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Was war. Was wird. Vom Nutzen der Wehrkunde in unruhigen Zeiten.

Es ist schon überraschend, wie man angesichts von Kriegs- und Pandemiezeiten Optimismus bewahren kann, wundert sich Hal Faber. Alles eine Frage der Sichtweise.

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Man könnte meinen, der Klimawandel ließe nicht schon genug Stürme heraufziehen. Woran die Welt letztlich untergeht, scheint derzeit aber noch nicht ausgemacht zu sein. Geht Putins Sowjetunion 2.0 auch mit einem Wimmern unter und zieht den Rest mit sich? Machens doch die realen Stürme? Oder versinken die Demokratien in einem Sumpf aus rechten Verschwörungsmythen, überschäumendem Hass auf alles Fremde, Unbekannte und nicht Verstandene sowie fehlender bzw. aktiv abgelehnter Ambiguitätstoleranz? Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, / in allen Lüften hallt es wie Geschrei. / Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei / Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut. / Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen / An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken. / Die meisten Menschen haben einen Schnupfen. / Die Eisenbahnen fallen von den Brücken. (Jakob von Hoddis, Weltende)

(Bild: eskystudio / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Es gibt ein bemerkenswertes Foto der Münchener "Sicherheitskonferenz", einer von einem privaten Unternehmen veranstalteten Produktmesse für Unsicherheiten aller Art. Bekanntlich startete sie 1963 als "Wehrkundetagung".

Im Kalten Krieg sollten Wehrkundler zusammen kommen und die Frage erörtern, wie lange Europa durchhalten kann, wenn es zum Heißen Krieg kommt. Das bemerkenswerte Foto von 2022 zeigt den CEO-Lunch der Konferenz, eine Versammlung alter, weißer Männer. Wo der Frauenanteil mit stolz vermeldeten 45 Prozent ist, wird aus dem Bild nicht sichtbar. Vielleicht haben die Frauen einen anderen Tisch oder einfach keine Lust auf Phallozentrismus. Denn das ist es, was diese Russlandkrise ausmacht: Krieg ist das Ding mit Gemächt. "Die Panzer, die Russland auffährt, die Kanonenrohre, die Putin zeigt, in ihrer Obszönität sind sie im Grunde lächerlich, wenn sie nicht so sehr die Integrität derer, die sie als Beute auserkoren haben, verletzen würden." Vor dem Krieg geht die Wahrheit flöten – ich wiederhole mich – doch noch vor dem Krieg der Waffen liegt der Krieg der Bilder, der ein Informationskrieg der Cyberkrieger ist. So gesehen ist es schade, dass auf dem Bild die mit dem dicksten Gemächt fehlen, die Russen, bei denen eine stattliche Anzahl weißer Männer sich um Putin versammeln und die Ergebnisse der Maskirovka betrachten, die von den Medien gesendet werden. Nach den Fake News kommen die Fake-Bilder. So spitzt sich alles weiter zu, bis es scharf genug ist und etwas platzen kann. Vielleicht wird es zusammen mit dem absehbaren Aus für Nordstream 2 die Abkoppelung der Ukraine von der russischen Stromversorgung sein, die wir als Anbindung des Landes an das kontinentaleuropäische Stromnetz sehen.

*** Im Vorfeld der Münchener Sicherheitskonferenz erschien in der Süddeutschen Zeitung die Konferenzbeilage "Sicherheit 2022". Mittendrin ein großes Interview mit Bill Gates, wohl weil er eine Art Sicherheitsforscher in Sachen Pandemiebekämpfung geworden ist. Die Zusammenfassung des Interviews im Heiseticker wurde von mehr als 1000 engagierten Kommentaren der Leser:innen begleitet, ein schöner Rekord. Bemerkenswert am Interview war einmal die Absichtserklärung von Bill Gates, den Kanzler zu besuchen: "Wenn ich nach Deutschland reise, werde ich dafür werben, dass die neue Bundesregierung mit Bundeskanzler Olaf Scholz und Entwicklungsministerin Svenja Scholz die Großzügigkeit in der Entwicklungshilfe aufrechterhält." Noch bemerkenswerter vielleicht, dass Gates, anders als biontechnationalistische Geister, alle Impfstoffe lobte: "Die Weltgesundheitsorganisation hat Sinovac und Sinopharm zugelassen. Überhaupt haben sich alle Impfstoffe vor allem als effektiv im Schutz vor schweren Infektionen und Tod erwiesen. Der Wert der chinesischen und russischen Impfstoffe wurde unterschätzt. Daraus sollte also kein Konflikt entstehen. Klar wird darüber gestritten, was ein angemessener Schutz ist, und wer auf internationale Konferenzen reisen darf. Aber alles in allem muss man der Welt eine ziemlich gute Note dafür geben, in welchen Tempo Impfstoffe entwickelt wurden. Allerdings kamen die Impfstoffe nicht so schnell bei Menschen in armen Ländern an, wie es nötig gewesen wäre." Der Philanthrop als unerschütterlicher Optimist, auch das ist eine Erfahrung, die mit der Pandemie verbunden werden kann.

*** Bevor er Bundeskanzler Scholz traf, hatte Gates ein Treffen mit dem Gesundheitsminister Karl Lauterbach und mit diesem über Impfstoffe für arme Länder gesprochen. Über Gates' Sicht der Dinge und der Verteilung von Impfstoffen in ärmeren Ländern zeigte sich Lauterbach wenig begeistert und twitterte: "Der Schwerpunkt muss meines Erachtens in Zukunft darin liegen, Pandemien zu verhindern. Dann braucht man auch keine Impfstoffe für Milliarden Menschen." In aller Uneinigkeit ist man sich einig, das leidige Thema der Patente draußen vor der Tür zu lassen. In einem anderen Interview zeigte sich Lauterbach, nicht Gates fast so optimistisch wie der Amerikaner: "Nein. Weshalb sollte ich? Ich bin in der Bevölkerung beliebt. Unsere Arbeit funktioniert. Wir haben den Verlauf der Pandemie exakt vorhergesagt. Mit Boostern, Kontaktbeschränkungen und Mahnungen sind wir gut durch zwei schwere Wellen gesteuert. Wir haben im Vergleich zu anderen Ländern also eine respektable Bilanz. Beim Treffen der europäischen Gesundheitsminister haben mich viele darauf angesprochen. Deutschland hat etwa ein Drittel weniger Corona-Tote pro Kopf als Europa. Das zählt. Kritik kann ich gut aushalten, solange die Ergebnisse stimmen. Ich bin nicht harmoniesüchtig." Es beruhigt, dass da einer die Lügen und Verdrehungen aushält, die über ihn nicht nur in dieser Woche fabriziert wurden.

*** Wenn diese Wochenschau erscheint, ist die Gedenkveranstaltung zum 2. Jahrestag des Hanauer Massakers längst beendet. Dennoch muss an sie erinnert werden, an Fatih Saraçoglu, Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovic, Kaloyan Velkov, Mercedes Kierpacz, Said Nesar Hashemi, Sedat Gürbüz und Vili Viorel Paun. Im Unterschied zum letzten Jahr gibt es eine Bundesinnenministerin, die selbst Drohbriefe des NSU 2.0 erhalten hat und nun sagt, was gesagt werden muss: "Der Rechtsextremismus ist die schlimmste Bedrohung unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung." Außerdem wird ein nationaler Gedenktag eingerichtet. Das war es aber auch schon. Die danach angekündigte Verschärfung des Waffenrechtes wurde schnell unter den Tisch gekehrt. Wer jetzt die aktuellen Protokolle der Angehörigen liest, kann sich für diese unsere Grundordnung der Versäumnisse nur schämen.

*** "Der Computer existiert, ganz im Gegensatz zum Radio, nicht in einem Singularetantum. Radiohören ist immer dieses eine und jetzt – und vorbei. Dem Schreiben im Medium von Rechnern fehlt diese Einmaligkeit und Aura des Augenblicks, den noch das gravierte Papier auszeichnet." Das schrieb der Radiomann, DJ und Euroscript-Fan Wolfgang Hagen in seiner "Skizze zu einer Theorie der Computer". Später mühte er sich mit Turbo Pascal ab, lustige Text-Utilities zu schreiben und weitere Programmiersprachen in Augenschein zu nehmen. Nun ist Wolfgang Hagen gestorben. Vor seinem Tod konnte er sein Buch zu einer Theorie des Lochs von der Lochstreifensteuerung bis zur Quantenmechanik des Transistors beenden. Wer Hagens Werk kennenlernen möchte, kann mit einem kleinen Alphabet auf Spurensuche gehen. "Das Schreiben selbst erscheint am Ende als ein Mittel, das Verschwinden der Schrift zu betreiben. Wenn die Schrift je Supplement der Rede war, so wird das Schreiben in Computern damit ein Ende machen. Vielleicht lesen wir unseren Text das erste Mal, wenn er ausgedruckt vor uns liegt. Mal sehen." Das war 1988. Inzwischen ist das Ausdrucken von Schrift verpönt, aber wieder stark im Kommen: Die überwältigende Mehrzahl der "elektronischen" Rezepte sind ausgedruckte QR-Codes auf DIN A5, die den verdutzten Apothekern auf die Theke gelegt werden. Wobei so ein Punktgehäufel sich nicht groß von den Lochstreifen für Steuersysteme unterscheidet, mit denen sich Wolfgang Hagen so gern beschäftigte.

Die Wehrkunde weist den Weg in die Zukunft. Was ist schon eine Woche? Ruckzuck vorbei. Während der typische Nerd gackert und sich allein um seine Urlaubsplanung Sorgen macht, wird die Einsatz- und Verlegebereitschaft der NATO-Eingreiftruppe auf sieben Tage angeordnet. "Zuvor hatten bereits einzelne Bundeswehreinheiten den Hinweis bekommen, ihre Soldatinnen und Soldaten sollten in nächster Zeit keine längeren Abwesenheiten wie Urlaub planen." Der ukrainische Präsident Selenskyj hat derweil die munter tagenden Wehrkundler gebeten, die angedrohten Sanktionen umzusetzen. Wenn Russland die Ukraine besetzt haben wird oder sich ein dickes Scheibchen Land abschneidet, werden sie niemanden mehr nutzen. In sieben Tagen wissen wir mehr.

(jk)