Neue Studien: Hörschäden durch Noise-Cancelling-Headsets

Noise-Cancelling Kopfhörer sperren die Störungen aus und sind beliebt in Büros und bei Pendlern. Doch Studien legen nahe, dass sie auch negative Effekte haben.

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Kopfhörer

Kopfhörer mit Geräuschdämmung könnten Hörschäden bewirken, befürchten Audiologen.

(Bild: dpa, Boris Roessler/Symbolbild)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Michael Link
Inhaltsverzeichnis

Beim Pendeln in Bus und Bahn sowie in Büros gehören sie zum üblichen Bild: Kopfhörer sind ein probates Gegenmittel zum Aussperren störender Nebengeräusche. Seit einigen Jahren sind es besonders Kopfhörer mit aktiver Geräuschdämmung, denglisch Active Noise Cancelling Headsets. Einige Audiologen, also Wissenschaftler, die sich mit dem Hören befassen, sind zunehmend besorgt, dass der übermäßige Gebrauch das Hörvermögen beeinträchtigen könnte, so berichtet das britische Nachrichtenportal "The Guardian". Ein Hinweis darauf könnte sein, dass es bei Erwachsenen immer häufiger Schwierigkeiten beim Orten von Geräuschen und beim Verstehen von Gesprächen gebe, obwohl die klassischen Hörtests keinerlei Störungen zeigen. Dazu haben Wissenschaftler im Laufe der Zeit Studien gesammelt, die aber noch keine Klarheit brachten.

Dass Menschen akustische Informationen nicht richtig verarbeiten können, ist mindestens seit 2006 bekannt, als im Audiology Journal hierzu eine Studie von D. Moore erschien, die dieses unter Audiologen noch umstrittene Krankheitsbild erläuterte. Bei der Auditory Processing Disorder (APD), im Deutschen auch auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) genannten Störung funktioniert das Gehör normal, aber das Gehirn hat Schwierigkeiten, die erfassten akustischen Informationen korrekt zu verarbeiten. Betroffene haben oft Probleme, Sprache in lauter Umgebung zu verstehen, Anweisungen zu folgen oder schnelle und undeutliche Sprache zu verarbeiten. Das wirkt sich ähnlich negativ aus wie organisch bedingte Hörschäden, nämlich durch zunehmende Isolationen und Stress, da viele dazu tendieren, das eingeschränkte Hörvermögen zu tarnen und es zu überspielen.

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Historisch wurde APD eher bei Kindern diagnostiziert, erst in jüngerer Zeit gebe es einen Anstieg bei Erwachsenen. Die Vermutung der Audiologen: Er könnte dadurch bedingt sein, dass immer mehr Menschen Kopfhörer mit aktiver Geräuschdämmung auch über einen langen Zeitraum benutzen.

Die Erklärungsversuche der Wissenschaftler gehen dahin, dass das Gehirn durch das Ausfiltern der Nebengeräusche über lange Strecken nur noch eine einzige Quelle hat, die es verarbeiten muss, etwa Musik oder einen Podcast. Bei Kindern könnte das dazu führen, dass sie nicht mehr in der Lage sind, sich so zu konzentrieren, dass sie auch ohne externe Filterung Nebengeräusche ignorieren können. Bei Erwachsenen verkümmere die Fähigkeit des Ausfilterns von Störgeräuschen. Somit reichen bereits kleine akustische Störungen, um Dialogen nicht mehr folgen zu können oder wichtige Durchsagen etwa im Zug nicht mehr zu verstehen.

Bislang bewegen sich die Erklärungsversuche allerdings im Bereich der vage unterstützten Spekulationen. Denn valide wissenschaftliche Belege, dass Noise-Cancelling-Kopfhörer APD verursachen, gibt es nicht. Harvey Dillon, Professor der Hörwissenschaften in Manchester urteilt: "Mir ist keine Untersuchung bekannt, die einen Zusammenhang zwischen der Verwendung von Kopfhörern zur Geräuschunterdrückung und einer verminderten Hörverarbeitungsfähigkeit untersucht." Studien sprechen allenfalls von einer Prävalenz von 5 bis 10 Prozent bei Erwachsenen, ohne aber klare Erkenntnisse für die Ursachen anzubieten.

Auch die Fallzahlen können noch keinen Nachweis eines Anstiegs der Erkrankung liefern, einfach aufgrund fehlender robuster Daten. Audiologen sehen dennoch Untersuchungsbedarf, wie sich eine längere Nutzung von Kopfhörern mit Geräuschdämmung ausnutzt. Bislang dominieren Studien, die positive Eigenschaften dieser Geräteklasse aufführen. Zum Beispiel, dass sie ermöglichen, Musik und anderes mit niedrigerer Lautstärke als ohne Dämmung zu hören. Das beugt langfristig organischen Gehörschäden vor. Außerdem kann die Filterung auch gerade bei sehr reizempfindlichen Menschen sensorische Reize minimieren, also dann, wenn es ohnehin bereits eine anders nicht behebbare Störung des Gehirns gibt, aus einer Fülle von Geräuschen das Wichtige auszufiltern.

Insgesamt gibt es zwar Hypothesen, aber keine Belege. Solange das so ist, wird man vermutlich gut beraten sein, sein Hörvermögen regelmäßig untersuchen zu lassen, und zwar über die reinen Empfindlichkeitsmessungen auf verschiedenen Frequenzen hinaus. Wer sich akustisch nicht abschotten will, kann überdies zu Kopfhörern mit Knochenleitung greifen, die zwar vielfach keinen so guten Klang wie herkömmliche Kopfhörer bieten, aber etwa für Podcasts gut geeignet sind.

(mil)