Was war. Was wird. Von bräsiger Selbstgefälligkeit in einem illiberalen Land
Schon wieder? Echt jetzt? Schon wieder Digitalisierung? Hal Faber fragt sich, ob das auch zur allgegenwärtigen Infantilisierung des Wahlkampfs gehört.
Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.
Was war.
*** "Die Art und Weise, wie sie Spitzenkandidatin ihrer Partei wurde, sendet die klare Botschaft, dass es keine knallharte Machtpolitik braucht, um es ganz nach oben zu schaffen. Wird sie so zu Deutschlands nächster Kanzlerin? Die Zeichen stehen auf Grün – und auf Annalena Baerbock." Ja, das steht so knallschwarz auf weiß auf einem dieser Waschzettel, die von Verlagsmenschen selbst geschrieben werden. Die Rede ist natürlich von Annalena Baerbock, die Frau mit dem Doppeltiernamen und mutmaßlich stolze Besitzerin eines Zweitbuches. Das ist diesmal eine Biografie, kein Sachbuch. Ein Bio-Bericht von "der zweifachen Mutter mit der sympathischen Ausstrahlung". So ein Buch ist einfach überfällig, wenn man sich über die nächste mögliche Kanzlerin informieren und wissen will, was sie so ausstrahlt. Schließlich hat der nächste mögliche Kanzler, dieser Machtmenschliche, seine Biografie schon liebevoll durchgeblättert und vergessen, wie er Vieles vergisst.
Wie war das noch mit dem Tempolimit, dass nach Ansicht von Wissenschaftlern des Umweltbundesamtes kurzfristig den Anstieg von Treibhausgasen reduzieren kann? Alles Quatsch mit Soße, meint der machtmenschliche Herr Laschet, der keinen Ferrari-Fahrer verärgern will, der Deutschland als verkniffenes, illiberales Land bezeichnet. Das Interview mit dem obersten Plagiatsjäger, der seine 280 km/h auf der Autobahn braucht, ist doppelt lustig, weil endlich mal wieder die "Säzzer" ihren Spaß hatten: "Ich bin ein Zitat, aber nur inhaltlich. Wie viele Zeilen ich lang werde, weiß keiner so recht", steht im übersehenen Zitat-Andocker. Etwas Ähnliches könnte man glatt über den Politiker Laschet formulieren. Was er machen wird, weiß keiner so recht. Was Laschet selbst weiß: Es gibt in Nordrhein-Westfalen kaum Straßen, auf denen man 130 km/h fahren kann. Warum dann kein Tempolimit?
*** Nein, es lohnt sich nicht, über Baerbocks Buch zu schreiben, Sachbuch hin, Kochbuch her. Diese Infantilisierung des Wahlkampfs ist ohnehin schwer erträglich. Es lohnt sich auch nicht, das Geknödel vom Hoffnungsland von Olaf Scholz zu lesen oder eben die "Aufsteigerrepublik" des ehemaligen Integrationsministers Laschet. Der ist dieser Tage der gefühlt einhundertste Politiker, der ein Digitalministerium forderte, das gegen das "Chaos in Berlin" ankämpfen soll, das seine Partei in den 16 Jahren an der Regierung hinterlassen hat. Das erinnert an das Z-Ministerium von Dorothee Bär oder, wenn man weit genug zurückgeht, an den "Zukunftsminister" Jürgen Rüttgers. Der bekam 1994 ein Superministerium, in dem Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie gebündelt waren, also genau die Bereiche, in denen diese Digitalisierung angesiedelt ist. Was das Superministerium nicht schaffte, besorgten damals kommerzielle Online-Dienste: Die Deutschen gingen massenweise ins Netz, während im Superministerium von Rüttgers an einer digitalen Bildungsinitiative gebastelt wurde, die er selbst als Ministerpräsidentenkandidat mit dem unglücklichen Slogan Kinder statt Inder zerdepperte. Ja, so warns die alten Rüttgersleut.
*** Nun aber geht es los: Bekanntlich taucht die Digitalisierung 196 Mal im CDU-Wahlprogramm auf. Da wird was passieren! Vor allem wird jemand kassieren: Glaubt man der Open Source Business Alliance, so werden bei der anstehenden Digitalisierung 300.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in die Microsoft Cloud gehen. Das widerspricht zwar der Verwaltungscloud-Strategie des IT-Planungsrates, aber wer ist schon der IT-Planungsrat? Für viele ist das ein Gremium, das den Begriff "digital" um das hübsche Wort digitaltauglich ergänzt hat, das man bisher eher im abwertenden "untauglich" nutzte. Ja, die deutsche Sprache ist eine schöne Sprache: "Notwendig ist eine Inventur des Rechtsbestandes im Hinblick auf seine Digitaltauglichkeit. Um Once-Only Wirklichkeit werden zu lassen und einen verfahrensübergreifenden Datenaustausch zu ermöglichen, muss die Digitaltauglichkeit des existierenden Rechtsbestandes verbessert werden, ansonsten bleibt die Vernetzung der Datenbestände, insbesondere bei der Umsetzung des OZG eine unerreichbare Wunschvorstellung. Ja, Schluss mit dieser Schießscharten-Verwaltung! Bei der Suche nach der Herkunft von Once Only fiel mir ein Artikel auf die Tastatur, der sich mit der Sprache des indischen Rechtssystems befasste. Es geht also noch schlimmer.
*** Im deutschen Rechtssystem möchte sich das von der CDU und FDP regierte Bundesland Nordrhein-Westfalen ein Versammlungsrecht zulegen, in dem ein Militanzverbot eine wichtige Rolle spielt. Verboten werden soll das Tragen gleichartiger Kleidung, wenn diese zur "gezielten Einschüchterung" getragen werde. Das entsprechende Recht sollte in dieser Woche novelliert werden, doch hat die massive Kritik am Gesetz wie eine Demonstration gegen das geplante Gesetz dazu geführt, dass die Reformpläne überarbeitet werden. Mitverantwortlich war sicher auch der "robuste" Polizeieinsatz mit der stundenlangen Einkesslung von Demonstranten und Gewalt gegen einen erkenntlich als Journalist arbeitenden Fotografen. CDU-Sprecher Christos Katzidis versuchte sich an einer interessanten Rechtfertigung: "Singende Fußballfans in Trikots: ja, Neonazis in Bomberjacken und Springerstiefeln mit drohenden Parolen: nein." Das klingt einfach, ist es aber nicht. Was ist mit den Hooligans, die sich im Trikot ihres Vereins zum Prügeln treffen, was ist mit den weißen Anzügen der Demonstranten beim Bündnis von Ende Gelände, die ja als Ausdruck der Militanz gewertet wurden? Nur die Schützenvereine sollen weiterhin paramilitärisch auftreten dürfen. In aller Ruhe sollen alle Befürchtungen geprüft werden.
Was wird.
Wenn etwas in Deutschland peinlich genau geprüft wird, dann sind das die Steuerzahlungen und – in Wahlkampfzeiten – die Zeugnisse. Nach den digitalen Zeugnissen, die nicht einfach signiert werden, sondern mit einer Blockchain gesichert werden, sollen nun die Steuern von Online-Händlern mit einer Blockchain beglückt werden. Das Bayerische Landesamt für Steuern möchte ein "Blockchain-basiertes System zur Vermeidung von Steuerausfällen auf Online-Marktplätzen" entwickeln lassen und hat zusammen mit dem Bayerischen Staatsministerium für Digitales ein Whitepaper als Machbarkeitsstudie veröffentlicht. So soll ein verpflichtendes Identifikationsmerkmal für Online-Händler eingeführt werden, das diese in einem Wallet mit sich führen müssen. "Mit Hilfe der Regelung sollen Marktteilnehmer im Bereich des E-Commerce zur steuerlichen Registrierung bewegt werden, um Kenntnis von ihnen und Informationen über ihre Identität zu erlangen sowie eine Überwachung zu ermöglichen". Online-Händler sollen dann verpflichtet werden, das mit der Blockchain gesicherte Identifikationsmerkmal an die Betreiber von Online-Plattformen zu übergeben. Es dürfte eine Frage der Zeit sein, bis die Steuer-ID, das zentrale Bürger-Informationsmerkmal in einer Bundesblockkette landet. Zu Überwachungszwecken.
Fußball isch vorüber, Kreuzimpfungen sind angesagt und ab gestern hat diese komische Verbotspartei namens EU uns auch noch die Pommes-Pappschalen weggenommen. Dabei sind wir doch Weltmeister! Nämlich angeblich Weltmeister der Wiederverwertung. Das mag mal für die Sekundärrohstoff-Annahmestellen der DDR gegolten haben, stimmt aber längst nicht mehr. Wir sind nämlich Europameister im Wegwerfen. "Aber das ist gar nicht das größte Problem. Viel schlimmer ist, feststellen zu müssen, wie das Verbot das Land weiter einlullt in seiner bräsigen Selbstgefälligkeit und dem trügerischen Gefühl, dass schon alles laufe.
Nichts läuft, jedenfalls, wenn man auf zwei entscheidende Kriterien schaut: die Menge des Verpackungsmülls und die Recyclingquote, und zwar die echte." Genau hier braucht es knallharte Umweltpolitik, etwa ein Verbot der schwarzen Einweg-Plastikpaletten für Pflanzen, die aus Bau und Gartenmärkten weggetragen werden: 170 Millionen Paletten kommen dabei in Deutschland im Jahr zusammen. Es muss "30 Jahre nach Einführung des Gelben Sacks endlich etwas passieren, was belegbare Ergebnisse zeitigt. In einem Hochtechnologieland wie Deutschland muss einfach mehr drin sein, als es den meist durchaus bemühten Bürgern zu überlassen, den Plastikmüll händisch und nach bestem Wissen und Gewissen im Gelben Sack zu entsorgen."
(jk)