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Was war. Was wird. Vor der dritten Welle.

Gerechtigkeit? Was Gerechtigkeit ist, darauf gab es vor 50 Jahren eine Antwort; dass Rassismus zu einer gerechten Gesellschaft gehört, bezweifelt Hal Faber.

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(Bild: Brett Allen / Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** 31 kleine Erpresserlein sollten abgehört werden, bei vielen fiel die Software aus, da waren's nur noch drei, tralala. Die sogenannte Quellen-TKÜ scheint ein ziemlicher Reinfall zu sein: Nach den neuesten Zahlen des Bundesamtes für Justiz ordneten die Justizbehörden in 31 Fällen an, die verschlüsselte Kommunikation von Verdächtigen vor der Verschlüsselung und nach der Entschlüsselung mitzuschneiden. Diese Quellen-TKÜ klappte nur in drei Fällen, je einmal in Brandenburg, in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen.

In 28 Fällen klappte offenbar das Aufspielen der Spähsoftware nicht oder sie konnte eben nicht die laufende Kommunikation entschlüsseln oder das unverschlüsselte Gespräch, einen Chat oder eine Mail mitschneiden. Wesentlich besser sah es bei der technisch viel einfacheren Online-Durchsuchung aus, bei der ein Trojaner installiert wird, der dann die gesamten Daten eines Smartphones oder eines Computers ausliest und für die Ermittler irgendwo speichert. Diese Online-Durchsuchung wurde 33 Mal angeordnet und war offenbar in 12 Fällen erfolgreich, wobei Bayern mit sechs Durchsuchungen einsame Spitze war. Verglichen mit den ursprünglichen Zahlen von 578 Anordnungen bei der Quellen-TKÜ und 368 durchgeführten Aktionen ist das ein enormer Rückgang der Fallzahlen. Ob das wirklich reicht, die Debatte zu entspannen, darf bezweifelt werden. Viel eher wirft es die Frage auf, warum für die Überwachungsstatistik zunächst so grotesk überzogene Angaben von den Ermittlern gemeldet wurden.

*** Nun ist das ganze mehr als ein Scheinriesenproblem. Denn hinter all dem steht ja die Frage, was der Staat alles machen darf, wenn er auf Verschlüsselungen stößt, die als Ende-zu-Ende-Verschlüsselung angelegt sind. Wenn er also nicht bei der "kurzzeitigen Entschlüsselung" reinschauen kann, die bei der bereits in die Verwesung übergegangenen De-Mail stattfindet. Wenn er nicht die sonst unverschlüsselten Daten einer Festplatte mal eben absaugt und nur um den Kernbereich der privaten Lebensführung einen Bogen macht. Dazu ist in dieser Woche ein längerer Aufsatz in der GSZ unter dem Titel "Der Einsatz von Verschlüsselungstechniken zwischen Grundrechtsschutz und staatlicher Sicherheitsgewährleistung" erschienen. Sein Verfasser ist Co-Direktor des Center for Intelligence and Securitx Studies bei der Universität der Bundeswehr. Er kommt zum Schluss, dass Verschlüsselung eigentlich grundgesetzlich geschützt ist. Da Sicherheitsbehörden diese Verschlüsselung dennoch knacken müssen, fordert er neue Rechtsgrundlagen. Analog zu der National Vulnerability Database (NVD) des US-amerikanischen NIST fordert er ein "geordnetes und kontrollierbares Schwachstellenmanagement", mit einer Datenbank, in der für die Behörden alle Schwachstellen gelistet sind, die sie benutzen dürfen. Auf diese Weise soll die Gefahr gebannt werden, dass Behörden selbst auf dem Schwarzmarkt irgendwelche 0-Days einkaufen und womöglich den Handel mit Schwachstellen noch anfachen. So einfach ist das: Mit einem ordentlichen deutschen Melderegister – bis man auf die Untersuchung stößt, dass 75 Prozent aller Schwachstellen mindestens 7 Tage im Darknet gehandelt wurden, bevor sie in der NVD auftauchten.

*** Heute ist bekanntlich der Internationale Tag der Muttersprache, ein guter Anlass, sich über das gute Deutsch zu freuen. Nehmen wir nur das wunderbare Wort der Schwachstelle, weit entfernt von den 0-Days und Vulnerabilities. Die Schwachstelle ist vom Duden definiert als "Stelle, an der etwas für Störungen anfällig ist, an der bei etwas leicht Fehler entstehen". Als Beispiel nennt der Duden seit 1980 die Spionageabwehr, als Synonyme bietet der Online-Duden für Schwachstelle die Worte Schwäche, Impotenz, Leistungsabfall und Leistungsknick an. Ja, ist das schon gegendert oder muss das noch? Besonders besorgt betrachtet man die Entwicklung offenbar aus Österreich, wo das Gendern im Online-Duden gleich als Rütteln an grammatischen Grundpfeilern beschrieben wird, mit Bezug auf deutsche Zeitungen. "Linguisten sprechen dem Blatt gegenüber deshalb von einem 'skandalösen' Schritt, 'aktuellem Gender-Unsinn' und unken, der Duden versuche, 'das generische Maskulinum zu dezimieren'". Sososo, was sagen denn die Linguistinnen dazu? Der Rest der Debatte ist ziemlich überflüssig. Natürlich gehören Menschin, Gästin, Bösewichtin und selbst das gottschalckische "Salzstreuerin" zum Korpus der deutschen Sprache, nur gesprochen werden sie nicht. Apropos gesprochen: Die Duden SprecherX findet, dass mehr Gendern für Hate Speech sorgt. Während wir wie in der letzten Wochenschau geschrieben auf die Arbeit des Vermittlungsausschusses warten, steht eine Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet quasi betriebsbereit in Wiesbaden herum.

*** Das nennt man Timing: Heute vor 100 Jahren wurde John Rawls geboren, vor 50 Jahren erschien seine Theorie der Gerechtigkeit mit ihren Varianten des staatsbürgerlichen Ungehorsams und der Generationengerechtigkeit. Selbst eine Theorie gerechter Kriege wurde von Rawls verfochten, der einer der ersten US-Soldaten war, die nach dem Atombombenabwurf Hiroshima besuchten. Basierend auf Rawls wurden eine ganze Reihe von gerechten Grundlagen einer kommenden Informationsgesellschaft formuliert. Wer es nicht so akademisch haben will, sei an die vor über 10 Jahren von Wikileaks ausgelösten Debatte darüber erinnert, ob DDoS-Angriffe im Sinne von Rawls legitime Aktionsformen des staatsbürgerlichen Ungehorsams sind. Auch als 2003 die große Debatte um die Netzneutralität begann, spielte bei der Idee der gerechten Verteilung von Informationen im Netz die Theorien nach Rawls eine wichtige Rolle.

*** Hach, war die Aufregung groß, als Facebook in Australien im Vorgriff auf eine Art Linksteuer die Nachrichten australischer Medien sperrte. Wie es weitergehen kann, darüber wird emsig spekuliert. Wie es weitergeht, zeigt Google mit dem News Showcase im Land der Krokodile, Kängurus und Koalabären. Doch warum auf die andere Seite des Erdballs sehen, wenn es auch bei uns nette Nachrichten gibt: Der größte Zeitungskiosk der Welt führt endlich auch die taz, das ist schon mal eine gelungene Schlägzeile. Ganz nebenbei steht auch dieses Blatt ganz im Bann von klickoptimierenden Seo-Maßnahmen, mit Rekordwerten für die Corona- und Capitol-Berichterstattung. Ja, auch die Berichterstattung über Hanau war eine Spitze, eine ziemlich traurige. Gerechtigkeit stand auf den Schildern der Demonstranten dort. Damit waren nicht die Theorien von Rawls gemeint. Denn der Staat konnte diese neun Menschen nicht schützen.

Weiß jemand noch, wie Museen innen aussehen? Hier kann man eines sehen, in der Vorschau, denn im Paderborn ist man wild darauf, das anstehende Jubiläumsjahr mit Ausstellungen zu feiern. Bis im Oktober gefeiert wird, ist man dabei, den ersten Röhrenrechner als Röhrenrechner zu rekonstruieren und zum Laufen zu bringen, den Heinz Nixdorf in Essen für die RWE baute. Er soll im Museum laufen und von den Besuchern programmiert werden können. Als weiterer Nachbau soll die intelligente Maus von Claude Shannon gezeigt werden. Drei Arduinos waren nötig, das Funktionieren der elektromechanischen Maus nachzubilden. Doch wann es weitergeht mit dem Programm ist offen. Die dritte Welle kommt und sie ist nicht die Welle, die die elektronische Hütte bringt und uns Wissensarbeiter dank der Vernetzung von den Zwängen der Industrialisierung befreit. Diese dritte Welle ist einfach nur eklig.

(jk)