweigens tatsächlich schalldicht ausgebreitet werden), will er diese Stimme des Nachts in sein Ohr säuseln hören? Armes Deutschland -- nicht eine rot-grüne Bundesregierung richtet es zu Grunde, nein, schlimmeres trägt sich zu, denn der deutsche Mann ward zur Tucke, wie eine Forumsteilnehmerin zu bemerken beliebte, und wirft statt mit Bomben mit Wattebäuschchen. Du, glückliches Deutschland, feiere wie es Bertelsmann beliebt, während sich die Welt mit den Auswirkungen der neuen außenpolitischen Agenda herumschlagen muss, mit der US-Konservative mit Macht das neue amerikanische Jahrhundert schaffen.

*** So sieht sie also aus, unsere Zukunft: Im neuen amerikanischen Jahrhundert säuseln uns Tucken die Bertelsmänner in der Nach-Middelhoff-kommt-Liz-Mohn-Ära die Ohren voll. Bevor uns aber Hören und Sehen und möglicherweise auch das Denken vergeht, schafft uns Nick Hornby den Anlass für heftigen Streit. Er mag nette Begründungen schreiben für seine 31 Songs, aber muss man wirklich Rod Stewart mögen? Und ist "Thunder Road" ein gutes Stück von The Boss? Oder "Heartbreaker" von Led Zeppelin? Aber genau darum geht es nicht, nicht um ein "Geschickt Gemacht" oder "Marketingtechnisch Simpel", sondern um ganz einfache Dinge: "Doch manchmal, wenn auch nicht sehr häufig, bringen Songs, Bücher, Filme und Bilder perfekt auf den Punkt, wer man ist. Der Vorgang ist so ähnlich wie sich zu verlieben", meint Hornby. So ist Hornbys Liste Anlass, wieder einmal einen Aufruf zu starten: Und zwar für die Liste derjenigen Musikstücke, die den Lesern der Wochenschau am meisten bedeuten. Egal, welches Genre (wir wollen uns nicht wie Hornby auf Popsongs beschränken): Mails der Wochenschau-Leser an Hal Faber mit bis zu zehn Nominierungen und jeweils einer kurzen Begründung ergeben die WWWW-Top-Ten. Die Ergebnisse gibts in den nächsten Wochenschauen, zu gewinnen dagegen nichts -- nur die Genugtuung, an einem historischen Moment beteiligt gewesen zu sein, bei dem es der Musikindustrie vielleicht ein bisschen in den Ohren klingelt.

*** Historische Momente sind aber manches Mal so eine Sache, wie nicht nur der 50. Todestag Stalins lehrt. In einer Welt, in der einer der größten Schlächter der Menschheit manchen immer noch als Heiliger gilt, wurde die Erinnerung an Sergei Prokofiev, der angeblich 55 Minuten vor Dschugaschwili starb, größtenteils glatt vergessen. In der Schachwelt dagegen nimmt nun der erste verteilte Schachrechner seine Züge auf, die durch das Internet geistern wie der ebenfalls fast vergessene Bobby Fischer, der heute 60 Jahre alt wird. Der Hitler-Fan Fischer ist zum fliegenden Holländer geworden, der auf den Schach-Servern dieser Welt irrlichtert und mit seinem pro-arabischen Sprüchen schon einmal einen Präsidenten Bush brüskiert hatte. Es wäre sein größtes Spiel.

Was wird.

Das Unvermeidliche geschieht. Am Mittwoch geht es mit der CeBIT los, die Schröder, Wulff und Jorma Ollila eröffnen. Vorbei die glücklichen Zeiten, als mit der Greencard noch der Mensch als Inder 4 Jahre lang im Mittelpunkt stehen sollte, obwohl, rein technisch, die Zeitspanne noch nicht zu Ende ist. Dafür aber der Mensch. Bei den Fraunhofern, wo Wissen und Technologie ganz besonders gut verschränkt sind, weiß man genau, worum es geht: "Den Menschen in intelligente IT-Umgebungen integrieren" ist dort das Motto, frei nach Ray Kurzweil, der den Gehirn-Download auf Festplatte propagiert. Erleben wir also gespannt, wie der Mensch an die Bedürfnisse des Computers angepasst wird. Bewundern wir, was Bill Gates nur inkognito bewundern durfte. Feiern wir ein rauschendes Fest mit vielen Parties, auf denen Panasonics Handy-Printer bis zu 100 Mal auf den Boden knallt, weil es schon stark ist, dass ein SMS-Drucker so etwas aushält. Und suchen wir vergnügt den Psychiater auf, wenn die letzte Messe-Party doch zu heftig war. Dem kann man in Ruhe erzählen, was die Cyborgs so treiben. Am Mittwoch danach beginnt die klösterliche Einsamkeit der klassischen IT, da gehen wir alle in Sack und Asche. Oder sind einfach froh, den Nanas, Frogs und Messemuttis entgangen zu sein. (Hal Faber) / (jk)