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Was war. Was wird. Vom Knuffeln im Lockdown Light.

Das wird doch nett. Endlich wieder ungestraft zu Hause bleiben, niemand, der ständig drängelt, man müsse endlich mal an die frische Luft, freut sich Hal Faber.

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Kannste vergessen. Ach, halt, nee, lieber nicht. Und nicht nur deswegen, weil Retro gerade in ist und das hier ein Acker-Vergissmeinnicht (Myosotis arvensis).

(Bild: Pavel_Voitukovic / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Die Vorbereitungen auf den "Lockdown Light" laufen, der Blick geht zurück in die gute alte Zeit. Wer sie noch nicht gekauft hat, könnte sich jetzt die c't RETRO zum Schmökern holen oder auch online in den verfügbaren Artikeln lesen. Da geht es um vergessene Heimcomputer oder um niederträchtige, unfehlbare Rechenmaschinen. Auch das Fernsehen macht mit und öffnet mit Retro ein gut gefülltes Konservenlager. Da gibt es Gammler an der Gedächtniskirche zu sehen oder Elvis beim Landgang in Bremerhaven. Besonders das Stück "Die neue Eitelkeit des Mannes" mit dem neuen Typ Mann, der sich parfümiert, ganz wie der lässige James Bond, verkörpert vom großartigen Sean Connery.

War er nun wirklich der beste Bond-Darsteller? Da gibt es immer noch Diskussionen, sein Aston Martin jedenfalls half doch sehr. Nun aber ist auch der groĂźe Schotte Sean Connery tot.

(Bild: Friemann / Shutterstock.com)

Rasende Reporter stellen Rechner und ihre BedienerInnen vor, denn die Digitalisierung der Smart Cities begann früh. Im Fernsehen erklärte der Computerpionier Alwin Walter exklusiv für SPD-Mitglieder, was es mit den Nullen und Einsen auf sich hat, mit denen die Rechner hantieren. So lernt man schnell und einfach, wie eine Binärzahl wie 1000001 in eine für unsere Hirne besser rechenbare Zahlendarstellung umgerechnet werden kann.

*** 55-23=32 ist so eine einfache Rechnung. Während die Bundeskanzlerin die Maßnahmen "Lockdown Light" verkündete und rechtfertigte, setzte sich der Star-Mediziner und "Querdenker" Hendrik Streeck zusammen mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit einem Positionspapier von der Bundesregierung ab. Zur Veröffentlichung des Papiers hatten angeblich 55 Organisationen etwas unterschrieben, das vielleicht gut gemeint, aber sicher schlecht zu Ende gedacht war, ganz ohne bessere Ideen zu präsentieren. Am Ende des Tages waren es nur 32 Organisationen, die diese "gemeinsame Position von Wissenschaft und Ärzteschaft" unterzeichnet hatten. So macht man Wissenschaft suspekt und aus der kassenärztlichen Ärzteschaft eine um ihre Pfründe fürchtende Bimbesvereinigung mit sehr speziellen Retro-Anklängen. Rechnet man den Unfug hinzu, den der Präsident der Bundesärztekammer in einer Talkshow zum Besten gab, könnte man von einer Ärzte-Panik vor Corona sprechen: Die Einnahmen der Arztpraxen sind rückläufig.

*** Zum "Lockdown Light" gehört es natürlich, dass an Halloween die große Ansteckungssause bis 23:30 für die lieben Kleinen gefeiert werden darf, weil es die Alten und Kranken bekanntlich nicht in einen Freizeitpark verschlägt, dass Friseure geöffnet haben und das Kopfhaar scheren dürfen, während Enthaarungen an den Beinen nicht stattfinden können, weil die Studios schließen müssen. Hotels und Gaststätten sind geschlossen, während die Schulen offen bleiben müssen. Immerhin haben Forscher erste brauchbare Lüftungssysteme mit Bauteilen aus dem Baumarkt entwickelt, nur die konkrete Bauanleitung fehlt noch. Insgesamt sind wir besser dran als Griechenland mit seiner Ausgangssperre oder Belgien mit dem Verbot von Knuffelkontakten zu mehr als einer Person. Ein Schmuse- und Gruschel-, gar ein Berührungsverbot könnte freilich noch kommen. Beruhigend ist damit nur, dass wir eine Bundeskanzlerin haben, die die Exponentialrechnung beherrscht und auf ihre Partei keine besondere Rücksicht zu nehmen braucht. Es gibt schließlich Länder wie die USA und Österreich, deren Staatsoberhäupter bereits das Ende der Pandemie erklärt haben. Als Ablenkung gibt es dazu die medialen Inszenierung von Streeck gegen Drosten, mit Karl Lauterbach als Linienrichter.

*** Im Getöse des US-amerikanischen Wahlkampfes hat der hoch bezahlte Journalist Glenn Greenwald bekannt gemacht, dass er nicht mehr für die Enthüllungsplattform The Intercept arbeitet. Nach seiner Darstellung zensierte die Redaktion einen Artikel, in dem er "liberale Journalisten" kritisierte, die Joe Biden laxe Fragen stellen und den "Skandal" um die Festplatte von Hunter Biden ignorierten. Das wiederum sieht die Redaktion etwas anders. Der Fall wäre trivial, wenn nicht The Intercept sich als zentrale Plattform begreifen würde, die mit Whistleblowern zusammenarbeitet. So versprachen The Intercept und Glenn Greenwald, mit den Snowden-Archiven die weltgrößte, ausführlichste Dokumentationsstelle über die Machenschaften des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA aufzubauen. Anfang 2019 wurde die Arbeit am Archiv eingestellt, danach verschwanden viele Dokumente aus dem Netz. Auch wollte man kontinuierlich mit Wikileaks zusammenarbeiten, doch zum Schluss wollte man bei Intercept nicht einmal mehr über die Lage von Assange in London berichten – behauptet jedenfalls Greenwald. Was übrig bleibt, ist die Tatsache, dass weniger denn je über die Machenschaften der NSA und anderer Dienste berichtet wird, die nach wie vor für eine Überraschung gut sind. Man denke nur an die von der NSA genutzte Juniper-Schwachstelle die anscheinend auch von chinesischen Diensten verwandt wurde. Jedenfalls geht das Material nicht aus: Auch die 2018 eingestellte Geheimdienst-Operation Rubikon soll demnächst mit wiedergefundenen Dokumenten neue Details zur Auslandsspionage verschiedener Dienste wie dem deutschen BND für Schlagzeilen sorgen. Die Vergangenheit hat Zukunft, nicht nur im Retro-Stil.

*** "Allein wie kein Erdling jemals zuvor" sei er gewesen, soll Michael Collins gesagt haben. Was Collins, der nun auch schon 90 Jahre alt ist, aber keineswegs damit übersetzt haben wollte, er sei einsam gewesen: Das Alleinsein habe weder Angst noch Einsamkeit erzeugt, sondern "ein Gefühl von Achtsamkeit, Antizipation, Zufriedenheit, Vertrauen, beinahe ein Hochgefühl." Bei seinen Mondumkreisungen, während sich Armstrong und Aldrin auf dem Mond vergnügten, dauerte die längste Isolationsphase übrigens 46 Minuten und 38 Sekunden. Genau so lang ist nun das neue Album von Michael Wollny, dessen Trio-Aktivitäten, erst mit Eva Kruse und Eric Schaefer, in der zuletzt aktuellen Besetung mit Schaefer und Tim Lefebvre, zu den berauschendsten Erfarhungen mit modernen Jazz-Trios gehören. Solo umkreist Wollny nun das Thema Isolation: "Wenn man den ganzen Tag niemanden gesehen hat, und dann allein in einem fensterlosen Raum sitzt, in einem Studio wie eine Raumkapsel, stellt sich das Gefühl ein: jetzt gehen alle Antennen auf."

Während die USA darüber abstimmen, ob sie zurück in eine demokratische Regierungsform gehen oder eine faschistische Machtergreifung dulden, haben Präsident Trump und seine Entourage mit den Vorbereitungen für die Machtergreifung begonnen. Die Wahlparty im Trump Hotel zu Washington ist abgeblasen. Man wird sich im Weißen Haus verbarrikadieren, die Nachrichten von den Auszählungen als Fake News bezeichnen und hoffen, das Biden nicht den Rekord von Lyndon B. Johnson bei dem Popular Vote bricht. Wobei es ja mehr als genug Zahlen für alle gibt. Man könnte sie noch um die Berechnung ergänzen, dass Trump mit den Auftritten vor seinen Wählern für 300.000 Covid-19-Infektionen und 700 Tote verantwortlich sein könnte. Für alle, die die lange Wahlnacht mit Donuts, Burger und Cola begleiten wollen, gibt es zwar ein hübsches Bullshit-Bingo, das aber "wegen abweichender Bildrechte" nicht frei verfügbar ist. Doch es gibt glücklicherweise genug idiotische Floskeln, wie "Der Atlantik ist breiter geworden", die man in Kästchen packen kann.

Ein beliebtes Kästchen ist übrigens "Das habe ich vorhergesagt". Es kann am Mittwoch nach der US-Wahl angekreuzt werden, denn dann findet im deutschen demokratisch regierten Bundestag eine Abstimmung statt. 18 Jahre nach Inkrafttreten der "Otto-Kataloge" werden alle im Terrorismusbekämpfungsgesetz zusammengefassten Maßnahmen entfristet und dauerhaft gültig. Sie wären sonst im Januar 2021 ungültig geworden. Um ein Haar wäre die schöne Antiterrordatei verschwunden und das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin-Treptow aufgelöst worden. Aber nicht doch, die nun auch schon 8 Jahre alten Forderungen einer Regierungskommission sind längst vergessen, das Wiederaufflammen islamistischer Gewaltakte wie in Frankreich zeigt ja die Notwendigkeit des Zugriffes auf Kommunikationsdaten. Schließlich und endlich will man auch dem netten Herrn Schuster zu seinem Abschied aus dem Bundestag eine kleine Freude machen. Da kann man einfach nicht nein sagen. Und auf seinem italienischen Landgut entkorkt Ölbauer Otto Schily eine ganz besondere Flasche. Stößchen!

Ist das nicht knuffig? Und so gar nicht corona-gefährdet.

(jk)