BND-Reform: Bundesregierung stimmt für neue Regeln zur Massenüberwachung

Seite 2: Gefahrenbereiche ausweiten

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Die Regierung will die Novelle zugleich nutzen, um die Gefahrenbereiche deutlich auszuweiten, in denen der BND den Datenstaubsauger anwerfen darf. Bisher beschränkte sich die Kompetenz auf die Sektoren internationaler Terrorismus, Proliferation und konventionelle Rüstung, illegale Schleusung und "Cyber". Künftig sollen unter anderem "krisenhafte Entwicklungen im Ausland" mit Gefahren etwa für die Bundeswehr, internationaler Extremismus, Geldwäsche und andere Formen der organisierten Kriminalität, der Schutz kritischer Infrastrukturen oder die Proliferation von Technologien und "Datenverarbeitungsprogrammen von erheblicher Bedeutung" dazukommen.

Gefährdungen von Leib, Leben oder Freiheit einer natürlichen Person und "qualitativ vergleichbaren Fällen" nennt die Regierung als mögliche Einsatzbasis für den Datenstaubsauger. Dazu kommen "Gefährdungen des europäischen Wirtschafts- und Wissenschaftsstandortes" inklusive der Schädigung von Unternehmen in der EU "durch Wirtschaftsspionage" und "Fälle des Diebstahls geistigen Eigentums". Auch "gewichtige Bedrohungen der Sicherheit des Weltraums" tauchen in der langen Liste auf.

Maßnahmen zur individuellen und zur massenhaften Überwachung sollen von der BND-Spitze genehmigt und schon im Vollzug dieser Anordnung von einem neuen "unabhängigen Kontrollrat" geprüft werden. Dieses Organ wird dem Plan nach das bisherige "unabhängige Kontrollgremium" ersetzen, personell sowie finanziell deutlich besser ausgestattet sein sowie die Arbeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums sowie der G10-Kommission ergänzen. Es soll etwa auch Selektoren einsehen dürfen, um einen zweiten Gau wie nach dem ungeprüften Einsatz von NSA-Suchbegriffen zu verhindern.

Der Rat werde als oberste Bundesbehörde mit Sitzen in Berlin und Pullach eingerichtet, wo die Abteilung "Technische Aufklärung" des Geheimdienstes verblieben ist, heißt es. Aus nebenamtlichen Prüfern des bisherigen Gremiums werde eine "gerichtsähnliche Rechtskontrolle" bestehend aus zwei Spruchkörpern mit je drei Mitgliedern im Hauptamt. Insgesamt sollen bei der Aufsichtsbehörde 62 Mitarbeiter dem BND auf die Finger sehen. Ein Austausch mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten ist möglich, aber nicht vorgeschrieben.

Reporter ohne Grenzen warf der Regierung vor, "auf Kosmetik statt wirksamem Grundrechtsschutz" zu setzen. Sie bleibe mit dem Entwurf deutlich hinter den Anforderungen des Verfassungsgerichts zurück. Höchst problematisch sei etwa, dass der BND weiterhin Verkehrsdaten wie Informationen über Kommunikationsverbindungen oder die Betreffzeilen von E-Mails sammeln und ungefiltert an ausländische Geheimdienste weitergeben dürfte. Dies lasse weitreichende Rückschlüsse darüber zu, mit wem ein Journalist in Kontakt steht. Ferner könnte der BND selbst entscheiden, wer als Pressevertreter gelten soll. Der Bundestag müsse dringend nachbessern.

Die geheimdienstliche Überwachung werde massiv ausgeweitet, die IT-Sicherheit geschwächt, kritisierte Klaus Landefeld aus dem Vorstand des eco-Verbands der Internetwirtschaft. Der BND könnte mit dem Vorhaben das Kommunikationsverhalten sowie die GPS- und Bewegungsdaten von beliebigen Personen im In- und Ausland ohne Weiteres ausspähen. Neben der allgemeinen Informationsbeschaffung im Internet zählten dazu auch Daten, die beim Online-Banking, bei Hotelbuchungen sowie über Mobilfunkgeräte und Navigationssysteme übermittelt werden. FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae sprach von einer verpassten Reformchance: "Sogar das von der Bundeskanzlerin kritisierte 'Abhören unter Freunden' soll möglich sein."

(anw)