20 Jahre Windows 95 und MSN: "Der einfachste Online-Dienst der Welt"

Das zusammen mit Windows 95 vor 20 Jahren in die Welt gebrachte Microsoft Network sollte den Gates-Konzern zum Marktführer unter den Online-Diensten machen. Der Plan ging nicht auf, weil das World Wide Web von Microsoft unterschätzt wurde.

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20 Jahre Windows 95 und MSN: "Der einfachste Online-Dienst der Welt"
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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Auf der Computermesse Comdex schwärmte Bill Gates im November 1994 vom "The Microsoft Network" (MSN), das zusammen mit Windows 95 starten sollte. In einer eigens mit dem Showmaster Tom Brokaw produzierten NBC-Talkshow erklärte Gates selbstbewusst die strategische Rolle des Netzwerkes. "Das Microsoft Network wird bei uns die Rolle als Haupteinnahmequelle übernehmen, wir werden Leute, Produkte und Marken aufbauen und das Netz in 35 Ländern in 20 Sprachen betreiben". Vom Internet setzte sich Gates deutlich ab. Die Newsgroups wollte er übernehmen, doch Tools und Software-Support sei die ureigenste Domäne von Microsoft.

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Den Journalisten präsentierte Microsoft auf besagter Comdex ein hübsches Rechenbeispiel, eine Studie des Marktforschungsunternehmen Dataquest. Die Firma prognostizierte, dass in den ersten vier Monaten weltweit 30 Millionen Kopien von Windows 95 abgesetzt werden. Die Studie berechnete ferner, dass sich 30 Prozent aller Anwender für MSN entscheiden werden, um Windows 95 kostenlos zu registrieren und in den Genuss der zwangsläufig erscheinenden Patches zu kommen. Vom Start weg würden also 9 Millionen Anwender das MSN bevölkern und Online-Systeme wie Compuserve (1995: 3,1 Millionen Teilnehmer) oder America Online (2,32 Millionen) in eine Statistenrolle drängen.

MSN - The Microsoft Network (10 Bilder)

Wie wichtig MSN für die Zukunftspläne von Microsoft war, sollte ein Buch zeigen, das drei Monate nach dem Verkaufsbeginn von Windows 95 am 24. November 1995 erschien: "The Road Ahead" von Bill Gates beleuchtete laut dem deutschen Untertitel "Die Zukunft der Informationsgesellschaft". Das Buch war voller Beispiele, wie Menschen dank des Microsoft-Netzes in Zukunft miteinander kommunizieren. Erst in der zweiten, komplett umgeschriebenen Auflage von 1996 ist viel allgemeiner von Datennetzen und besonders dem Internet die Rede: Microsoft hatte die Erfahrung gemacht, dass MSN eben nicht der Selbstläufer war, den die Marktforscher prognostiziert hatten. "Das einfachste Netzwerk der Welt", von dem Microsoft in der Werbung sprach, wurde nicht angenommen.

Schon zum Start von Windows 95 ätzte die Zeit auf der Titelseite vom 11. August 1995 über das Microsoft-Betriebssystem und sprach vom "Bluff des Jahrhunderts". Der Online-Anschluss namens MSN wurde so beschrieben:

"Er steht für eine Informationsgesellschaft, wirkt aber mehr wie eine Karikatur der echten Idee: Die bestand in der Vision von der anarchisch-demokratischen Informationsverarbeitung, die den Urvätern des Microcomputers vorschwebte – auch Bill Gates, als er jung war. Gates, der bald Vierzigjährige, möchte daraus ein möglichst monopolistisches Online-Gebilde formen, samt Microsoft-eigenem Informationsministerium."

In Deutschland startete MSN in der Version 1.3 im Mai 1996. Am 3. Mai schloss Microsoft einen Kooperationsvertrag mit der Deutschen Telekom, am 14. Mai mit EUnet Deutschland. Diese Unternehmen stellten die Einwahlpunkte für ISDN und Modem bereit, die Telekom zusätzlich eine 34-MBit-Leitung zu dem US-amerikanischen Datenzentrum von MSN. Im Standard-Abo kostete MSN 12 DM für zwei Stunden, danach 6 DM pro Stunde, eine unbegrenzte Jahresnutzung war für 499 DM zu haben. Diese Preise verstehen sich ohne die anfallenden Telefonkosten zum Einwahlknoten.

Windows 95 (26 Bilder)

Windows Logo vor bewölkeltem Himmel – mit dieser Optik schickte Microsoft seinerzeit das größte Update aller Zeiten ins Rennen.

Im Juni 1996 folgten die ersten deutschen Inhalte in Kooperation mit dem ZDF unter dem Namen ZDF.MSNBC. Schwerpunkt war die Olympia-Berichterstattung, später das aktuelle Sportstudio. Für Männer gab es den MSN-Botschafter Dieter Kürten, für Frauen war Hera Lind zuständig, die einem Lifestyle/Modebereich namens Cybil vorstand. Höhepunkt der Kooperation zwischen ZDF und Microsoft war im Sommer 1997 der Start einer Online-Redaktion mit 19 Journalisten auf der Internationalen Funkausstellung IFA in Berlin. "ZDF.MSNBC ist das Kürzel für multimediale Informationskompetenz", frohlockte ZDF-Intendant Dieter Stolte, der auf Jahrzehnte die Vormachtstellung seines Hauses bei Online-Nachrichten gesichert sah.

Ganz so lange hielt sie nicht an. Von Anfang an startete neben dem Klick auf MSN nicht nur das Hauptmenü des Online-Dienstes, sondern der Microsoft-Explorer für Internet-Inhalte mit einem Führer zu den besten deutschen Webseiten auf MSN.com sowie Microsoft-Exchange als E-Mail-Dienst. Diese Verquickung erboste die Konkurrenz der Browser-Hersteller wie der Online-Dienste AOL und Compuserve; das US-amerikanische Justizministerium ermittelte. Am 14. November 1997 teilte MSN Deutschland dazu mit:

"Schon lange bevor Netscape auch nur eine Firma wurde, haben wir erkannt, dass wir eine Funktion dieses Typs Internet-Browser für die Verbraucher in Windows einbauen mussten. Der Microsoft Internet Explorer war Bestandteil der allerersten Version von Windows 95, die an Computerhersteller ausgeliefert wurde. Wenn das Justizministerium jetzt sagt, der Internet Explorer und Windows seien separate Produkte, so ist dies völlig falsch."

Im sogenannten Browserkrieg war MSN das erste Opfer. Im November 1997 wurde die Produktion deutscher Inhalte aufgegeben, zum 31. August 1998 wurden die Einwahlknoten abgeschaltet. "Unsere Schwerpunkte liegen weder in diesem Geschäftsfeld noch im Bereich publizistischer Aktivitäten. Microsoft ist der Anbieter innovativer Internet-Plattformen und Services", verkündete MSN-Chef Michael A. Konitzer trotzig zum Schluss. An die deutschen MSN-Nutzer verschickte Microsoft eine CD, die den Wechsel zu T-Online als Internet Access Provider erleichterte. Nach Angaben der Telekom wechselten auf diese Weise rund 8500 Nutzer den Anbieter.

Übrigens: Unter anderem die Koppelung des Internet Explorer mit Windows schien Microsoft tatsächlich sogar in den USA in Gefahr zu bringen. Die US-Regierung strengte 1997 ein Kartellverfahren an, in dem Microsoft in der ersten Instanz schuldig und zur Aufspaltung in zwei eigenständige Firmen verurteilt wurde - ein Unternehmen für Betriebssysteme, eines für Anwendungssoftware sollte entstehen.

Microsoft ging natürlich in Berufung. Und in einem langwierigen Prozess wurde das erstinstanzliche Urteil durch einen watteweichen Kompromiss ersetzt. 2002 endete das Verfahren mit einer außergerichtlichen Einigung. (anw)