BND-Urteil: Beträchtliche Lücke beim Schutz von Journalisten und ihrer Quellen
Der BND darf laut dem Bundesverfassungsgericht Medienvertreter überwachen, wenn die Erkenntnisse nur "der politischen Information der Bundesregierung" dienen.
Eine bislang wenig beachte Passage im Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur strategischen Fernmeldeüberwachung des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Ausland bereitet Bürgerrechtlern Kopfzerbrechen. Auch wenn die Karlsruher Richter prinzipiell fordern, dass der Geheimdienst auch bei seiner Massenüberwachung mit dem Datenstaubsauger die Kommunikation von Journalisten prinzipiell schützen muss, sehen sie zugleich eine breite Ausnahme davon gerechtfertigt.
Erosion des Quellenschutzes
So heißt es in dem vorige Woche verkündeten Urteil in Randnummer 198: Sofern Überwachungsmaßnahmen "ausschließlich dazu bestimmt und darauf ausgerichtet sind, der politischen Information der Bundesregierung zu dienen und eine Übermittlung der Erkenntnisse an andere Stellen prinzipiell ausgeschlossen ist, kann auf den Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen verzichtet werden, soweit dies erforderlich ist".
Der Journalist Daniel Moßbrucker, der bis Mitte 2019 für die Organisation "Reporter ohne Grenzen" gearbeitet und an der Verfassungsbeschwerde mitgewirkt hat, spricht in einer von Medium.com und Netzpolitik.org veröffentlichten Analyse von einem "echten Hammer". Dahinter stecke die Logik: Medienvertreter genössen zwar einen besonderen Schutz vor Spionage, wenn ihnen und ihren Quellen dadurch besondere Risiken entstehen. Dagegen müsse der Gesetzgeber "qualifizierte Eingriffsschwellen" schaffen und zumindest eine Grundrechtsabwägung fordern. Die zitierte Anmerkung droht laut Moßbrucker aber, das zunächst errichtete Schutzgerüst wieder völlig in sich zusammenfallen zu lassen. Damit trieben die Verfassungshüter die "Erosion des Quellenschutzes" auf die Spitze, da der Grundrechtseingriff in der Logik der Richter "gegenüber den überwachten Personen bei der bloßen politischen Information der Bundesregierung in der Regel ein deutlich geringeres Gewicht" habe.
Es werde nämlich in der Regel oft schon nicht darauf ankommen, dass in einschlägigen BND-Berichten für die Exekutive personenbezogene Daten stehen. Mit dem Spiegel-Urteil von 1966 habe das Gericht dagegen noch einen "absoluten Schutz der Identität von Quellen vor staatlicher Verfolgung" postuliert, konstatiert der Journalist. Mit dem Einzug digitaler Ermittlungsmethoden in die Praxis von Sicherheitsbehörden sei dieser Schirm aber schon brüchig geworden und stattdessen eine Einzelfallprüfung zwischen Sicherheitsinteressen und Pressefreiheit die von den Karlsruher Richtern gutgeheißene Regel geworden.
Medienschaffende sollten Moßbrucker zufolge ihre Lehren daraus ziehen und Informanten über die Abhörgefahren aufklären sowie mithilfe von Verschlüsselung Inhalte unlesbar machen. Gerade gegen eine Massenüberwachung sei eine solche Maßnahme effektiv.
Nicht ausnutzen
Dass das Gericht dem BND die Möglichkeit gebe, auf den Schutz der Presse in dem beschriebenen Szenario gänzlich zu verzichten, stößt auch dem Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr, übel auf. Nur auf Journalisten sei die Passage aber nicht bezogen und man müsse sie mit den anderen Sätzen des Urteils zusammenlesen, wonach Vertraulichkeitsbeziehungen durchaus besser abgesichert werden müssten. Die Institution wolle hier auf das Bundeskanzleramt zugehen und dazu appellieren, "den Geist" des Richterspruchs insgesamt zu berücksichtigen, erklärte Mihr gegenüber heise online. Nicht jede offen gehaltene Option müsse auch ausgenutzt werden.
Als weitere Baustelle bei solchen Gesprächen machte er die Definition von Journalismus aus. Ihm zufolge wäre es ein international falsches Signal, wenn die Regierung den Zugang zur 4. Gewalt regulieren und das Greifen der Schutzbestimmungen so eng interpretieren würde. Nicht ganz so kritisch sieht Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Verfassungsbeschwerde koordiniert hatte, die Passage. Er geht davon aus, dass bei einer guten Umsetzung schon die funktionale Trennung der Informationsverarbeitung zwischen "reiner Regierungsinformation" und der potenziellen Weitergabe an in- oder ausländische Stellen Journalisten schützen werde.
Gerade aus einem Transfer von Erkenntnissen an ihnen oder ihren Quellen feindlich gesinnte Einrichtungen mache das besondere Risiko aus. Ein solcher werde künftig aber allein "in besonderen Ausnahmefällen und nur nach Ex-ante-Prüfung durch eine gerichtsähnliche Instanz möglich sein". Ferner werde in jedem Fall die Auswahl von Selektoren für den Datenstaubsauger, die Journalisten betreffen, "von den neu einzurichtenden Kontrollinstanzen überprüft werden können", erläutert der Rechtsanwalt. Der BND werde künftig also begründen müssen, warum er überhaupt Medienvertreter überwacht, selbst wenn es "nur" um die Information der Regierung gehe. Insgesamt werde sich so die Situation für Journalisten deutlich verbessern. Da auch andere Geheimdienste überwachten, sollte aber gerade zum Schutz von Quellen verschlüsselt kommuniziert werden.
(kbe)