Anpassbares Rad ĂĽberwindet Hindernisse mit Wassertropfentechnik

Südkoreanische Forscher wollen Rollstühle und andere persönliche Fortbewegungsmittel flexibler machen: Ihr neues Rad kommt mit nahezu jedem Gelände zurecht.

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Anpassbares Rad

Anpassbares Rad: Kommt (fast) ĂĽberall drĂĽber.

(Bild: Jae-Young Lee et al.)

Lesezeit: 4 Min.

Räder haben einen entscheidenden Nachteil: Fehlt ihnen das passende Profil, bleiben sie in Schlamm und Matsch (oder Schnee und Eis) liegen. Gleiches gilt für die Überwindung (zu) großer Hindernisse, über die der Querschnitt des Reifens einfach nicht herüberkommt – das Fahrzeug steckt fest. Ein Forscherteam des Korea Institute of Machinery and Materials arbeitet deshalb derzeit an einem "Morphing Wheel", das sich an den Untergrund anpassen kann. Die bereits im August in Science Robotics erschienene Studie der Gruppe um Jae-Young Lee vergleicht die Methodik mit einem Flüssigkeitstropfen, dessen Oberflächenspannung sich ändert und der so nicht einfach platzt, wenn er sich sogar über spitze Gegenstände abrollt.

Statt aus Flüssigkeit besteht das Rad allerdings aus einer "Smart Chain", also einer intelligenten Kettenstruktur, die sich aufgrund des Drucks von Außen rekonfigurieren kann. Die Struktur besteht aus einer Kette von Blöcken, die sich über die äußerste Seite des Rades erstrecken und jeweils durch Drahtspeichen mit den gegenüberliegenden Seiten einer Nabe auf der Innenseite des Rades verbunden sind. Indem sie den Abstand zwischen den beiden Seiten der Nabe veränderten, konnten die Forscher die Länge der Drahtspeichen und damit die Form der äußeren Kette variieren. Die sich daraus ergebende Bewegung ist nicht sehr elegant, aber nützlich. Im Versuch konnte das System auch über Treppenstufen und sogar größere Steine fahren, wie in einem Video zu sehen ist.

Der Prototyp wurde bereits unter einen Rollstuhl montiert. Die anpassbare Festigkeit der Reifen würde sich auch für Roboter eignen, die schneller vorankommen sollen als humanoid auf zwei Beinen – und dennoch mit schwierigen Untergründen zurechtkommen. Aktuell kann das System Hindernisse überwinden, die bis zu 40 Prozent des Reifenradius ausmachen. Überprüft wurde das sowohl mit einem zweirädrigen Prototypen, der 120 Kilogramm auf die Waage brachte, als auch mit einem vierrädrigen. Das zweirädrige System dürfte sich mit einer getragenen Person allerdings noch recht wacklig anfühlen.

Die Smart Chain für das Morphing Wheel wurde mit einem 3D-Drucker von Stratasys mit dem Grundstoff ABS hergestellt. Jeder Kettenblock ist durch einen Aluminiumstab mit einem Radius von 2 mm verbunden. Eine Schwammstruktur und eine Wabenstruktur bilden weiche Stützen. Die Materialien sind ABS und flüssiges Urethangummi. Das für die Drahtspeichenstruktur verwendete Material besteht aus Kevlarfaser mit einer Dicke von 2 mm. Für das kleinformatige Rad, das für das vierrädrige Fahrzeug verwendet wurde, betrug der Durchmesser 300 mm und die Reifenbreite 40 mm. Das große Rad, das für das Rollstuhlsystem verwendet wurde, hatte einen Durchmesser von 560 mm und eine Reifenbreite von 90 mm. Beides ist also keinesfalls Autoformat.

Nützlich an der vergleichsweise einfachen Technik, die zuvor in einem Computermodell untersucht wurde, ist, dass sie kein komplexes Kontroll- oder Sensorsystem benötigt. Die Überwindung der Hindernisse erfolgt allein durch die Erhöhung der Kontaktfläche, wie man das auch von Panzerketten kennt – nur laufen diese deutlich langsamer als radbasierte Systeme. Eine Automatik zwischen normalem Reifenbetrieb und dem Morphing Wheel gibt es derzeit noch nicht, die Forscher schalten manuell um. Ob die südkoreanischen Wissenschaftler mit ihrer Idee wirklich das Rad neu erfinden können, ist somit noch unklar. Bislang ist die Geschwindigkeit im smarten Betrieb noch gering.

Hinzu kommt, dass sich Partikel und Staub in den Ketten verfangen können, was die Mechanik stört, an einen gekapselten Betrieb ist noch nicht zu denken. Ob es zu einer kommerziellen Anwendung kommen wird, bleibt abzuwarten. Die Idee neuartiger Reifen ist in der südkoreanischen Forschung nichts Neues. Vor mittlerweile drei Jahren zeigte der örtliche Reifenproduzent Hankook in der Metropolregion Seoul einen Reifen im Origamistil, der sich sogar kleiner und größer machen konnte, um ein Fahrzeug enge Räume unterfahren zu lassen. Für praktische Anwendungen ist aber auch dieses System zu sensibel und blieb damit nicht mehr als ein – wenn auch spektakulär anzusehender – Prototyp.

(bsc)