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Was war. Was wird. Vom Glücklichsein inmitten der großen Sonnenblumenölkrise.

Streben nach Glück hat mancherorts ja Verfassungsrang. Garantiert ist Glück damit nicht, merkt Hal Faber an, der sich über unseren Glücksranglistenplatz freut.

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Glück? Nun gut: "Der Mensch kann nichts wollen, wenn er nicht zunächst begriffen hat, dass er auf nichts anderes als auf sich selber zählen kann, dass er allein ist, verlassen auf der Erde inmitten seiner unendlichen Verantwortlichkeiten, ohne Hilfe noch Beistand, ohne ein anderes Ziel als das, das er sich selbst geben wird, ohne ein anderes Schicksal als das, das er sich auf dieser Erde schmieden wird." Jean-Paul Sartre, Der Existenzialismus ist ein Humanismus.

(Bild: Aleksandr Ozerov / Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Es hat nur zum 14. Platz gereicht, aber immerhin sind wir nicht das Schlusslicht in der zehnten Ausgabe des World Happiness Reports der Vereinten Nationen. Das ist das vom Westen verlassene Afghanistan geworden, auf Platz 150. Gegenüber dem Vorjahr sind wir um einen Platz abgerutscht, weil wir uns in dem, was "Social Media" heißt, nicht so fit sind wie etwa Österreich (Platz 11), ein Land, das begnadete Redner hervorbringt. Aber das sind Kleinigkeiten, über die man am heutigen "International Day of Happiness" hinweggucken kann mit dem Blick auf Finnland.

Seit 2018 ist das Land auf dem ersten Platz als glücklichstes aller glücklichen Länder, noch vor dem hygelligen Dänemark. Sind es die langen Nächte, die die Finnen so glücklich machen, ist es die lange Grenze, die Finnland erst von der Sowjetunion, dann von Mütterchen Russland (Platz 80) trennte? Fragen über Fragen, die man der UN stellen könnte – oder der Firma Gallup, die im Auftrag der UN das "subjektive Wohlbefinden" mit ihren Messmethoden ermittelt. Dabei werden jeweils 1000 repräsentativ ausgewählte Bürger eines Landes befragt, in diesem Jahr ergänzt um ein typisches "Stimmungsbild von Social-Media-Kanälen". Was im glücklichen Finnland vor allem an WhatsApp liegen dürfte, das 90 Prozent aller Finnen benutzen sollen. Ob Gallup bei uns wohl in Ruinen wie StudiVZ gesucht hat? Dort darf man noch bis zum Ende des Monats glücklich gruscheln.

*** Die Idee hinter dem Happiness-Index könnte von dem deutschen Philosophen Ludwig Marcuse stammen, der nach dem Zweiten Weltkrieg eine "Philosophie des Glückes" veröffentlichte. Er schrieb: "Wer aufs Glücklichsein verzichtet (unter dem Diktator 'Pflicht'), erfüllt sein Dasein nicht!" Viel zu oft wird das Glück in die Vergangenheit gelegt, etwa in die Zeit, als man ahnungslos über das Z-Ministerium unter der Leitung von Zyklotrop spotten oder mit den Ärzten über das Zensur-Ministerium singen konnte. Nun ist das Z als Zeichen kompromittiert, seine Nutzung könnte unter Umständen strafbar sein. So gesehen muss man der Ukraine (Platz 98) viele Glückzkekse auf dem Weg in die Freiheit wünschen, die aus russischer Sicht nicht verstanden wird: "Wenn Ukrainer:innen eigentlich Russ:innen sind, wie kann es sein, dass die Ukrainer:innen sich gegen ihre autoritären Regierungen aufgelehnt und diese in den vergangenen siebzehn Jahren zweimal gestürzt haben? Wenn die Ukrainerinnen in Wirklichkeit Russ:innen sind, wie kann man es zulassen, dass sie Wahlen ohne vorher festgelegte Ergebnisse abhalten? Wenn die Ukrainer:innen tatsächlich Russ:innen sind, wie kann es sein, dass der ukrainische Staat keine 'homosexuelle Propaganda' bestraft?"

*** Vielleicht liegt es auch an der Wirtschaft oder – was für ein verwegener Gedanke – gar an der Politik, wenn ein Land besonders glücklich ist. Ein Erklärungsversuch: "Gesellschaften, die einander und ihren Institutionen vertrauen, sind die glücklicheren. In Finnland ist das Vertrauen groß, dafür sorgen eine vergleichsweise egalitäre Gesellschaft, starke Bildung, Chancengleichheit, sozialer Zusammenhalt, gleichzeitig große Freiheit in den Lebensentscheidungen und kaum Korruption." Tja, wie war das noch mit der Korruption bei der Beschaffung von Masken? Masken, welche Masken? Wir bekommen ja mit, wie der gelbe Ampelschwanz mit dem deutschen Hund wedelt, wenn die FDP ihren Freiheits-Coup durchzieht. Während drei von fünf Bundestagspräsident:innen krank sind, ist ein Infektionsschutzgesetz verabschiedet worden, in dem die Maskenpflicht verabschiedet und die neue deutsche Rücksichtslosigkeit propagiert wird. Glückliches Österreich, vor uns auf Platz 11, dass die Maskenpflicht wieder einführt.

*** Wir bekommen es auch mit, wenn im Bundestag eine historische Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu hören und zu sehen ist, worauf der Bundestag umstandslos zur Tagesordnung übergeht, eine beschämende Reaktion vom gelben Schwanz und rotgrünen Wegduckdackel. Eine historische Erklärung wie "nie wieder Krieg", eine Erläuterung des deutschen Neins zur Flugverbotszone und zur Friedensmission? Fehlanzeige. Einen entsprechenden Geschäftsordnungsantrag lehnte die Koalition von SPD, Grünen und FDP ab. Nach 100 Tagen Regierung wurde so ein Tiefpunkt erreicht. Man könnte die regierungsamtliche Ignoranz damit entschuldigen, dass andere Regierungen noch ignoranter sind, wenn sie das Streben der Ukraine nach einem Beitritt zur EU mit dem eigenen Brexit vergleichen. Aber man sollte es nicht. In Deutschland haben Tagungsordnung und ordentliche Beschlussfassung halt einen göttlichen Rang.

*** Apropos Europäische Union: Seit einigen Monaten geistert die Idee einer Chatkontrolle durch die Räume europäischer Politiker. Dafür müssten verschlüsselnde Systeme wie Signal oder Threema aufgebrochen oder durch einen Datenabgleich von Hashwerten auf den Smartphones ergänzt werden, was eine ziemlich schlechte Idee ist. In einem offenen Brief haben sich 35 Organisationen der Zivilgesellschaft gegen das Vorhaben ausgesprochen, das Ende März der geneigten Öffentlichkeit präsentiert werden soll. Die wichtigste Passage kann gar nicht oft genug wiederholt werden: "Die schockierenden Ereignisse der letzten drei Wochen haben deutlich gemacht, dass Privatsphäre und Sicherheit sich gegenseitig verstärkende Rechte sind. Angegriffene Personen sind auf Technologien angewiesen, die die Privatsphäre wahren, um mit Journalisten zu kommunizieren, den Schutz ihrer Familien zu koordinieren und für ihre Sicherheit und ihre Rechte zu kämpfen. Auch in Friedenszeiten ist die Fähigkeit der Menschen, ohne ungerechtfertigte Eingriffe zu kommunizieren – online wie offline – von entscheidender Bedeutung für ihre Rechte und Freiheiten sowie für die Entwicklung dynamischer und sicherer Gemeinschaften, der Zivilgesellschaft und der Industrie."

Am heutigen Weltglückstag endet eine Epoche. Denn im "Rahmen einer Modernisierung" schließt nach 30 Jahren die Ausstellung Die Welt der Rechenmaschinen im Deutschen Museum zu München. Sie war gleich doppelt museal, denn die Geschichte dieser Maschinen irgendwo zwischen Informatik und Automatik ist irgendwann in den 60er-Jahren zum Stillstand gekommen. Wenn alles gut geht, wird sie ganz im Sinne der genannten Zivilgesellschaft in diesem Jahr durch eine kleinere Ausstellung zur Geschichte der Kryptologie ersetzt, die auf Computern und Smartphones unsere Privatsphäre schützt. Außerdem ist heute Freedom Day: Feiern wir die bewundernswerte menschliche Fähigkeit, völlig irrationales Verhalten zur Vernunft umzudeklarieren. Denken wir dabei an die Wikinger, die lieber den Hungertod starben als Fisch zu essen. Für die letzten Tage der Menschheit wäre dann noch die herzliche Begrüßung an Bord der ISS zu nennen, bei der die Kosmonauten in den Farben der Ukraine eintrudelten, wenn auch mit übergroßen russischen Flaggen auf der Brust. In 400 Kilometern Höhe ist die Welt noch in Ordnung.

(jk)