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Was war. Was wird. Howgh, wir haben gequasselt.

Realitätsverweigerung mit kitschigen Schnulzen? Die Sommerlöcher werden groß und größer, nicht nur datengetriebene Autofahrer fallen rein, grummelt Hal Faber.

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Tja, der Sommer ist vorbei. Nur die Löcher, in die auch halbwegs intelligente Leute wegen alberner Debatten fallen, werden immer größer.

(Bild: Kyle Anthony Photography / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Kurz bevor sie resignierten, waren sie zum Schluss bereit
Ihre Haut zu bleichen, denn das war die letzte Möglichkeit
Doch es änderte sich nichts war man als Weisse noch so lieb
Man war andrer Völker Ausbeuter und Dieb
(Knut Kiesewetter)

Alter weißer Mann spricht nicht nur mit gespaltener Zunge, sondern er sang auch noch von den Grünen, die sich rot anmalten und als Rothäute bald tot waren oder als Schwarzbemalte in der Sklaverei landeten. Alles nicht sehr angenehm, auch das Bleichwerden der Grünen. Einst hat ein weißer Mann Indianer und Westmänner beschrieben, der selber so beschrieben wird: Er kreierte "aus den Wissensbeständen der zeitgenössischen Ethnographie exotische Fluchtwelten für seine bürgerliche Leserschaft, die gleichzeitig als phantastische Bewährungsräume für ein literarisch überhöhtes Ich fungieren". Die Rede ist natürlich von Karl May, einem Autor, der in der DDR genauso verlegt wurde wie Liselotte Welskopf-Heinrichs Erzählungen von den "Söhnen der großen Bärin". Nun ist Karl May Geschichte, sein Winnetou ist gar erledigt, wie es in einem offenen Brief heißt. All das nur, weil aus dem Indianer nun ein politisch brisantes I-Wort geworden ist.

Die "National Historice Site" zum Sand-Creek-Massaker in Eads, Colorado

(Bild: Jacob Boomsma / Shutterstock.com)

Bald werden Kinder nicht mehr Cowboy und Indianer spielen, sondern Rindfachwirt und indigene Antagonisten, während nur noch Andreas Scheuer Winnetou-Material hamstert und Dorothea Bär von der Verbannung aus dem Kinderzimmer phantasiert. "Es hat sich in jüngster Tradition solcher Diskussionen leider ein gewisses Maß an strategischer Verblödungsbereitschaft etabliert, die bereits dort beginnt, wo Kritik und Verbot nicht mehr auseinandergehalten werden." Diesem Urteil ist nichts hinzuzufügen. Übrigens: Ausgerechnet am Tag der Deutschen Einheit wird "Winnetou und das Halblut Apanatschi" im ZDF gezeigt, einem öffentlich-rechtlichen Sender. So sieht die problematische "Sexualisierung indigener Frauen" aus, die die Native American Association of Germany beklagte. Und dabei geht es noch nicht mal um die Frage, welche Idioten kitschige Schnulzen über edle Wilde den Kindern und ihren Eltern andrehen wollen, die vielleicht doch lieber etwas erführen über das reale Los der indigenen Bevölkerungen Amerikas. Man muss ja nicht gleich "Der junge Häuptling Winnetou" durch "Das Wiegenlied vom Totschlag" ersetzen, eine mehr oder weniger geglückte Dramatisierung des Sand-Creek-Massakers an den Cheyenne und Arapaho.

*** Einem Karl May, so albern man seine Bücher finden mag, ging es eh um die historische Sicht: "Auch der Indianer ist Mensch und steht im Besitze seiner Menschenrechte; es ist eine schwere Sünde, ihm das Recht, zu existieren, abzusprechen und die Mittel der Existenz nach und nach zu entziehen." Ehre dem Mann, der uns die Lebensweisheiten der Westmänner hinterlassen hat, mit ein paar Einsprengseln über die Gewohnheiten der Indianer und besonders die Fähigkeiten von Winnetou. Es ist Krieg, die Flüsse sind vertrocknet oder so verdorben, dass die Fische sterben, aber Winnetou sorgt für Diskussionen. Karl May würde sich an den Kopf fassen, was da für ein Unsinn diskutiert wird: "Wie man den Krieg führt, das weiß jedermann; Wie man den Frieden führt, das weiß kein Mensch. Ihr habt stehende Heere für den Krieg, die jährlich viele Milliarden kosten. Wo habt ihr eure stehenden Heere für den Frieden, die keinen einzigen Para kosten, sondern Milliarden einbringen würden?"

*** Das Sommerloch ist vorbei, das Schlagloch steht an und es darf geschmunzelt werden, wenn man reindonnert. In dieser Woche wurde der erheblich erweiterte Entwurf der künftigen Digitalstrategie der Ampelregierung von Netzpolitik.org veröffentlicht. In ihm findet sich die lyrische Passage "Marita nutzt die smarte Welt, um sicher ans Ziel zu kommen. Während sie mit dem Wagen des Car-Sharing-Anbieters durch den Hunsrück fährt, warnt sie das Auto vor Glätte auf den Kuppen, weil dieses mit dynamischen Wetterdaten gespeist wird. Sie fährt somit vorsichtig, aber trotzdem aus Versehen durch ein kleines Schlagloch und schmunzelt. Es ist nichts passiert und sie weiß, dass ihr Auto diese Erschütterung an einen Datenpool meldet. Das hat sie in den Mietbedingungen gelesen und selbstbestimmt zugestimmt." Selbstbestimmt wird die Fahrerin des Mietwagens überwacht, was nicht nur die Mietwagenfirma freut, die Aufschläge für Schlaglöcher verlangen kann, sondern wir alle als Gesellschaft. "Diese Daten werden für die Straßenbauverwaltung ausgewertet, um die Schäden an der Straße schnellstmöglich zu erkennen und reparieren zu können." Selbstbestimmt zustimmen, das übrigens ein Konzept, das so manchen Porsche-Fahrer begeistern kann. Nicht.

*** Im Zentrum der Digitalstrategie steht eine alte Bekannte, die technologische Souveränität, manchmal auch digitale Souveränität genannt. Sie ist der Bärentöter der Ampelregierung und wird mindestens 30 Mal bemüht, um alles Mögliche voranzubringen. Selbst Open-Source-Software wird auf diese Weise erledigt oder eben "in den Fokus genommen": "Durch den Aufbau von Wissen, Fachkräften und Kapazität sowie den prioritären Einsatz von Open-Source-Software und die verbindliche Nutzung von offenen Standards soll die digitale Souveränität auch auf der Seite der Verwaltung stärker in den Fokus genommen werden." Für die Entwicklung leistungsfähiger Open-Source-Lösungen wird gar ein eigenes neues Institut geschaffen, das "Zentrum für Digitale Souveränität der Öffentlichen Verwaltung" (Zendis). Schön ist auch das Kürzel PLAIN, das man sich merken sollte. Es steht für "Platform Analysis and Information Systems" und bezeichnet die KI-gestützte Datenanalyse in allen Systemen der Bundesverwaltung.

*** So sieht sie also aus, die Digitalstrategie mit total ehrgeizigen Zielen. Im Abschnitt über Gesundheit und Pflege steht, dass sich die Ampel daran messen lassen will, ob im Jahre 2025 mindestens 80 Prozent der gesetzlich Versicherten eine elektronische Patientenakte haben, das E-Rezept als Standard etabliert ist und das Muster-16-Rezept nur selten zum Einsatz kommt. Die Realität sieht bekanntlich anders aus. Beim E-Rezept wollen die Kassenärzte in Schleswig-Holstein nicht mehr als Testregion mitmachen. Der Grund: Datenschützer untersagten den Versand des unverschlüsselten QR-Codes eines E-Rezeptes per E-Mail. Die Funktion war äußerst beliebt, wie die Zahlen eines PVS-Anbieters zeigen: 25.443 E-Mails standen 2.819 ausgedruckte E-Rezepte und kümmerliche 167 E-Rezepte in der Smartphone-App gegenüber. Was macht unser Bundesgesundheitsminister in dieser Situation? "Er sprach sich dafür aus, dass digitale Rezeptcodes außer über eine spezielle App für Smartphones auch per E-Mail oder SMS übermittelt werden können." Wahrscheinlich hat er die Vorbehalte der Datenschützer nicht mitbekommen. Auch auf den Appell an Karl Lauterbach über den weitgehend überflüssigen Austausch der Konnektoren sind Reaktionen bislang ausgeblieben.

Mitunter dauert es mit den Reaktionen, gerade auch in der Verwaltung und der Justiz: Am 1. Januar 2022 wurde er einberufen, der Unabhängige Kontrollrat für den Bundesnachrichtendienst, nun hat er unter dem ukrainisch klingenden Kürzel Ukrat seine noch sparsam möblierte Website bekommen. Auf ihr sollen zünftig geschwärzt die Berichte auftauchen, die alle 6 Monate an den Deutschen Bundestag gehen. Der veranstaltet am kommenden Samstag den neckisch benannten Tag der Ein- und Ausblicke. Man könnte sich glatt an den alten Demmler-Song von den großen Fenstern erinnern, bei denen die Einsicht wie die Aussicht groß ist und keine Lüge mehr im Geheimen bleibt. Ob die Geheimschutzräume des Bundestages am Tag der Ein- und Ausblicke geöffnet werden, weiß ich nicht. Sicherer als die gestapelten Boxen in Mar-a-Lago werden sie schon sein. Aber muss man überhaupt nach Amerika gucken? Wie wäre es mit den Akten im mindestens ebenso lieblichen Oggersheim?

Dann lohnt es sich schon eher, den Start der Mondmission zu beobachten, wenn die Kuscheltiere Snoopy und Shaun in die endlosen Weiten des Weltraumes geschossen werden. Ob die Website das aushält und stabil bleibt wie ukrat.de, wird sich zeigen.

Wer sich für die erdabgewandte Seite der Geschichte interessiert, an die in diesen Tagen wieder viel gedacht wird, wird beim ZDF und der ARD fündig. Geschichten zur Technik von damals gibt es aber auch.

(jk)