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Was war. Was wird. Mit Ruhe vor dem Sturm

Endlich ein neuer "Western", freut sich Hal Faber. Doch Moment, solange Schauspieler:innen ihre Identität geheim halten sollen, kann der nur Mist sein, Mist.

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(Bild: Shutterstock/goodbishop)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Hurra, hurra, was haben wir doch für ein Glück in Deutschland! Da kann man wahrlich nicht keppeln: Ein Manifest ist dieser Tage entstanden, ein flammender Aufruf, die Wissenschaft "gegen ideologisch motivierte Einschränkungen zu verteidigen". Denn da ist etwas ganz Böses passiert, in dem Elfenbeinturm der Wissenschaft, in dem irgendwelche ungenannten Wissenschafts-Orks marodierten: "Einzelne beanspruchen vor dem Hintergrund ihrer Weltanschauung und ihrer politischen Ziele, festlegen zu können, welche Fragestellungen, Themen und Argumente verwerflich sind. Damit wird der Versuch unternommen, Forschung und Lehre weltanschaulich zu normieren und politisch zu instrumentalisieren. Wer nicht mitspielt, muss damit rechnen, diskreditiert zu werden. Auf diese Weise wird ein Konformitätsdruck erzeugt, der immer häufiger dazu führt, wissenschaftliche Debatten im Keim zu ersticken." Das klingt so schlimm, dass man sofort auf den Reiter "Dokumentation" klickt, um Beispiele dieser schlimmen Einzelnen zu lesen, die eine hintergründische Weltanschauung haben, aber nix da, die Dokumentation "befindet sich noch im Aufbau". Da werkeln knapp 70 Wissenschaftler dran, die meisten von ihnen Professoren der Juristerei und Philosophie, doch immerhin ist auch ein Informatiker dabei in dem "Network Academic Freedom". Es startete am Mittwoch mit einer Pressemitteilung: "Cancel Culture und Political Correctness haben die freie und kontroverse Debatte auch von Außenseiterpositionen vielerorts an den Universitäten zum Verschwinden gebracht." Freie Wissenschaft gegen die Herrschaft der Cancel Culture, die zu einer "Selbst-Konformisierung" führen soll, da kommt etwas auf uns zu.

Wenn Daten das "neue Öl" sind, dann darf mit künstlicher Intelligenz bald allseitig und beliebig tief gebohrt werden.

Ein mögliches Beispiel dieser Cancel Culture ist der Angriff auf die feministische Bibliothek Mainz, die Bücher sammelt, die "von Frauen, trans, inter, nicht binären und queeren Personen geschrieben" wurden. Auch hier gibt es ein Manifest, das in dieser Woche erschienen ist, das Manifest #ActOut Wir sind hier und wir sind viele! 185 Schauspieler:innen haben sich als lesbisch, schwul, bi, trans*, queer, inter und non-binäre Identitäten geoutet, ihre Bilder sind hinter dieser Paywall in einer Galerie zu finden. Was die Personen eint, beschreiben sie so: "Noch zu oft haben viele von uns die Erfahrung gemacht, dass ihnen geraten wurde – sei es von Agent:innen, Caster:innen, Kolleg:innen, Produzent:innen, Redakteur:innen, Regisseur:innen usw. – die eigene sexuelle Orientierung, Identität sowie Gender geheimzuhalten, um unsere Karrieren nicht zu gefährden. Das ist jetzt vorbei." Es ist schlimm, wenn aus einer vermeintlichen Rücksicht auf einen irgendwie verklemmten Publikumsgeschmack die eigene Identität hintanstehen muss. Unsere Gesellschaft ist so viel mehr als das Leben und Schauspielern heterosexueller weißer Menschen, das sollte auch ein Fernsehen zeigen, das dümmliche Abstimmungen über sprachliches Gammelfleisch sendet.

Zu den kuriosen Dingen dieser Woche zählt ein Drehbuch zu einem Western, das den Kabinettsbeschluss zum Urheberrecht als Vorlage nimmt: Der Western spielt auf der digitalen Prärie des Worldwide Web, ein Kampf zwischen den Nomaden und den Viehzüchtern, ein Kampf um Rinder und Büffel, um Wasser und Öl. "Die Rinder sind natürlich die urheberrechtlich geschützten Werke, die Büffel die rechtefreien. Öl und Wasser sind Metadaten unter und auf der Prärie des World Wide Web." Das muss in aller Plump- und Schiefheit reichen, schließlich sollen nach dem Kompromiss Zitate künftig nur noch 160 Zeichen lang sein dürfen, wenn die neue Bagatellgrenze kommt. Interessant ist, dass mit dem Kabinettsbeschluss das Data-Mining erlaubt ist, definiert als "die softwaregestützte Auswertung großer Datenmengen, um neue Muster oder Trends zu erkennen und auf diese Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen." Dazu schreibt der Drehbuchautor des Western: "Das ist vor allem für die Programmierung von künstlicher Intelligenz wichtig. Für die sind Daten der Treibstoff. Um beim Bild vom Western zu bleiben – Daten sind das neue Öl." Um zu verstehen, was KI hier leisten kann, sollte man sich einmal auf Youtube den KI-gestützte Erweiterung des Films "Berlin – Die Sinfonie einer Großstadt" von Walter Ruttmann aus dem Jahr 1927 ansehen.

Zu den vielfach diskutierten Nachrichten gehörte der angekündigte Rückzug von Jeff Bezos bei Amazon. Er will sich bekanntlich seinen "anderen Leidenschaften" widmen, statt immer nur Amazon zu verbessern. Raketen, Zeitungen, der Klimawandel und die eigene Heiligsprechung werden hier genannt, aber auch das neue Verwaltungszentrum von Amazon, das der Architekturkritiker mit einem Kack-Emoji vergleicht. Ist das weit hergeholt? Nicht unbedingt, liefert der Autor doch selbst die Passage aus einem Drehbuch über einen Dialog von Bezos mit dem verantwortlichen Architekturbüro NBBJ. Als Bezos drängelte und wissen wollte, wie die Firmenzentrale denn nun aussehen soll, sendete ihm der entnervte NBBJ-Boss das Kack-Emoji. Bezos: "Na bitte, geht doch. Sieht toll aus. Das machen wir." Der Kackhaufen soll übrigens begrünt werden und zwei Wanderwege bekommen, auf denen man zum Gipfel kraxeln soll.

Keppeln, kraxeln und das Österreich, wie es von den USA aus gesehen wird, geht auf einen sehr seltsamen Film zurück, der vielleicht nur eine zauberhafte Szene hatte. Hier tanzt der große Schauspieler Christopher Plummer mit Julie Andrews. Dafür erhielt Plummer einen Oscar. Die verfilmte Geschichte der Trapp-Familie mit ihrer Flucht vor den Nationalsozialisten wurde in den USA ein Riesenerfolg und löste "Vom Winde verweht" als erfolgreichster Film ab. Den Film nennt der Spiegel in seinem Nachruf auf Plummer ein "schamlos doofes" Musical, das bis heute das internationale Österreich-Bild prägt. Dabei war der Film unter dem Titel Meine Lieder – meine Träume im deutschsprachigen Raum ein Flop. Schließlich zeigte er nicht, was Österreich wirklich kann, neben der "gelassenen Wurschtigkeit durch die sich alle Österreicher*innen auszeichnen" und der starken Zivilgesellschaft, in der sie leben: Mehlspeisen.

In der Welt der kleinen Fortschritte hat es ein Mensch geschafft, einen Googol-Zähler zu bauen, der bei der aktuellen Geschwindigkeit länger zählen kann als das bekannte Universum existieren wird. Dabei wurden keine Mikroprozessoren oder gar Computer eingesetzt, weil das Projekt bis in alle Ewigkeit zählen soll und Prozessoren einfach zu fehleranfällig sind. Das bringt uns zurück zu einer Heldentat vor 50 Jahren, als auf der Mission von Apollo 14 eine Art Wackelkontakt im Schaltbrett der Mondlandefähre die gesamte Mission gefährdete. Betroffen war ausgerechnet der Schalter, der bei einem Abbruch der Mission betätigt werden sollte. Don Eyles, damals ein junger Programmierer am MIT, hatte die Software für den Steuerungscomputer der Fähre geschrieben und fand die Lösung des Problems. Dem Computer musste mitgeteilt werden, dass ein Abbruch bereits erfolgt war, damit der Abbruch-Schalter nicht per Wackelkontakt ausgelöst werden konnte. So konnte Apollo 14 nach dem Scheitern von Apollo 13 erfolgreich zu Ende geführt werden. Solch eine Sorte von Abbruch-Schalter wünscht man sich für diesen Sonntag. Doch das Wetter hat keinen Abbruchknopf: Schneesturm. Glatteis. Winter.

Ein Winter ist keine Mondlandung und wird nicht abgebrochen. Nicht-technische Lösung eines nicht-technischen Problems: Es gibt kein Glatteis, nur rutschige Schuhe!

(bme)