Was war. Was wird. Von tröstenden Künsten und künstlerischen Aneignungen.

Machtausübung findet seltsame Wege, grummelt Hal Faber, wenn sie sich Identitätspolitik nennt. Die reale Schreckensmacht zeigt derweil ihr hässliches Gesicht.

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Kunst kann trösten. Oft erschreckt sie auch. Und zeigt das hässliche Gesicht hinter der Propaganda. (Iwan der Schreckliche und sein Sohn am 16. November 1581, Ilja Repin, 1883–1885)

(Bild: Tretjakow-Galerie, Moskau, Gemeinfrei)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Kunst kann in traurigen Zeiten trösten. Zur Pandemie waren das die Konzerte von Igor Levit, vor Putins Krieg war das der Gesang von Anna Netrebko oder Ronja Maltzahn. Von beiden Frauen heißt es Abschied nehmen. Netrebko sprach sich gegen den Krieg aus, bekannte sich aber für Putin. Maltzahn schnitt sich nicht ihre Dreadlocks ab, wie das von Fridays for Future vor einem Konzert verlangt wurde. Die jungen Zukunftskämpfer sahen in der Haarpracht keinen in unserer Kultur bekannten Weichselzopf, sondern eine kulturelle Aneignung einer Weißen und damit verbunden eine Spielart des Rassismus: Man kämpft für das Klima und die Einhaltung der Klimaziele, mag aber das ganz besondere Klima der Cancel Culture. Diese Kunst muss weg! "Wer sich ermächtigen kann, Zensur auszuüben, der hat die Macht. Und genau darum geht es auch der heutigen Cancel-Culture. Auch sie zensuriert Kunst. Dabei gibt sie allerdings vor, nicht aus der Position der Macht, sondern der Ohnmacht zu handeln. Ihr Modus Operandi ist der Opferstatus." Die Spannbreite der neuen Cancel Culture reicht von Gomringers "Avenidas" bis zur konkreten Poesie des Heise-Forums. Wer will, kann auch das Gemälde "L'Origine du monde" von Gustave Courbet dazu zählen, das dieser für den osmanischen Botschafter Khalil Bey malte. Der Botschafter war damals in Sankt Petersburg tätig und betrieb die kulturelle Aneignung westlicher Kunst im großen Stil. Von Ilja Repin und seinem Bildnis des schrecklichen Iwans hielt er nicht viel.

*** Nun herrscht wieder ein schrecklicher Iwan in Russland. Nach dem Scheitern seiner "Spezialoperation" lässt er ganze Städte in der Ukraine in Schutt und Asche legen und versucht, die fliehende Bevölkerung wie in Mariupol in russische Lager zu bringen, als Geisel für zukünftige Verhandlungen. Auch hier hat Kunst für einen großartigen Moment gesorgt, allerdings für einen besonders trostlosen. Im "Autokraten-Porno" der Putin-Interviews von Oliver Stone gibt es eine Passage, in der Stone und Putin gemeinsam die bitterböse Satire "Dr. Seltsam, oder: Wie ich lernte die Bombe zu lieben" von Stanley Kubrick anschauen. Stone filmt dabei Putin mit seinen Reaktionen, besser mit seiner Nicht-Reaktion. Putin amüsiert sich nicht über die paranoiden Typen da auf der Leinwand, er interessiert sich nicht, wie einst US-Präsident Ronald Reagan für den ebenso paranoiden War Room im Weißen Haus. Am Ende des Films, als die Atombomben über Moskau und New York explodieren, ist Putin sichtlich verärgert und droht dem Amerikaner mit dem Zeigefinger: "Die Sache ist die, dass sich seitdem wenig verändert hat. Die modernen Waffensysteme sind nur noch ausgefeilter und komplexer geworden. Auch das Konzept solcher Vergeltungswaffen und die Unmöglichkeit, solche Waffen wirklich unter Kontrolle zu haben, gibt es bis heute. Es ist nur noch schwieriger und gefährlicher geworden." Lernen wir nun, die Bombe wieder zu lieben im Sinne von make love, not war. Oder ist dieser Slogan der 60er-Jahre auch nur eine kulturelle Aneignung?

*** Wie heißt es noch in einem dieser Tage veröffentlichten Appell, der sich selbstbewusst #DerAppell nennt? "Eine massive Hochrüstung der Bundeswehr hilft den Menschen in der Ukraine nicht. Die neu anzuschaffenden Waffen werden die Ukrainer:innen in ihrem Kampf und Recht auf Selbstverteidigung nicht unterstützen. Schon jetzt übersteigen die 'Verteidigungsausgaben' aller 30 NATO-Staaten die russischen um fast das Zwanzigfache. Die Anschaffung von konventionellen Waffen wie Kampfflugzeugen und bewaffnungsfähigen Drohnen als Abschreckung unter atomaren Militärblöcken ist sinnlos." Wie sinnlos die konventionellen Waffen sind, kann man gerade in der Ukraine sehen, wo Panzerfäuste sinnlos reihenweise russische Panzer zerstören. Ja, da scheint viel Liebe im Appell drinzustecken, wenn man Verteidigungsausgaben in Krähenfüßchen setzt und die böse NATO mit den russischen Ausgaben vergleicht. Auch bei Putin werden die Ausgaben bekanntlich als "Verteidigungsausgaben" geführt, die zur Verteidigung von Mariupol führten. Wobei die Kosten für Söldnertruppen wie die von Wagner und die der syrischen und tschetschenischen Kämpfer gar nicht im Verteidigungsbudget von Russland aufgeführt sind, sondern unter so unverdächtigen Posten wie Entwicklungshilfe laufen.

*** Aktuell reist US-Präsident Biden durch Europa, begleitet von einem Dutzend einflussreicher Berater. In einer Rede hat er den russischen Präsidenten Putin einen "Schlächter" genannt, was eine gezielte Provokation sein dürfte, die mit Beratern besprochen wurde. Als der II. Weltkrieg endete und der Kalte Krieg begann, hatte US-Präsident Truman ebenfalls ein Team von einflussreichen Beratern um sich geschart: Ernst Fraenkel, Otto Kirchheimer, Kar Loevenstein, Leo Löwenthal, Hans Morgenthau und Hans Speier schufen die Grundlagen der neuen US-Außenpolitik, allesamt Emigranten aus dem alten Europa, die sich als "Defense Intellectuals" verstanden. Aus heutiger Sicht ist das Wirken des Soziologen Hans Speier ganz interessant. Er leitete die einflussreiche Abteilung für "Social Science" bei der neuen RAND Corporation, einem Think Tank der US-Regierung. Speier verwarf die sogenannte "Strategy of trust" in der Außenpolitik der USA. Die Idee war, einfach nur die "Wahrheit" über das Leben in den USA zu erzählen und auf diese Weise Gegner der USA umzustimmen. Speier glaubte, dass einfache Leute nicht in der Lage sind, sich mit der "Wahrheit" zu befassen und Dinge wie die Demokratie zu würdigen. Er entwarf eine Strategie, die sich gegen Trumans "Campaign of trust" richtete und an die jeweiligen militärischen und politischen Eliten in den entstandenen Ostblock-Staaten gerichtet war. 1951 erschienen seine Empfehlungen unter dem Titel "Psychological Warfare Reconsidered" und führten zu dem Project Troy, benannt nach dem trojanischen Pferd. Einundzwanzig Wissenschaftler, unter ihnen Stadtplaner, Geografen, Psychologen und Anthropologen, entwarfen Szenarien, wie man unter den sowjetischen Eliten eine "Kultur des Misstrauens" säen könnte, die zum Zusammenbruch des Sowjetreiches und seiner Satrapen führt. Sie übersahen, dass ein solches Misstrauen längst durch den Stalinismus etabliert war. Die "Overload and delay" genannte Strategie funktionierte nicht im gewünschten Sinne. Ob Gleiches für die neue RAND-Strategie von Overextending and unbalancing gilt, wird sich zeigen. Die Anfänge sind mit den Sanktionen schon einmal gemacht, der Rest ist eine Frage des rollenden Rubels und der Bitcoins.

*** Schlecht ist es heute um die Glaubwürdigkeit der Medien bestellt, die Wahrheit und nichts als sie Wahrheit zu erzählen. Glaubt man den Forschern, hat die Glaubwürdigkeit des Journalismus durch die Corona-Berichterstattung abgenommen. Panik-Berichte wie Verharmlosungen des Geschehens trugen gleichermaßen dazu bei. Auch die Vermittlung der politischen wie administrativen Maßnahmen gehörten dazu. Das ist die eine Seite der Medaille. Im Journalismus gibt es noch eine andere Seite, bestens zu sehen am Delivery Day bei Tesla: Wer wie das ZDF oder rbb kritische Sendungen und Berichte über die Firma veröffentlicht hatte, wurde nicht zur Gala mit Elon Musk eingeladen und musste das Interview mit Wirtschaftsminister Habeck außerhalb des Firmengeländes drehen. Auch die generell sehr SUV-Kritische tageszeitung durfte aus Platzgründen nicht aufs Gelände.

Mit den schönen Künsten begann diese kleine Wochenschau, mit einer schönen Kunst soll sie enden. Denn heute werden in den USA die Oscars verliehen, unter anderem an die Leute vom Wüstenplaneten wegen der schönen Kostüme. Die Liste der Nominierten ist lang. Angeblich soll sogar der ukrainische Präsident Selenski zur Preisverleihung zugeschaltet werden, ein durchaus erfahrener Showman. Auf einer anderen Gala machte er als Mitglied der Jugendgruppe 85 einen Witz über Putin, dem damals noch kein Giftanschlag folgte. So ändern sich die Zeiten und wir mit ihnen.

(jk)