Amazon Marketplace: Haftstrafe für Bestechung von Amazon.com-Mitarbeitern

Vom indischen Amazon-Mitarbeiter zum "Berater" unabhängiger Händler bis in den Knast. Diese "Karriere" droht weiteren Angeklagten eines Netzwerks.

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Verunstaltetes Angebot auf Amazon.com: Statt einer Heizdecke ist ein Emoticon zu sehen, dass den Mittelfinger zeigt.

Faksimile aus dem Gerichtsakt: Um sich an einem Ex-Kunden zu rächen, sollen die Täter dessen Angebote verunstaltet haben. Hier sollte eigentlich eine flauschige Heizdecke prangen.

(Bild: Daniel AJ Sokolov/Gerichtsakt)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Jahrelang soll ein kriminelles Netzwerk Mitarbeiter des Amazon.com-Konzerns bestochen haben. Mit Rohit Kadimisetty hat sich der erste von sechs Angeklagten schuldig bekannt und einen Teil des Schadens wiedergutgemacht. Dafür kommt der 28-jährige mit einem milden Urteil davon: Zehn Monate in einem US-Bundesgefängnis, gefolgt von drei Jahren Überwachung, dazu 50.100 US-Dollar Geldstrafe. Alles andere als seine Aussage gegen seine Ex-Kollegen wäre eine Überraschung. Für diese gilt die Unschuldsvermutung.

Die angeklagten fünf Männer und eine Frau treten als Berater unabhängiger Händler ("3P" für Third Party Sellers), die auf Amazon Marketplace Waren feilbieten, auf. Hinter den Kulissen haben die Berater laut Anklage Amazon.com-Mitarbeiter bestochen, um hunderten Händlern unlautere Vorteile zu verschaffen, konkurrierende Händler zu schädigen, an Kontaktdaten unzufriedener Kunden zu kommen und terabyteweise vertrauliche Daten Amazons auszuleiten.

Zu diesen Daten gehören demnach interne Vermerke zu den Konten unabhängiger Händler, Kundendaten, Mitarbeiterdaten, Amazon-interne Wikis, geheime Algorithmen für Reihungen auf Amazons Webseite und in deren Suchergebnissen, Standard Operating Procedures des Konzerns und andere nicht-öffentliche Unterlagen. Mit diesem Insiderwissen sollen die Berater sich selbst, aber auch ihren Auftraggebern erhebliche Vorteile verschafft haben.

Beispielsweise sollen sie Händlern, deren Amazon-Konten wegen schwerer Regelverstöße gesperrt worden waren, mit Lügenmärchen zur Wiedereröffnung ihrer virtuellen Läden verholfen haben. In anderen Fällen sollen Bestechungen zum selben Ziel geführt habe. Diese Methode soll auch dafür genutzt worden sein, unzulässige Produkte über die Amazon-Webseite zu verkaufen, oder nicht zustehende Rabatte für Amazon-Logistik-Leistungen zu ergattern.

Mit gefälschten Identitäten sollen die Täter gegen Konkurrenten ihrer Auftraggeber vorgegangen sein: So sollen sie unter falschen Identitäten Waren bestellt haben, um dann unverdient schlechte Bewertungen abgeben zu können. Als angebliche Anwaltskanzlei sollen sie Händler zu Unrecht bezichtigt haben, Markenrechte zu verletzen oder gefälschte Güter zu verkaufen, womit Amazon zum Ausschluss der bezichtigten Händler veranlasst wurde.

Einen Händler, der die "Beratungsleistungen" nicht ausreichend finanziell gewürdigt haben dürfte, sollen die Angeklagten durch Verschandelung seiner Angebote im Amazon-Marketplace bestraft haben: Bestochene Amazon-Mitarbeiter sollen die Produktfotos durch unpassende und bisweilen unanständige Bilder ersetzt haben, um das Geschäft des Opfers zu torpedieren.

Kadimisetty war 2014 und 2015 Angestellter Amazons in Hyderabad. Danach wanderte er nach Kalifornien aus und pries Beratungsleistungen für unabhängige Händler an. Nach Verbüßen seiner Strafe werden ihn die Vereinigten Staaten wahrscheinlich ausweisen.

Der Angeklagte Ephraim "Ed" R. ist ein besonders prominenter 3P-Berater in New York City, der als "Amazon Sellers Group TG" bezahlte Webinare anbietet und jährlich eine einschlägige Konferenz ausrichtet. Er hat zahlreiche einschlägige Videos auf YouTube veröffentlicht, auch nach Erhebung der Anklage im September 2020. Der jüngste Upload ist aus dem Advent 2021: R. bewirbt eine von ihm ins Leben gerufene Petition, mit der Amazon dazu bewegt werden soll, zehntausende angeblich zu Unrecht gesperrte Händler wieder freizuschalten.

Selbstbeschreibung der Angeklagten Kristen L.

I have been a force to be reckoned with in the Amazon seller space for several years, focusing on account reinstatements and compliance issues. My combined skills in writing, communications and deeply connecting with others have allowed me to truly excel in assisting sellers successfully.

Dabei spricht R. ein echtes Problem an: Marketplace-Händler klagen seit Langem über mangelhafte Einspruchsmöglichkeiten gegen Sperren, denen sie sich zu Unrecht ausgesetzt sehen. Eine von einem einschlägig Angeklagten initiierte Petition dürfte bei Amazon allerdings eher auf taube Ohren stoßen.

Die Angeklagten Joseph N., Kristen L. und Hadis N. haben sich sowohl als Händler als auch als Händler-Berater betätigt. Der Angeklagte Nishad K. war bis zu seiner Entlassung 2018 selbst Angestellter Amazons in Indien. Seiner konnten die US-Behörden noch nicht habhaft werden. Weitere bestechliche Amazon-Mitarbeiter werden in den Gerichtsdokumenten nur durch ihre Initialen benannt. Die US-Staatsanwaltschaft könnte also weitere Anklagen planen.

[Update 16.2.2022 00:29 Uhr]

Geschädigt sind die ehrlichen Marketplace-Händler, die sich an die Regeln halten, und Amazon.com selbst. Dem Unternehmen ist die Sache naturgemäß unangenehm. "Wir arbeiten hart daran, vertrauenswürdigen Einkauf zu ermöglichen, indem wir Kunden, Verkaufspartner und Amazon vor Betrug und Missbrauch schützen", sagte eine Sprecherin zu heise online, "Wir haben Systeme, um verdächtiges Verhalten aufzuspüren."

Amazon kündigt an, den Webshop zu schützen und Übeltäter zur Verantwortung zu ziehen. "Betrug hat bei Amazon keinen Platz." [/Update]

Die US-Behörden nehmen die Angelegenheit ernst. Es ermitteln das FBI, die strafrechtliche Ermittlungsabteilung der US-Steuerbehörde sowie die Abteilung für internationale Angelegenheiten des US-Justizministeriums. Das Verfahren heißt USA v. Rosenberg und ist am US-Bundesbezirksgericht für West-Washington unter dem Az. CR20-151 (2:20-CR-00151) anhängig.

Juristisch lauten die Vorwürfe auf Verschwörung zur grenzüberschreitenden Reise für illegale Zwecke (Bestechung), Verschwörung zu unerlaubtem Zugriff auf geschützte Daten, Verschwörung zu Überweisungsbetrug sowie Überweisungsbetrug selbst. Kadimisetty musste sich im Rahmen seiner Übereinkunft mit der Staatsanwaltschaft nur zum allerersten Anklagepunkt schuldig bekennen.

(ds)