Kommentar: Weniger neue Podcasts sind gut für Podcasts

Vielleicht bremst sich das rasante Wachstum bei neuen Podcasts ein, vielleicht auch nicht. Egal, sagt Daniel AJ Sokolov.​

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Scherenschnitt eines Kopfes; rundherum künstlerische Darstellung von Tonfrequenzen

(Bild: whiteMocca/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
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Achtung, Achtung! Die Zahl neuer Podcasts stürzt total ab!!!1elf Rette sich, wer kann! So ähnlich lauten dieser Tage Schlagzeilen einschlägiger Webseiten. Ob das so stimmt, ist umstritten, weil die Szene im Umbruch ist und Daten schwer zu erheben sind. Der Streit ist allerdings überflüssig.

Ein Kommentar von Daniel AJ Sokolov

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Daniel AJ Sokolov

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Daniel AJ Sokolov schreibt seit 2002 für heise online, anfangs aus Wien. Seit 2012 versucht der Jurist, als Nordamerika-Korrespondent von heise online Kanadier und US-Amerikaner zu verstehen und ihr Wesen begreiflich zu machen.

Denn ist es weitgehend egal, ob es nun drei Millionen noch gepflegte Podcasts mit 157 Millionen echten Folgen gibt, wie Listen Notes gemessen hat und auf nicht mitgezählte Podflashes verweist, die nach ein oder zwei Folgen verwaist sind – oder ob es doppelt so viele sind, weil Spotify angibt, 5,5 Millionen Podcasts anzubieten, die Listen Notes nicht ohne Weiteres erfassen kann. Selbst Listen Notes' niedrigere Zahlen haben 2022 72.000 neue Podcast-Folgen gezählt. Jeden einzelnen Tag. Welchen Unterschied macht es, ob das auf 100.000 pro Tag steigt oder ob wir uns mit 75.000 abfinden müssen?

Grundsätzlich ist es ein Zeichen der Reife, wenn die Zahl neuer Marktteilnehmer abnimmt. Entscheidend ist, wie das Angebot angenommen wird, also wie viele Zuhörer es gibt und wie oft und lange sie zuhören. Auch darüber gehen die Zahlen weit auseinander. Einigkeit besteht, dass es hunderte Millionen wöchentliche Podcasthörer gibt, und ihre Zahl stark wächst.

Laut Insider Intelligence werden China, Argentinien, Frankreich und Deutschland dieses Jahr zweistellige Zuwachsraten erleben; für Österreich und die Schweiz erhebt der Marktforscher diese Daten nicht, aber wir dürfen ähnlichen Hörerzustrom erwarten. Exakte Messungen sind schwierig, weil Podcastfolgen oft automatisch heruntergeladen werden. Das bedeutet aber nicht, dass jeder Download auch sogleich und zur Gänze von exakt einer Person angehört wird.

Raum für Wachstum gibt es genügend. Einerseits, weil die Zuhörquoten bei den Unter-25-Jährigen und den Über-55-Jährigen niedriger sind als bei den Jahrgängen dazwischen. Andererseits, weil es noch viel Spielraum für Verbesserung gibt: Derzeit leben Podcasts vor allem von Mundpropaganda (kennen Sie schon die zwölf heise-Podcast?). Empfehlungs-Algorithmen, wie wir sie von Youtube oder Tiktok kennen, könnten deutlich mehr Hörer anfixen. Dabei lebt die Hoffnung auf Weiterentwicklung solcher Algorithmen, sonst landen wir wieder bei Produktionen, die für Algorithmen geschaffen sind und nicht für Menschen.

Tonbearbeitungs-Werkzeuge stehen vor einem Sprung bei Benutzerfreundlichkeit und Leistung. Adobe zeigt derzeit Podcast-Software, die das Schneiden von Aufnahmen nicht anhand von Frequenzkurven, sondern anhand gesprochener Wörter erlaubt. ÄÄhs und Aahs sollen sich automatisch löschen lassen. Solche und andere KI-Hilfsmittel können die Qualität der Produktion schnell heben und deren Zeitaufwand senken. Besser werdende Spracherkennung dürfte Hörgeschädigten das Zuhören erleichtern. Zudem haben wir garantiert noch nicht die letzte Innovation bei Podcast-Formaten sowie Podcast-Verbreitungswegen gesehen.

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Noch im Argen liegt es mit Lizenzen für mit Urheberrecht behaftete Musik, die in Podcasts verwendet werden soll. In den USA gibt es dafür überhaupt kein praktikables System. In Deutschland hat die GEMA einen Podcast-Tarif aufgelegt, immerhin. Doch geht er an der Wirklichkeit der Podcast-Landschaft vorbei. Die günstigste Kategorie erlaubt bis zu 10.000 Downloads pro Monat. Wer drei GEMA Lieder zu insgesamt 15 Minuten spielen möchte, zahlt knapp 90 Euro – pro Monat, in dem der Podcast abrufbar ist. Da die mediane Downloadzahl von Podcastfolgen bei zwei bis drei Dutzend liegen dürfte, wäre es für die meisten Podcasts billiger, jedem Zuhörer Gutscheine für den legalen Bezug dreier MP3-Dateien zu schenken.