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Was war. Was wird.

Die Wochenschau von Hal Faber: Von ungewöhnlichen Verschlüsselungstechniken, PR-Niederungen, Entgleisungen und Verschwörungstheorien.

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Lesezeit: 12 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Immer wieder gibt es Informationsbröckchen, die es nicht zur richtigen Nachricht schaffen. Sie mögen nicht in das Bild passen, das eine Firma von sich präsentieren will. Sie passen nicht in die angesagten Technik-Trends oder sie sind wirklich so kümmerlich, dass es der Sammlung bedarf. Manches bleibt auch unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle: Menschen, Computer, Sensationen verdecken den Blick auf Hintergründiges und Zusammenhängendes. Die Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist, so es die Bröckchenlage zulässt, Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Am Anfang der Woche tickerte die Meldung durch das Land, dass die NATO im Kosovo-Krieg einen Spion in ihren Reihen hatte, der die Belgrader Führung genauestens über die geplanten Bombardierungen informierte. Ein oder zwei Wochen lang habe dieser Spion Zugang zu den Daten gehabt, bis man die Liste der Zugangsberechtigten drastisch reduziert habe. Der kleine Brüsseler Kollateralschaden sei ein "temporäres Netzadministrationsproblem" gewesen, hieß es im Communique. So eine Formulierung provozierte natürlich die Frage, wie die Hochsicherheitslösung von Notes bei der NATO ausgesehen haben mag. Die Entrüstung von Lotus folgten stante pede – und war vollkommen unnötig. Wie gestern gemeldet wurde, enttarnten Sicherheitsspezialisten erfolgreich den Spion: Die Pläne wurden auch per Fax verschickt, wobei mindestens eines der Geräte an einem "unzureichend gesicherten Ort" stand. Ein schöner Nebeneffekt dieser dramatischen Jagd nach der undichten Stelle war der Versuch eines Radiosprechers im WDR, die Huffmann-Komprimierung der Faxtechnik als Verschlüsselung zu verkaufen.

*** Was ein effektives Verschlüsselungsverfahren im Krieg sein kann, wurde mir dieser Tage von der Spielzeugfirma Hasbro in Erinnerung gerufen. In ihrer Spielpuppenserie G.I. Joe bringt Hasbro nun einen "Navajo Code Talker" heraus, zur Erinnerung an die Einheit von Navajo-Marines, die Funksprüche in ihrer Stammessprache verschlüsselten. Angeblich haben es Deutsche wie Japaner nicht geschafft, den Navajo-Code zu knacken. Da G.I. Joe eine Sprechpuppe ist, kann sie fließendes Armee-Navajo, gesprochen von Sam Billison, Mitglied des Navajo-Rates und einer der letzten lebenden Code-Talker. Wären die BEHR-EHE-HOB-IN-A-AS-DOCH der Nato im Kosovo sicherer gewesen? Wahrscheinlich nur, wenn man die Faxgeräte durch Rauchwölkchen ersetzt hätte. Billison ist nun als Werbeträger für PGP im Gespräch, vielleicht mit dem Slogan "Navajo ist schwieriger."

*** Deutsch ist im Vergleich mit Indianersprachen auch nicht ohne. Nehmen wir einmal den "arbeitsplatzträchtigen Impuls", den Bildungsministerin Bulmahn fördern will. Wie ist er beschaffen, so ein Impuls, der den Arbeitsplatz trächtig macht, auf dass er ein Arbeitsplätzchen gebiert? Er ist natürlich ein StartUp mit einer E-Idee für das Internet; und wenn er richtig trächtig ist, kommen ganz viele Arbeitsplätze heraus und machen die Diskussion um die Green Card überflüssig. Natürlich werden die Impulse in der Internet-Branche ausbleiben, die händeringend 20-Jährige mit 15 Jahren Berufserfahrung sucht. Zur Erinnerung die aktuelle Lage in Absurdistan: Nach einer Meldung des HighText-Verlags gibt es in Deutschland 25.000 Dienstleistungsunternehmen in der New-Media-Industrie. Bei diesen sind laut Datenbank von HighText 205 Praktikumsplätze offen, denen 494 suchende Jugendliche gegenüberstehen. Ausbildungsplätze sind in der Datenbank erst gar nicht aufgeführt. In einer Hinsicht ist unsere Branche aber konsequent: Anstelle eines Praktikums empfiehlt die französische Firma Monte Cristo ihr Computerspiel Hightech Start-Up als pädagogisch wertvolle Ausbildungssoftware für Jugendliche. Wer virtuell im Kampf gegen den Branchengiganten KGBSoft Millionär geworden ist, wird es auch im realen Leben. Und wer das Spiel für Ausbildung hält, darf gleich eine Green-Card-Lotterie aufziehen. Ach, die gibt es schon?

*** Womit wir schon beim heißesten Thema von Politik und Branche der letzten Wochen wären: Ausländische IT-Spezialisten für die darbende EDV-Industrie! Man mag von den Zahlen der Branche über angeblich fehlende Arbeitsplätze halten, was man will: So langsam entgleitet die Diskussion. Jürgen Rüttgers, hoffnungsvoller CDU-Chef in Nordrhein-Westfalen, ist sich nicht zu schade, mit der Forderung, "Kinder statt Inder" sollten an die Computer, Wahlkampf zu bestreiten. Da scheint er mit dem notorischen Sprücheklopfer Edmund Stoiber, seines Zeichens Ministerpräsident von Bayern, auf einer Linie zu liegen: Wahrscheinlich meint dieser unser Stoiber solche Ausfälle, wenn er davon fabuliert, die Union müsse nun wieder den Kampfanzug statt des Büßerhemds anlegen. Vielleicht aber sollten die Herren, statt große Sprüche zu klopfen, die Millionen, die Ex-Kanzler Kohl bei alten und neuen Freunden eingesammelt hat, lieber zur Ausbildung von Jugendlichen und zur Umschulung von Arbeitslosen spenden. Das stünde ihnen gut zu Gesicht. Und es wäre eine "spontihafte Aktion" (wie der neue CDU-Fraktionschef Friedrich Merz Schröders Green-Card-Initiative nannte), die unser aller Beifall fände.

*** Nicht nur um der lieben Ausgewogenheit willen sei angemerkt, dass die rot-grüne Bundesregierung zwar im Unterschied zu Rüttgers und der ganzen CDU in letzter Zeit ganz gut in PR ist – wenns dann aber konkret wird, zieht sie schnell den Schwanz ein. Mit Aplomb ließ Bundeskanzler Schröder die Green-Card-Bombe platzen. Anschließend kreißte die Bundesregierung, und gebar ein Mäuschen. Eine zeitlich befristete Arbeitserlaubnis für einige wenige ausländische Arbeitskräfte: Das ist genau das, was wir gebraucht haben. Ich sehe schon die Massen von hochspezialisierten Programmierern aus Indien und versierten Systemadministratoren aus Osteuropa, die nach Deutschland eilen und das arme Land vor dem Rückfall ins Mittelalter retten – es ist ja auch fürchterlich attraktiv, für drei, vier Jahre in ein Land zu kommen, dort weitgehend isoliert zu arbeiten und ab und zu von ein paar dumpfen Skinheads verprügelt zu werden, um anschließend schnellstens wieder abgeschoben zu werden. "Dessen Sprache Du nicht verstehst" – der Titel eines Teils des leider weitgehend unbekannten Roman-Zyklus von Marianne Fritz trifft wohl mehr auf die Bundesregierung als auf die erwarteten ausländischen Spezialisten zu.

*** Da wir schon bei der großen Politik sind: Zu den Absteigern der Woche gehört US-Senator John McCain, der bei den Vorwahlen in Amerika vorerst nicht mehr gegen seinen republikanischen Rivalen Bush antritt. Als Gründe für seine Niederlage führte McCain die mangelhafte finanzielle Unterstützung an und verwies auf die Tatsache, das Bush das siebenfache an Finanzmitteln zur Verfügung hatte. Die von McCain abschließend veröffentlichte "besondere Enttäuschung" über die mangelnde Nützlichkeit des Internet verdient jedoch etwas Aufmerksamkeit. Seine Cyberchat-Geldkampagne ließ nur Personen zur Spende (von jeweils 100 Dollar) zu, wenn ihre Computer unter Windows 9x/NT/2000 liefen. Wer mit einem Windows-Rechner, aber mit Netscape auf das Netzpodium von McCain browste, wurde vor "known bugs" gewarnt und bekam mehrmals den Vorschlag auf den Schirm, doch bitteschön den Internet Explorer zu benutzen. Eine in einem Chat geäußerte Anfrage nach BeOS wurde von seinem Wahlkampfteam als PeeOS missverstanden und als Fäkalsprache zur Denunziation guter US-Firmen abgelehnt. Die nächste Variante dieser Form missratener Cyberpolitik werden wir vielleicht in Deutschland erleben können, wo die Regierung des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen nicht müde wird, die besonders guten Beziehungen zu Microsoft zu betonen.

*** Womit wir wiederum bei einem unser aller Lieblingsthemen wären: Microsoft. Ob Freund, ob Feind, nichts erregt so sehr, wie das Pro und Contra zum Software-Giganten aus Redmond. Aber selbst Giganten haben ihre Albträume, sind nicht gefeit vor gar erschröcklichen Erpressungen. Microsofts neue Spiele-Konsole wurde lange Zeit nahezu selbstverständlich mit einem Athlon-Prozessor von AMD beschrieben. Nun, bei der offiziellen Vorstellung, war davon nicht mehr die Rede: Natürlich soll ein Pentium III von Busenfreund Intel in der X-Box werkeln. Da mag es zuvörderst als unbeabsichtigte Koinzidenz erscheinen, dass Intel in den letzten Monaten vor allem mit Linux-Ankündigungen und -Gerüchten von sich Reden machte. Von Internet Appliances bis hin zu Endanwender-tauglichen Fertigsystemen, es gab nichts, was die Halbleiterlöter nicht mit Linux machen wollten. Microsoft ohne Intel-Hardware und Intel ohne Microsoft-Software? Das Ende der Wintel-Welt ist gekommen! Aber weit gefehlt: Plötzlich kündigt Intel Netzgeräte mit Embedded Windows an, und Microsoft macht gegenüber AMD einen Rückzieher. Und wieder haben unsere ach so beliebten Verschwörungstheoretiker versagt: Wie groß wird die Schraube wohl gewesen sein, an der Intel gedreht hat, um eigene Hardware in die X-Box zu bekommen? Schließlich erwartet man von den Spiele-Konsolen ein ständig wachsendes Milliarden-Geschäft – das möchte man sich doch nicht entgehen lassen, auch wenn man nur Zulieferer ist.

*** Auf der anderen Seite ist die X-Box ein wunderbares Beispiel dafür, was man in den seligen Zeiten der Großrechner FUD nannte: Fear, Uncertainity and Doubt. Was soll man davon halten, wenn ein Hersteller mit großem Trara die "Umwälzung der Zukunft" verkündet, und das mit einem Gerät, dass erst in anderhalb Jahren lieferbar ist? Offensichtlich sieht Microsoft seine Felle davon schwimmen – der Konzern berfürchtet wohl, Spiele-Konsolen mit Internet-Zugang machten endgültig den PC überflüssig, von dem die Firma immer noch lebt. Da will man doch schnell noch einen Fuß in die Tür bekommen; neue Benutzergruppen, die bislang einen weiten Bogen um die grauen Rechnerkisten machten, sich aber sehr wohl mit einem Spielchen über die an den Fernseher angeschlossene Konsole und etwas Internet-Surfen anfreunden können, versprechen ein gutes Geschäft. Vor allem, wenn man gleich noch die Kontrolle über die Distributionswege behält, wie es im Konzept der X-Box offensichtlich angelegt ist. IBM wurde übrigens bei Strafe der Zerschlagung vor einigen Jahren gezwungen, verfrühte Ankündigungen gar nicht lieferbarer Produkte, die nur der Konkurrenz das Wasser abgraben sollten, zu unterlassen...

*** Zurück aber zu den Niederungen der Branche, die wir alle so lieben und von der wir leben. Nicht müde wird die PR-Agentur, die fortlaufend tolle Nachrichten über eCircle, Datango und andere aufstrampelnde deutsche Firmen verbreitet. Nun hat sie sich an Lolo Ferrari gemacht und behauptet, das sich "auf Deutschlands größter Internet-Kommunikationsplattform eCircle.de" die Trauernden treffen und dort die "Fangemeinde des Oberweitenwunders (130 Zentimeter!) zudem eigene Theorien zur wahren Todesursache verbreiten und austauschen." Der gierig-geile Ton eines Boulevardblattes, mit dem eine Hightech-Meldung von einer "Miss Airbag" schwafelt, ist eine weitere Zumutung. Dass eine PR-Agentur für Internet-Unternehmen selbst noch das Niveau mittäglicher Talk-Shows von der Qualität einer Bärbel Schäfer oder des amerikanischen Jerry Springer unterschreiten kann, hätte ich mir eigentlich nicht träumen lassen. Aber vielleicht müssen wir damit leben, dass die Kommerzialisierung des Internet auch solche Auswüchse hervorbringt: Werbung mit dem Tod einer Frau, die sich auf Grund sexistischer Anmaßungen zu so genannten Schönheitsoperationen veranlasst sieht, deren Ergebnis verhindert, dass sie den Weg von der Wohnzimmercouch zur Toilette zu Fuß bewältigen kann. Immerhin wissen wir aber dank eCircle: Die Fangemeinde von Lolo Ferrari ist 12 Mitglieder stark und hat nur dumme Sprüche auf Lager.

Was wird

In der nächsten Woche feiert eine alte Bekannte Geburtstag. Wir alle stehen herum, gratulieren mit dem Sektglas in der Hand – und fragen uns, ob wir nicht auf einer Beerdigung sind. Die Floppydisk wird 48 Jahre alt. Als sie am 15. März 1952 von Yoshiro Nakamatsu erfunden wurde, war sie revolutionär. Als sie 1971 von Al Shugart bei IBM standardisiert wurde, war sie nur noch praktisch. Die 8-Zoll-Floppy wurde bei IBM für Wartungstechniker konzipiert, die den Microcode der IBM 3330 verändern mussten. "Eine Floppy sollte immer ausreichen, ein startklares Betriebssystem und die wichtigsten Arbeitsmittel eines Anwenders zu speichern", erklärte IBM 1987 bei der Vorstellung von DOS 3.3 auf 3,5-Zoll-Disketten. Da war die Floppy nur noch lästig. Ein Jahr später schickte mir IBM sein OS/2 ins Haus, auf 8 Disketten. QNX und einige altersschwache Viren einmal ausgenommen: Was will heute noch von einer Floppy gestartet werden? (Hal Faber) (jk)