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Was war. Was wird. Von guten Europäern und europäischen Demokraten und nicht-europäischen Denkern

"Durch Ungehorsam entstand der Fortschritt." Vielleicht sollte man auch mal ungehorsam gegen eigene liebgewordene Gewohnheiten sein. My home is my anarchy, oder so, trompetet Hal Faber den flüchtenden Vordenkern hinterher.

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Was war. Was wird. Von guten Europäern und europäischen Demokraten und nicht-europäischen Denkern
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es ist nicht leicht in diesen Tagen, ein guter Europäer zu sein. Nein, das liegt nicht am Gewürge dieser unansehnlichen Europagesellenschaft im Fußball mit Spielen wie dem zwischen Portugal und Polen. Es liegt an Europas Spitzenpolitikern wie einem Jean-Claude Juncker, der in seiner Amtszeit als Luxemburger Premierminister panamademische Steuermodelle entwickeln ließ, die die lieben Nachbarn schädigten. Es liegt an einem Spitzenpolitiker wie dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der befindet, dass CETA nicht Sache dieser lästigen Nationalparlamente sein soll, die sich Europa immer noch leistet. Es liegt aber auch an einem Europa, in dem die europoäischen Bürger nicht begreifen, was sie an ihrem von ihnen selbst gewählten Europaparlament haben. Und es liegt an einem Europa, in dem das Europäische Parlament, das Juncker ebenfalls übergehen will, einen Antoine Deltours im Jahre 2015 mit dem Europäischen Bürgerpreis ehrte. Nun ist Antoine Deltour im Namen des luxemburgischen Volkes zu 12 Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Es ist ein verheerendes Signal und zeigt, wie eine mächtige Lobby von Regierungen und Großkonzernen versucht, Whistleblower zu isolieren und zu kriminalisieren. Dieses Europa der steuerflüchtigen Großkonzerne und der schutzlosen Whistleblower kann man nicht lieben, frei nach Gustav Heinemann.

*** Aber es liegt auch an den Denkern in Europa, dass sie nicht etwa Vordenker einer europäische Union sind, die diesen Namen verdient, sondern sich still und heimlich davonschleichen und mit der ganzen Sache nichts zu tun haben wollen. Da sind unsere öffentlichen Intellektuellen nicht besser als ein egozentrischer Populist, dem jede Lüge Recht ist, wenn's der eigenen Karriere dient. Und der sich überrascht zeigt, wenn ein brutushafter Dolch ihn unvermutet tritt.

*** Ja, womit wir bei Boris Johnson wären. Als er noch Londoner Bürgermeister war, fand Johnson Europa richtig Klasse. Er konnte nach Deutschland fliegen und drei gebrauchte Wasserwerfer vom Typ WaWe 9000 für den Schnäppchenpreis von 160.000 Euro kaufen. Sie wurden bei uns ausgemustert, weil mit dem WaWe 10000 ein wahres Wunderwerk deutsch-österreichischer Ingenieurskunst zum Einsatz kommt. Dass jemand Wasserwerfer für seine Stadt in einem Land kauft, in dem der Einsatz von Wasserwerfern verboten ist, störte Boris Johnson nicht. Er wollte der Innenministerin Theresa May ein Schnäppchen schlagen. Das ist die in der letzten Wochenschau erwähnte Frau, die jetzt Premierministerin werden könnte, nachdem Johnson schmählich abgetreten ist. Wer Kalif werden will anstelle des Kalifen, braucht halt einen Plan und den hatte He's no Good nicht, nur ein paar hübsch geschriebene Zeitungsartikel. So wird das nichts, so dreht am Ende Rupert Murdoch mit seinen Blättchen weiter die Rädchen einer Geschichte, bei der der Sieger Rupert Murdoch heißt. "Denn Brutus ist ein ehrenwerter Mann, Das sind sie alle, alle ehrenwert."

*** In Österreich gibt es einen behördlichen Glykolskandal, weil bei der Auszählung der Briefwahlstimmen anlässlich der Wahl des Bundespräsidenten gepfuscht wurde. Da wurden Briefwahlstimmen bereits in der Wahlnacht ausgezählt, oder wurden die Briefe zumindest aufgeschlitzt, was beides verboten ist. Da wurde klock neun am nächsten Tag nicht auf die Wahlbeobachter gewartet, weil man nicht der Letzte sein wollte. So gab es Rechtsbrüche, aber nicht die von der FPÖ vermuteten Manipulationen. Die Wahl in der Weinrepublik wird wiederholt, denn das "Fundament der Demokratie" muss tragfähig sein. Ein Wahlkampf zum Kotzen steht an, bei dem der falsche Vorwurf der Wahlfälschung sicher wieder ausgegraben wird. Mit dabei eines der erfolgreichsten IT-Projekte des Landes, die Beantragung der Wahlkarte mit der Handy-Signatur, das zum Start von eIDAS gelobt wurde. Ja, da rutscht Europa irgendwie elektronisch zusammen und Österreich ist Vorbild.

*** Seit letzter Woche wissen wir, dass mit ZITIS eine neue Behörde mit 400 Mitarbeitern aufgebaut wird, die sich um verschlüsselte Kommunikation kümmern soll. Dies wurde in dieser Woche vom ehemaligen Bundesdatenschützer Peter Schaar kritisiert. Leider nicht online verfügbar ist der Text von Martin Schallbruch, der in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Plädoyer dafür hält, eine Behörde mit wenigen, aber dafür höchst qualifizierten IT-Experten aufzubauen, statt viele Experten über viele Behörden zu verstreuen. Immerhin ist der Mann einsichtig, der vor kurzem im NSA-Untersuchungsausschuss bekannte, dass jede verschlüsselte Mail ein Zugewinn an Sicherheit darstellt. "Abgeschwächte Verschlüsselung hilft nicht nur der Polizei, sie macht es Terroristen leicht, in industrielle Steuerungsanlagen einzudringen. Hintertüren werden nicht nur für rechtsstaatlich abgesicherte Ermittlungen genutzt, sondern auch von ausländischen Nachrichtendiensten. 'Pflichtschnittstellen' zum Ausleiten unverschlüsselter Nachrichten werden wahrscheinlich von Hackern angesteuert, bevor die Sicherheitsbehörden überhaupt so weit sind, sie umfassend zu nutzen." Schallbruch leitete einst die IT-Abteilung des Bundesinnenminsteriums, heute ist er stellvertretender Direktor am Digital Society Institut, das vom "Cyberwar"-Experten Sandro Gaycken geleitet wird.

*** Im Kreis der Verschlüsselungsangebote ist die Volksverschlüsselung angekommen und kann unter Windows benutzt werden. Es gibt Bedenken wegen der nicht ganz so offenen Lizenzen und der Einschränkung der Nutzung des Volksschlüssels im privaten Umfeld – für das geschäftliche gibt es bekanntermaßen die De-Mail mitsamt dem Verschlüsselungsangebot von Mailvelope. Noch nicht zu sehen ist, ob diese Volksverschlüsselung auf das deutsche Volk beschränkt ist, denn hurra, hurra, wir haben eine BND-Reform bekommen, die "den Datenverkehr von Ausländern im Ausland" zur Überwachung freigibt, so nach dem Motto "Jeder Mensch ist irgendwo Ausländer". Wie war das noch mit diesem Europa? Das Europa der Abhörer? Das ist künftig legal und feinsäuberlich geregelt, im Windschatten einer, haha, Europameisterschaft. "Dies sollte eigentlich verboten werden. Doch nun wird die Überwachung von EU-Einrichtungen, EU-Staaten und EU-Bürgern im Ausland möglich bleiben – unter anderem bei Vorgängen von 'besonderer Relevanz für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland'. Für den Schutz der EU-Partner soll in Karlsruhe ein neues Kontrollgremium eingerichtet werden, das aus zwei Bundesrichtern und einem Bundesanwalt besteht."

*** In dieser Woche wurde bekannt und in den Heise-Foren heiß diskutiert, dass ein Mensch sich im Zusammenspiel mit seinem liebevoll "Tessy" genannten Vehikel sich erfolgreich um die Aufnahme beim Darwin Award bemüht hat. Mit wochenlanger Verspätung dürfte diese Nachricht zu tiefschürfenden Diskussionen um Erkennungs-Algorithmen, Computerfehlern und dem Wesen des Menschen liefern. Sogar den Seitenhieb auf US-amerikanische Sonnenstaaten wie Florida werden wir lesen dürfen. Was fehlen wird, sind Details zum abbiegenden Sattelzug mit Aufliegern, die in den USA keinen Unterfahrschutz haben, keine Beschränkung der Gesamtlänge kennen und es viele Interstate-Abbiegungen ohne Ampelschaltung wie jene in Williston gibt, die im Navi-Systemen wie PC Miler oder Rand McNally nicht in der Überfahrtslänge ausgewiesen sind. Was bleibt, ist die Debatte über einen gehörten Harry Potter-Film, nachdem "System 7" ausgegeben wurde. Die nächste Debatte kommt, wenn Nikola auf Tesla trifft.

Was wird.

Bleiben wir vor Ort. In den USA wird heute der Disobedience Day gefeiert, vielleicht am Besten mit "Tag des zivilen Ungehorsams" zu übersetzen. "Durch Ungehorsam entstand der Fortschritt", das wusste schon Oscar Wilder. Dabei geht es am Disobedience Day nicht darum, anarchistisch über die Stränge zu schlagen, sondern auch gegen eigene Gewohnheiten zu rebellieren: Wer sonst Tesla fährt, sollte an diesem Tag Fahrrad fahren. Dieser Tag, der an Thoreau erinnert, hat keine Tradition in Deutschland, wo ziviler Ungehorsam als öffentlicher Akt definiert wird, der "angekündigt ist und von der Polizei in seinem Ablauf kalkuliert werden kann", wie dies die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt. In den USA wird der Tag genutzt, um über den Dissent Channel bei den US-Behörden zu diskutieren, der Kritikern von Missständen einen Kommunikationskanal geben soll. Alles Banane bei uns? Aber nicht doch. In der Reaktion auf die Luxleaks von Antoine Deltour, mit der diese Wochenschau begann, gibt es Erfreuliches für die Zukunft zu melden. Zum 1. Juli hat unsere Bundesanstalt für die Finanzdiensleistungsaufsicht (BaFin) eine Hinweisgeberstelle gestartet, für Whistleblower, "die über ein besonderes Wissen zu Unternehmensinterna verfügen". Ein kleiner Schritt, aber einer, im Tiki-Taka-Deutschland. (jk)