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Was war. Was wird. Ist es schon Tollheit, so hat es doch Methode.

Wo es keine roten Linien gibt, kann man keine überschreiten. Hal Faber hat ein neues Wort gelernt: Ethic-Washing. Dass es Fake-Ethiker gibt, ist aber nicht neu.

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Spielen Roboterkatzen mit elektronischen Mäusen? Und kuscheln Androiden mit Roboterkatzen, bevor sie von elektronischen Schafen träumen? Fragen, die das digitalisierte Leben stellt. Oder auch nicht.

(Bild: Ociacia / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** ACAB – Annalena Charlotte Alma Baerbock also. Seit Wochen war klar, dass sie Kanzlerinkandidatin der Grünen werden würde und nun passierte dies in einer hübschen Inszenierung der Politikerin als Projektionsfläche für alles mögliche und viele "Milieus", wie das die Wahlforscher nennen. Dagegen stand die Kanzlerkandidatur von Armin Laschet nicht fest und es rappelte ordentlich in der christlich-demokratischen und der christlich-sozialen Kiste beim "stillen Ringen" im Freistil. Gestützt auf "alte Schlachtrösser" wählte man die schlechtere Alternative zum Kandidaten. Doch wie sagte schon Paulchen Panther: "Heute ist nicht alle Tage – Ich komme wieder, keine Frage." So mancher Kommentator (maskulin!) hatte sich eine Auseinandersetzung zwischen dem irrlichternden Söder und dem mit Aussetzern kämpfenden Habeck gewünscht, aber alles hat seine Zeit. Vielleicht kann unter ACAB das große Abrüsten beginnen, weg von den Phrasen, eine "Politik für alle" zu machen. "Nö, Mehrheit reicht" – sagte Robert Habeck. Das nennt man wohl angewandte Söderologie.

Ein paar Rote Linien zur Auswahl.

(Bild: Titima Ongkantong / Shutterstock.com)

*** In dieser Woche veröffentlichte die EU-Kommission so etwas wie die Regularien zum Einsatz von künstlicher Intelligenz. Der Entwurf zur Begrenzung der KI stieß bei einigen Organisationen auf Kritik, weil er nicht weit genug geht und Lücken enthält. Die größte Lücke gegenüber vorher zirkulierenden Papieren: Die "roten Linien" mit einer strikten Begrenzung von KI sind aus dem Gesetz verschwunden, gewissermaßen die KI-kompatible Umsetzung der Gesetze, die der Vordenker Isaac Asimov mit den Robotergesetzen aufgestellt hatte. Das enttäuschte den Philosophen Thomas Metzinger, der in der EU-Expertengruppe für die nötige "Ethik" sorgen sollte: "Mit Urs Bergmann von Zalando war ich Berichterstatter für 'rote Linien' und habe recherchiert: Was sollte es in Europa nie geben, was ist unverhandelbar? Das waren dann Dinge wie eben KI-Überwachung des öffentlichen Raums. Daraufhin gab es einen Proteststurm der Industrievertreter. Einige sagten, das Wort 'rote Linien' dürfe nicht im Abschlussdokument vorkommen, und so kam es dann." Keine roten Linien, nicht mal rosarote und so fällt die Bilanz des Philosophen bitter aus, denn was so entsteht, nennt sich Ethics-Washing: "Ja, analog zum Greenwashing beim Umweltschutz. Unternehmen organisieren ethische Pseudo-Debatten, um Zeit zu kaufen, damit sie weiter Produkte in den Markt drücken und Regulierung erst einmal verhindern können." Das philosophische Fazit von einem, der überrascht von der Stärke der Wirtschaftslobby in einem solchen EU-Gremium wurde. "Die Konzerne ziehen bereits ihre eigenen Fake-Ethiker heran. Das sagt der Professor für theoretische Philosophie. Praktische Philosophie ist da auch keine Lösung: Dort wird über die Ethik von Halbmenschen und Halbaffen diskutiert.

*** Fake-Ethiker für Fake-KI, das passt. Wer denkt bei diesen Worten nicht an den ersten Hausphilosophen einer IT-Firma, damals auf Burg Lichtenfels, als Biodata eine große Nummer am Neuen Markt war und Tan Siekmann als der deutsche Bill Gates gefeiert wurde. Doch seine Biodata AG war nur Fake, Siekmann musste den Laden verlassen und die Staatsanwaltschaft ermittelte. Aus der Insolvenzmasse kaufte Siekmann Teile heraus und baute eine neue Firma auf, bis ihr ein "Code-Missgeschick" unterlief bei einem Fake. "Doch viele geschäftige Menschen wenden ihre ganze Begabung auf, ein Umweltfeld zu entwickeln, das perfekt zugeschnitten ist auf eine Welt voll flinken kleinen Idioten, die wie Menschen aussehen. In dieser Welt 'verstärken' Lernmaschinen Antworten, indem sie einfache Begriffe ständig wiederholen und Willfährigkeit mit simuliertem Entzücken herausfordern. Es ist eine gefälschte Welt für gefälschte Personen." Das schrieb Hugh Kenner, ein Literaturwissenschaftler, über die KI "Eliza" von Joe Weizenbaum, doch es passt wunderbar zu Biodata wie zu den Fake-Ethikern in der europäischen KI-Debatte. Alternativ mag man einen Programmablaufplan betrachten.

*** Jetzt werde ich etwas schlicht, aber sei's drum: Schauspieler sind wie Roboter. Sie bekommen ein Drehbuch und plappern dann den größten Blödsinn. Machen das mehrere von ihnen auf Anregung eines Menschen, der Filme mit einer Blockchain absichern will, braucht es nur den Hashtag wie #allesdichtmachen und schon ist Schwung in der Bude bzw. im sozialmedialen Raum, etwa auf Twitter. Das gelehrte Feuilleton meldet sich zu Worte oder schreibt über Dichter und Undichte. Auch die Medienkritik darf da nicht fehlen und führt Protokoll über die Abtrünnigen, die sich von der Aktion prompt wieder distanzieren. Besser als in dieser Woche konnte nicht gezeigt werden, dass Hass im Netz ein wichtiger ökonomischer Faktor ist. Auf einem anderen Blatt steht, dass nur bekannte Schauspieler plapperten und die fehlten, denen es im neuen Normalen mit eingebauter staatlicher Notbremsspur wirklich schlecht geht. Und auf noch einem anderen Blatt findet sich sogar ein Beispiel für einen Schauspieler, der reflektieren kann, ganz ohne Drehbuch. Natürlich schafft es so einer, gleich zwei Oscars zu gewinnen, auch wenn er diesmal nicht dabei ist. Die Nacht der Nächte bricht ja bald an, da kann man vorher noch den einen oder anderen Roboter-Film zur Einstimmung gucken.

In großer Eile hat der Bundestag die Reform des IT-Sicherheitsgesetzes durchgepaukt, mit der das BSI zu einer mächtigen Hackerbehörde wird, die in Zukunft schneller Jagd auf Putins Hacker machen kann, als dies seinerzeit der Fall war. Künftig darf es Portscans durchführen und darf, wie im Fall von Emotet, eigens manipulierte Software einsetzen, um die Macher von Schadsoftware zu enttarnen. Außerdem wurden die Meldepflichten beim kritischen Störfall auf alle Unternehmen ausgeweitet, die von öffentlichem Interesse sind. Derweil kommen aus Großbritannien Nachrichten, die zeigen, wie das genaue Gegenteil bei der britischen Post passierte. Dort wurde ab dem Jahre 2000 das von Fujitsu gelieferte IT-System Horizon eingesetzt, das nicht nur ziemlich unsicher war, sondern eklatante Fehler enthielt, die verschwiegen wurden. Dadurch wurden etliche Betreiber von Postagenturen fälschlicherweise zu Betrügern erklärt und entlassen. Erst jetzt werden die Opfer dieser speziellen Form von Computer-Kriminalität rehabilitiert. Die Urteile des Gerichtes im Fall der noch lebenden Personen werden in der kommenden Woche erwartet: Einige haben sich nach dem Rauswurf das Leben genommen, andere sind verstorben. Das größte IT-System in Europa (nach Einschätzung der britischen Post) soll nun von einem neuen System ersetzt werden.

Es ist ein anderer Fall, doch eine Verwandtschaft ist vorhanden. Mit großen Gedöns zogen Medien von Spiegel bis zur Bild-Zeitung gegen die Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu Felde, die angeblich in 1200 Fällen Software nutzte, um falsche Bescheide auszustellen. Mit Artikeln über eine Bremer BAMF-Affäre wurde die ausländerfeindliche Stimmung in unserem Land angekurbelt. Nun wurde das Verfahren gegen die Auflage einer Zahlung von 10.000 Euro eingestellt. Die 61-Jährige hat damit einen Freispruch zweiter Klasse bekommen, zudem läuft zur Zeit noch ein Diszipinarverfahren: "Ein Staat, der so mit seinen treuen Diener-in-n-en umgeht, kann niemandem Heimat sein. Vielleicht hat er deswegen ein Heimatministerium." Der Fall ist auch ein Presseskandal gewesen, in dem Details aus dem Leben der Beschuldigten von den Ermittlern weiter gegeben wurden. Davon will heute niemand etwas wissen, auch ein Heimatminister Seehofer nicht, der vorverurteilend von einem "schlimmen, ganz schlimmen Skandal" gesprochen hatte.

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(jk)