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Was war. Was wird.

War was? Nee, war nix, die iIndustrielle iRevolution fällt aus. So weit wollen wir es erstmal noch nicht treiben und die Nerven bewahren, empfiehlt Hal Faber. Die Revolution kommt noch früh genug, schleichend, langsam.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wenn die Hälfte aller Artikel über Apples iPad ein Viertel realistischer Prognosen enthalten, von denen ein Achtel zutreffen wird, dann erleben wir an diesem Wochenende einen bereits denkmalsgeschützten Moment der IT-Geschichte, wie es früher mal der Start der Freibadesaison war. Um es mit dem gelehrten Lateiner zu sagen: Ubi bene, ibi ipad. Zwar muss Europa noch warten, kann sich dafür aber über David Letterman amüsieren, der in seiner Show den iLingus als neues taktiles Interface demonstriert. Bleibt die Frage: Wie können Harald Schmidt, Stefan Raab und Georg Schnurer diese Sexshow toppen? Steve Wozniak mit Zaubertricks?

*** Ed Roberts, gerade erst von uns gegangen, mag bereits in seinem Grabe rotieren: Der Rest gehört den Antworten der einschlägig bekannten Hohepriester wie Mossberg und Pogue und natürlich den Beschwörern des Weltunterganges a.k.a. Ende der Freibadesaison. Gary Doctorow hält ein letztes Plädoyer für offene Hardware, doch den Vogel hat diesmal Daniel Dilger abgeschossen. Seiner Meinung nach tötet das iPad so viele Dinge, dass man ab sofort von einer iindustriellen Revolution sprechen müsste. Google, Microsoft, Flash: vorbei, vorbei, alles obsolet. Besonders amüsant sind da die Hoffnungen, die sogenannte Content-Publisher mit dem iPad verbinden. Wie vorvorgestern mit der CD-ROM setzen sie auf teure Preismodelle für ihren iPad-Content. Ja, Information will immer besonders teuer sein, weil immer wichtiger in unserem Leben. Bald kann man ohne Klickstrecke extra für das iPad nicht mehr überleben, soviel ist angeblich sicher. Besser als mit diesem Hoffnungslüfterl kann die "vierte Gewalt" nicht demonstrieren, wie sehr sie auf den Hund gekommen ist und nur noch schnüffeln kann an Ärschen und Lüften.

*** Weit und breit finden sich kaum Kommentare, dass Apple und Steve Jobs diesmal eine Reihe von Fehlentscheidungen getroffen haben im Bestreben um die Entmündigung des Konsumenten, etwa beim Verzicht auf einen zweckmäßigen USB-Anschluss, der einstmals von Apple popularisiert wurde. Die größte Fehleinschätzung ist dabei wohl, dass Jobs keine Fehler machen kann. Wie war das noch mit Apples Pippin, dem Abspielgerät für CD-ROM? Erinnert sich niemand mehr an die Zeit, als CD-Publisher ihren Content an Apple schicken mussten, damit Apple mit ihrem privaten Schlüssel die Checksumme der CD signiert? Wer immer über die Versuche von Microsoft und Intel lästert, Tablett-PCs oder UMPCs verkaufen zu wollen, denen Apple nun zeigt, wo der Bembel baumelt, der sei an den Netzcomputer und das Netztablett erinnert, das IBM, Netscape, Oracle, Sun und Apple im Juli 1996 vorstellten. Sie meinten damit, eine neue Form des Internets zu kreieren, das übrigens in dieser Woche von der Tagesschau endgültig abgeschaltet wurde. Pippin, Newton und ein paar andere Flops gingen übrigens nicht auf das Konto von Steve Jobs, das muss wohl als Argument herhalten.

*** Natürlich wird das iPad seine Wirkung haben, wie Lackmusstreifen wirken. Bestens zu sehen ist dies bereits bei den Preisen für eBücher, die neu ausgehandelt werden, am Eintrittstor in die neue Gutenberg-Galaxis oder bei den Gebühren für Wolfram Alpha. Dass dabei Reader wie der Kindle vom Aussterben bedroht sind, gehört zum guten Ton inmitten einer fortschreitenden Gängelung, die hohe Auflösung mit niederen Motiven koppelt. Natürlich werden Bücher nicht verschwinden. Sie werden beispielsweise benötigt, um als Unterlage einen Laptop die nötige Robustheit zu geben, wie Nassim Taleb vom Gasthaus Schwarzer Schwan bemerkt.

*** Was bleibt, ist Ostern, ein kompliziertes Fest im christlichen Glaubensgebäude, wie alle Theorien, die einen Messias brauchen, um den Menschen verkleinern zu können. Anstelle von Eiern und unsäglicher Musik, die angeblich das Gelbe vom Ei sein soll, blicken wir auf den großen Muddy Waters, der heute seinen 95. Geburtstag hätte. Niemals zufrieden sein und sich mit dem Elend abfinden, das ist die Nachricht, die der Hoochie Coochie Man für uns hat. Ja, es ist immer dasselbe mit dem Blues. Er hat dich und das Geld haben andere. Zurück bleibt der kosmische Blues und der ist immer da. Wie wäre es, wenn wir im Gegenstück zum Hill's Farmer Blues die definitive Tiefebenen-Flachlandblues-Liste zusammentragen? Das Ganze in vorgreifender Erinnerung an eine Zeit, in der besagte Ebene nicht aus schwimmenden Treibhäusern und Wasserfarmen besteht wie das Missisippi-Delta, in dem der Modder-Blues entstand.

*** Und dann war da auch noch Peter Herbolzheimer, der nicht mehr den Durchlauferhitzer mit seiner Bigband geben kann. Wobei mir nicht behagt, dass in all den Nachrufen vor allem Till Brönner und Roger Cicero hervorgehoben werden. Wären die Pop-Prinzen des Jazz der Einzige, die erwähnenswert wären als Jungtalente, die durch Herbolzheimers Durchlauferhitzer die Energie zum Start ihrer Karriere fanden, dann wäre es um den Jazz in Deutschland schlecht bestellt. So sagen uns all die Nachrufe auch wenig über den Jazz. Hören wir lieber interessanteren  Durchlauferhitzten zu. Und danken Herbolzheimer für seine Arbeit, seinem Geblase in der Rythm Combination & Brass und seiner Lehre im Bundesjugendjazzorchester. Ebenso übrigens Herb Ellis, dem Gitarristen, der zusammen mit Ray Brown im Oscar-Peterson-Trio für Rhythmus, ja eigentlich den Swing zuständig war.

Was wird.

Es wird schon was. Wir sehen gerade, wie die SCO Group auf einer Welle des Erfolges schwimmt und weitermachen will mit ihrem Geschäft. Als nächstes soll die Frage nach dem geklauten Code geklärt und IBM zu einer Millionenzahlung bewegt werden. Die Antwort liegt in einem geheimnisvollen Koffer, der einst durch Deutschland wanderte und längere Zeit nicht aufgetaucht ist. Um es mit unserem Poetus Laureatus zu stabreimend zu sagen:

Manche spinnen, Schweine pfeifen,
Pferde treten, Busse streifen,
So spricht der Volksmund, wenn er meint,
Dass etwas ganz unglaublich scheint.

Durch SCOs Betrugsversuch
Gibt es nun einen neuen Spruch,
Den man bei Lug und Trug zitiert:
Ich glaub', mein Koffer fabuliert!

Sieht man vom Verkaufsstart bei Apple ab, so dürfte nach Ostern das Leben in ruhigen IT-Bahnen verlaufen. Bekanntlich hat die neuerdings sehr datenkritische Union mit 22005 gegen ELENA kämpfenden Parteigenossen ihre Sachverständigen für die Enquete-Kommission 'Internet und digitale Gesellschaft' vorgestellt. Deshalb werden zum Ende der großen Eierei wohl die Sachverständigen der SPD bekannt gegeben werden, damit das große Palaver Formen annehmen kann. Schließlich behauptet die SPD ähnlich wie die ELENA-Opposition ganz ironiefrei, die Netzpartei schlechthin zu sein, die die Netzgemeinde wirklich versteht. Die härtesten Urteile zu dieser wunderlichen Kommission (und seiner alten SPD) finden sich übrigens bei einem, der liebend gerne dabei sein würde. Am Ende wird die Kommission feststellen, dass Datenautobahnen Ländersache sind, die Inhalte jedoch, leider, leider der EU unterliegen, wo ein großer Maelstrom alles Böse schreddert. Und eine Mälmströmerin Sperrbänder spannt, wegen der armen Kinder.

Sind die Kinder etwas größer, so können sie bald nach Berlin fahren und beim Klassentreffen 2.0 namens re:publica das große Wir im Nowhere feiern und die Utopie des erewhon gleich mit. Neben dem Schutz der Netzneutralität will die Konferenz die digitale Identität shreddern. Wer braucht schon Datenschutz und Privatsphäre, wenn er sich einzigartig unter all den vielen Einzigartigen fühlt, die alle nichts mit den Mühen des Alltags zu tun haben. So faselt es sich bestens: "Das Beispiel, dass Schirrmacher in seinem Buch anführt, die Software, die für viele Leute ihren Aufenthaltort rät, ist nur deswegen relativ präzise, weil die meisten Menschen eben einen 9to5 Normaljob nachgehen. Sie sind also nur deswegen berechenbar, weil sie einer gesellschaftlichen Norm nacheifern. Für mich würde diese Software also keine verlässlichen Einschätzungen treffen können." So denkt das Kleinhirn der digitalen Avantgarde und weiß nicht, dass bereits Horst Herold mit seiner negativen Rasterfahndung vor 30 Jahren genau diese ach so schwer berechenbaren Subjekte im Visier hatte. Sie sollten vom Computer ausgespuckt werden, nachdem alle Normalos gelöscht sind. Mit den neuen Eiferern gegen den Datenschutz freuen sich die Unternehmen, die längst die entsprechende Software installiert haben, die kontrolliert, was die Lohnsklaven abseits 9to5 so treiben. Es freut sich auch die Initiative D21 und spricht von einem "Zuviel an Datenschutz", das das Aus für einige Geschäftsmodelle der Zukunft bedeutet. Etwas direkter gesagt: Macht euch nackig! Keine falsche Scham!

Noch ein Stückchen weiter in der Ferne tagt das BSI in Bochum zum Thema "Sichere Identitäten, Daten und Dienste". In dieser Woche konnten wir von der Bundesregierung lesen, was bereits auf der CeBIT ausposaunt wurde, dass der De-Mail-Test ein voller Erfolg geworden ist. Hochgerechnet 2,75 Prozent der Bürger von Friedrichshafen seien dabei, wenn der Test über ein Jahr laufen würde, was er aber leider, leider nicht können darf. Der Test wird abgewürgt, ein Widerspruch der zu 85 Prozent Begeisterten ist nicht möglich, genau wie Widersprüche gegen Behördenentscheide vie De-Mail rechtlich nicht zulässig sind. Wohl dem, der in Zukunft rechtzeitig merkt, was die Verwaltung von ihm will und deshalb in sein rechtssicheres Postfach geschlenzt hat, der rechtzeitig seinen Widerspruch ausdruckt und die Schneckenpost zum Galoppieren bringt. Diese De-Mail-Debatte kann angesichts zahlloser fehlerhafter Behördenbescheide noch richtig lustig werden. (jk)