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Was war. Was wird. Von den Fußstapfen ausgestorbener Wesen.

Man kann in diesen Zeiten wohl schon froh sein, wenn die "Königin des tötenden Blickes" auch klare Worte spricht, meint Hal Faber. Ob's hilft? Tja ...

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(Bild: Shutterstock)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Elf Tage Krieg liegen hinter uns und ein Frieden ist nicht in Sicht. Militärstrategen haben durchgerechnet, dass Russland diesen Krieg nur noch wenige Tage durchhalten kann, doch das macht die Sache nicht besser. Die Gewöhnung an den ungewöhnlichen, unhaltbaren, unmenschlichen Zustand setzt ein, mit der konkurrenzlosen Dummheit in den Feuilletons, von Putins Krieg aus der Perspektive der Mailänder Modenschau zu berichten und von einem "Bombengespann" zu schreiben, gebildet von Krieg, Angst und dem Netz.

Zu den Bomben, die Putin bei der Vernichtung von Kiew einsetzen wird, gehören die thermobarischen Geschosse, die dazu führen, dass allen Lebewesen im Umkreis der Bombe die Lungen zerplatzen, wenn sie explodiert. Sie sind eine russische Spezialität, anders als die Atombomben, die auch noch eingesetzt werden können. Eine nüchterne Beschreibung, was sie bewirken, hat die Redaktion der MIT Press auf Basis des Buches von Richard Wolfson und Ferenc Dalnoki-Veress zusammengestellt. Nur soviel: Man sollte mindestens 48 Stunden in einem geschützten Keller verbringen, bis die schlimmsten physikalischen Effekte abgeklungen sind und die Menschheit auf den nuklearen Winter warten kann. 150 Millionen Tonnen Staub und Asche in der Luft genügen, um den Klimawandel zu stoppen und die Temperatur um 8 Grad abzusenken. Das wäre es dann gewesen. Spätere Lebensformen können dann aus unseren Fußstapfen berechnen, wie wir uns bewegt haben. Das nur als Vorrede zum Appell des Friedensnobelpreisträgers Dimitri Muratow und der ICAN-Direktorin Beatrice Fihn. Die Abrüstung erscheint in Hinblick auf die kommende Neuordnung der Welt dringender denn je. Sonst wird der vierte Weltkrieg mit Steinen und Speeren ausgefochten, wie es ein namenloser Offizier auf dem Bikini-Atoll formulierte.

*** Zu den Überraschungen nach elf Tagen Krieg zählt ein Text, in der ein Medienmacher eines großen Verlages den dritten Weltkrieg herbeischreibt. Ist das wirklich eine "gutgemeinte Verantwortungslosigkeit" mit "hanebüchenen Kausalketten" oder hat da jemand wirklich nicht alle Tassen im Schrank? Oder ist da jemand wie Friedrich Merz, der erst redet und dann denkt? Natürlich muss es die Freiheit geben, auch solche Meinungen zu haben, doch ist das Zündeln mit Weltkriegsgedankenspielen eigentlich nicht Sache eines Medienmachers oder Politikers. Gezündelt wird bekanntlich immer anderswo, etwa bei Russia Today und SNA, vor deren Rauswurf Reporter ohne Grenzen warnte, bevor Russland seine drastische Pressezensur durchsetzte und ausländische Journalisten das großartige Land verlassen, in dem Tolstei sein Opus "Spezialoperation und Frieden" verfasste. Ob ein Universitätsseminar über sein Werk genauso verschoben wird, wie dies mit einem Seminar über Dostojewski in Italien geschehen ist? Eine komische Cancel Culture haben wir da.

*** Im Krieg ist das erste Opfer bekanntlich die Wahrheit. Wenn es sie nicht mehr gibt, gibt es immer noch die Zufälle, die für manche Erkenntnis gut sind. Dazu gehörte dieser Tage die zufällige Übereinstimmung von Otte und Wagenknecht auf Twitter, der eine Kandidat der AfD für das Amt des Bundespräsidenten, die andere Kandidatin für den Posten der besten Putinversteherin. Das ganze jetzt ohne direkten Link, denn diese Wochenschau möchte wahrlich nicht radikalen Demokratiezertrümmern einen Gefallen tun, auch nicht, wie leider schon mal geschehen, aus Versehen. Geschrieben im Abstand von vier Minuten, mit leichten Unterschieden, ist die zufällige Gemeinsamkeit wie ein Tritt mit dem Pferdefuß, an dem üblicherweise ein Hufeisen genagelt wird. Zufall ist wohl auch, was wir nicht hören oder sehen, wenn ein offener Brief an den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder geschrieben und verschickt wird, der ohne Antwort bleiben dürfte. Für das "Gespenst aus Hannover" antworten ja andere, etwa seine Ehefrau, die den Presserat anrufen will. Dafür glänzten wiederum andere dieser Tage nicht ganz unzufällig, etwa unsere Außenministerin Annalena Berbock, die nunmehr die Königin des tötenden Blickes genannt wird, neben der ein Putinhandreicher wie Michael Kretschmer unsicher wirkte.

*** Von ihm gibt es wunderschöne Bilder aus dem Land des Lächelns, auch als Ostwestfalen bekannt. Es ist das Land, an dem die Weltgeschichte vorbei wabbert, ein falscher Doktor mit einem Backpulver berühmt wurde und in dem das größte Computermuseum der Welt die Farben der Ukraine trägt. Nun ist der Fotograf Martin Langer gestorben, der mit dem Bild des hässlichen Deutschen berühmt wurde. Seine letzten Bilder dokumentierten das Pimmelgate, eine Art Kunstaktion des Hamburger Innensenators Andy Grote und anonymen autonomen Künstlern aus dem Umfeld der "Roten Flora". Was sich wie ein Vorfall aus längst vergangenen Zeiten anfühlt, angesichts der wieder einmal aufgeworfenen Frage, was Kunst in Zeiten des Krieges alles darf oder gefälligst lassen soll.

Was wird das neue Normal sein? Obwohl die Zahlen immer noch schlecht sind, scheint die Corona-Pandemie bereits der Vergangenheit anzugehören. Schließlich gibt es jetzt auch den Totimpfstoff Novavax, von der alle Impfgegner redeten, als sie noch Impfgegner waren. Der erwartete Ansturm in den Praxen ist in dieser Woche ausgeblieben, was auch daran liegen mag, dass sich Mitarbeiter in den Arztpraxen verstärkt mit Omikron infizieren. So stellt sich heraus, dass die Impfgegner nur noch Querdeppen sind, die unbeirrt weiter machen. Ganz ähnlich unbeirrt präsentieren sich die Macher des South by Southwest-Festivals, das nach drei virtuellen Jahren wieder vor Ort stattfinden soll. Viele neue "development opportunities" für StartUps und Investoren werden von den Veranstaltern propagiert, auch wenn die Lage nüchtern betrachtet nicht rosig ist. Aging und Homecare sollen die neuen Supertrends sein. Wer möchte sich da noch an die Corona-Zeiten erinnern, als genau diese Kategorien nicht nur in den USA zeigten, wo die Probleme liegen? Niemand.

Wir geben einer müden Masse
zum Ansehn, was sie niemals hat.
»In Schiffskabinen erster Klasse
gibt es jetzt Radio, Turnsaal, Bad ... !«
Vergessen sind die Invaliden –
jetzt haben wir Frieden.

Verrauscht ist Lärm und Trommelfeuer,
verweht das Leid der Inflation.
Wir hassen jedes Abenteuer –
wir wollen nicht mehr. Wir haben schon.
Wir pfeifen auf dem ersten Loche.
Nun liegt schon alles weit entfernt ...
Wir spielen Metternich-Epoche
und haben nichts dazugelernt.

(Theobald Tiger, Holder Friede, 1929)

(jk)