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Was war. Was wird. Vom Dösen in einer zerrissenen Zeit

Tja, sind Convenience-Memmen wirklich selbst schuld an all dem Dreck, der ihnen wegen ihrer Bequemlichkeit untergejubelt wird? Hal Faber hat so seine Zweifel.

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Für ein Grundrecht auf Bequemlichkeit! Es sich so richtig bequem zu machen und leise vor sich hin zu schnurren, wer tut das nicht gerne. Und dem hat sich jedwede Technik unterzuordnen, keiner darf sie wegen der Bequemlichkeit der User für üble Zwecke einsetzen oder schlechte Hard- oder Software damit entschuldigen.

(Bild: heise online / Jürgen Kuri, unter tatkräftiger Mitwirkung von Ella)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** LASST DIESEN SCHEISS und jetzt alle: "APPLE, LASST DIESEN SCHEISS". Was Apple zunächst nur in den USA vorhat, kann einfach nur schiefgehen, die Punkte sind im Kommentar von Jürgen Schmidt aufgeführt. Der dahinter liegende Gedanke lässt sich auch wissenschaftlich betrachten und politisch aufdröseln. Das Scanning auf Apple-Geräten beunruhigt einige Sicherheitsforscher, während andere Fachleute bereits Entwarnung signalisieren. Sooo schlimm ist das nicht, meint Felix von Leitner: "Aber von allen Dinge, die Apple hätte implementieren können, ist das am unteren Ende der Schlimmheitsskala." Weil das fast so klingt wie eine Ehrenerklärung, darf die handkistische Publikumsbeschimpfung nicht fehlen, Salat hin, Suppe her: "Guckt mich jetzt nicht so an als müsste ich euch jetzt vor den Konsequenzen eurer Handlungen schützen. Jetzt steht ihr mal bitte schön ganz alleine auf der Straße und schimpft über Apple. Ich habe euch das gleich gesagt. Convenience war euch wichtiger. Jetzt habt ihr den Salat. Hört also bitte mit dem Herumgememme auf und fresst die Suppe, die ihr euch eingebrockt habt." Wer nicht den Mumm hat, Linux-Projekte zu unterstützen, ist halt die Memme, die Apple-Geräte kauft.

Wahlkampf? Ach komm. Aber Merkel tritt ab. Wer immer das gut finden möchte. Das Bild: "Krim" von Oleg Tristol auf der Nordart in Büdelsdorf.

*** Ja, so geht ein tiefer Riss durch die Gesellschaft, zwischen denen mit Apple und denen ohne Apple, aber mit Android und denen ohne alles. Kundig beschreibt das der Bitkom in seiner Meldung zum 30. Geburtstag der Website. 8 Millionen Deutsche haben keinen Zugang zum Internet. Das geht gar nicht, denn ohne digitale Teilhabe ist offenbar keine Teilhabe an der Gesellschaft möglich: "Teilhabe an der Digitalisierung muss eine Selbstverständlichkeit sein – für alle Menschen in Deutschland. Der Zugang zum Internet ist dabei nur der erste Schritt. Die Menschen müssen sich auch sicher und souverän in der digitalen Welt bewegen können. Dazu muss die digitale Teilhabe in der Breite der Gesellschaft engagierter gefördert werden." Vielleicht sollte man die Teilhabe an einer Bundestagswahl vom Laden einer Deutschland-App abhängig machen und das Herunterladen dieser App mit einer Bratwurst belohnen. Doch doch, es gibt Politiker und Politikerinnen, die vom Sinn einer Deutschland-App überzeugt sind, die alles enthält: Impfbescheinigung, Ausweis-App, Warner aller Art wie NINA (Bund), Katwarn (Fraunhofer) und Biwapp (Länder), dazu noch eine Funktion zum Stromtanken und eine zum Punktesammeln für die nächste kostenlose Bratwurst. Eine App, sie alle zu binden, eine App, uns alle zu finden: "Einzelne eigene Apps von den unterschiedlichen staatlichen Stellen dürfe es danach nicht mehr geben."[i] Die Unsicherheitskatastrophe kann kommen. Dann wäre da noch die Frage, was diese Deutschland-App auf Apple-Geräten machen kann, die aus der Sicht von Warn-App-Testern eine Macke haben, weil sie nachts die Funktion Nicht stören nicht ignorieren können.

*** Angeblich ist Sommer, angeblich ist der Wahlkampf in seiner heißen Phase angekommen. Was da als "Kampf" in einer quälend langsamen Zeitlupe abgenudelt wird, ist nach diesem Kommentar "ein konterrevolutionärer Versuch, die ökologische Aufklärung zu stoppen". In dieser Woche hat die SPD als letzte der großen Parteien ihre Wahlplakate vorgestellt, die durchweg das Positive dieser Partei zeigen, nämlich Olaf Scholz, mit Photoshop dünner und hagerer gemacht. Das witzige Designtagebuch bewertet die Plakatserie so: [i]"Wer im Auto oder auf dem Fahrrad sitzend am Plakat vorbeifährt und diesem zwei, drei Sekunden an Aufmerksamkeit widmet, mehr ist selten, dürfte in Erinnerung behalten, Olaf Scholz gesehen zu haben, wie dieser ein Blatt Papier in die Höhe hält." Was auf dem Papier steht, ist völlig egal, der Budgetplan für ein neues Klimaministerium mit Vetorecht wird es nicht sein. Diese Idee der Grünen ist übrigens genauso lustig wie die hübsche Idee, Frauen vor der Spionagepalme des Bundesnachrichtendienstes zu fotografieren und genderistisch die Männer wegzuschnippeln oder -photoshoppen. Wen es amüsiert, der strotzt übrigens vor fragiler Männlichkeit.

*** Diese Wahl bietet uns die Wahl zwischen zwei Kanzlerkandidaten und einer Kanzlerkandidatin. Dazu hat ein kluger Kopf kluges vom German Standoff geschrieben. Das steht hinter einer Paywall, daher sei zur Erklärung auf einen Kulturkomprimierer verlinkt: "Wenn der Showdown zwischen drei Gegnern ausgetragen wird, heißt das im Kino 'Mexican Standoff' und ist sogar dann schon spannend, wenn nichts passiert. Wer als Erster schießt, wird als Zweiter getroffen, das ist die Struktur; in Quentin Tarantinos Filmen liegen am Schluss alle im Staub, bei Sergio Leone ist Clint Eastwood einfach schneller. Wenn Mathematiker sich mit dem Problem beschäftigen, empfehlen sie als Lösung, dass alle in die Luft schießen sollen. Drei Konkurrenten, die einander nicht bekämpfen und schon gar nicht wehtun, sondern miteinander koalieren wollen: Das ist jetzt unser German Standoff." German Standoff, eine deutsche Sackgasse, das passt zu dieser Wahl, in der es vielen Wählern nur darum geht, das kleinste Übel zu wählen. 46 Prozent der Wähler wollen ganz andere Übel.

*** In einer großen Wahl-Reportage haben Journalisten der Süddeutschen Zeitung Deutschland durchquert, vom Westen in Aachen bis zum Osten in Görlitz. Dabei haben sie zufällig, wie das so im Journalistenleben passiert, den Firmengründer Richard Socher getroffen, der mit künstlicher Intelligenz eine Suchmaschine betreiben will und in Deutschland den Technikoptimismus vermisst. Den nach der Aufbruchstimmung in Deutschland suchenden Journalisten diktiert er aufs Band, "dass wir uns jetzt in der nächsten industriellen Revolution befinden, in der nicht mehr nur Mechanisches automatisiert wird, sondern auch intellektuelle Leistung." Die intellektuelle Leistung, die seine Suchmaschine produzieren möchte, sollen so etwas wie die CliffsNotes für das Internet erzeugen und hilfreiche Zusammenfassungen zu jeder Frage produzieren, auch zu der nach dem tieferen Sinn des Labenz. Die reisenden Journalisten fanden übrigens die Aufbruchstimmung, ganz ohne Suchmaschine, am Ende in Görlitz: "Es wachsen jetzt Generationen, die mehr Teilhabe möchten und die nicht immer nur durch Reaktion regiert werden möchten, das finde ich richtig. Wir sind im Jahr 2021, aber manchmal habe ich das Gefühl, wir sind im Mittelalter."

*** Kurz nach dem Mittelalter führte er einen ganzen Verlag ins Mittelalter, als sein publizistisches Flaggschiff, der Stern, die Groteske mit den Hitler-Tagebüchern aufführte. Nun ist Gerd Schulte-Hillen im Alter von 80 Jahren gestorben. Sein Tod fiel in die Woche, als "sein" Verlag Gruner & Jahr mit RTL fusionierte, worauf trauernde Journalisten mit Todesgesängen reagierten. Bleibt nachzutragen, dass Schulte-Hillen ein Verlagsmanager war, der sich für ein Presseinformationsgesetz nach dem US-Vorbild stark gemacht hatte. Er bestritt einmal, dass das Internet nur erfunden wurde, um Katzencontent zu verbreiten. Das muss am internationalen Tag der Katze erwähnt werden, an dem selbst die tageszeitung versucht, das Internet auf einer Seite abzubilden.

Katzen, nichts als Katzen.

Wer im dösigen Wahlkampf vom Vorschlag eines Klimaschutzministeriums mit echtem Vetorecht aufgeschreckt ist wie ein Laschet, für den geht es in der Woche gleich weiter mit den schrecklichen Sachen. Am Montag wird der neue Klima-Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPPC) vorgestellt, der alarmierende Zahlen enthalten soll. Am Monday for future soll man die Vorstellung online verfolgen können, die Zahlen der beteiligten Experten und Kommentare finden sich ebenfalls im Netz. Ob sich Armin "Klimaschutz ist Kanzlersache" Laschet oder Olaf "nicht Veto, sondern Turbo" Scholz für den Bericht interessieren und den Stream anschauen? Was wird die Lieblingstochter Annalena Baerbock tun?

Keinen Stream wird es wohl von der Berufungs-Verhandlung um die Auslieferung von Julian Assange an die USA geben, die am Mittwoch in London ansteht. Bisher ist nicht einmal bekannt, wie viele Journalisten und unabhängige Prozessbeobachter zugelassen sind. Auch nicht bekannt ist, was das Versprechen der USA wert ist, dass Assange nach einem Urteil seine Strafe in einem australischen Gefängnis absitzen kann. Das sind viele known unkowns. Was bekannt ist, ist die Tatsache, dass die andauernde Inhaftierung von Assange ein schwerer Rechtsverstoß ist, den sich Großbritannien da leistet, zusammen mit allen Staaten, die das nicht beanstanden. Das ist eine ganz eigene Spielart von einem Netzwerk der Intoleranz.

(jk)